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Der Himmel über Bologna ist beinahe schwarz, als wir endlich fertig sind. Ob man es nun glaubt oder nicht: Es ist verdammt schwer die Handschrift einer anderen Person zu übernehmen. Inzwischen hat Clara alle Merkmale übernommen, die mich ausmachen. Das fühlt sich undefinierbar an, wenn ich sehe, wie sie mit dem Gesicht, das ich im Moment auch trage, durch viele kleine Gesten genau so aussieht wie ich, wenn ich ihr gegenüber stehe. Es ist, als würde ich in einen Spiegel blicken. Bez hat sich vor langer Zeit zurückgezogen und schläft vermutlich in einem anderen Zimmer. Doc begleitet Clara gerade in ihre Suite und Bernie schläft mit dem Kopf im Nacken auf seinem Stuhl. Nur Fothy ist noch bei mir und macht sich gerade genüsslich über die zweite Flasche Rotwein her. „Willst du auch was?" Seine Worte sind bereits leicht gelallt. „Ja, klar. Kann ja nicht schaden." Er beginnt wie ein Kleinkind zu lachen und entleert den Rest der Flasche vollständig in ein großes Wasserglas, das er mir reicht. Vermutlich nur aus dem Anlass, damit er sich eine neue Flasche aufmachen kann. Ich rieche an dem Glas und ziehe die Nase kraus. Und nach den ersten Schlucken stellt sich dieses grundsätzliche Misstrauen als mehr als gerechtfertigt heraus. Das Zeug schmeckt wiederlich! Ich lasse es neben Fothy stehen und nehme mir ein Fernglas, das Bernie in einem seiner Koffer liegen hat. Damit robbe ich auf dem Bauch auf den Balkon, damit eventuelle Spione mich nicht sehen können. Hinter einer Säule stütze ich mich auf die Ellenbogen und suche mit dem Fernglas die breite Straße vor dem Hotel ab. Und tatsächlich parkt dort ein Auto, hinter dessen Steuer ein genervt aussehender Mann sitzt, der durch den Sucher einer Kamera das Hotel betrachtet. Jetzt kann ich mir sicher sein, dass unser Plan aufgegangen ist. Die nächsten Tage kann ich ungesehen agieren, natürlich muss ich aber trotzdem vorsichtig sein. Einen Elefanten im Porzellanladen erkennt man schließlich auch auf den ersten Blick. Immer noch vorsichtig krabbele ich wieder zuück in die Suite und schließe die Balkontüren langsam. Fothy hat bereits die zweite Flasche Wein in der Hand und will sie sich im Moment an den Mund ansetzen, davon kann ich ihn aber gerade noch abhalten. Das letzte was wir morgen brauchen können, sind Kopfschmerzen. Angestrengt hieve ich Fothy von seinem Stuhl hoch und lege mir seinen Arm um den Hals. Ich habe nicht wirklich erwartet, dass er laufen kann, aber sein plötzliches Gewicht überrascht mich dennoch, als kurz darauf seine Beine versagen. Mehr schlecht als recht schleife ich ihn durch den Raum und schmeiße ihn auf ein Bett. Als letzte Amtshandlung ziehe ich ihm noch eine Decke über die Schultern, dann lege ich mich selbst schlafen. Wie es zu erwarten war, hat Fothy an diesem Morgen fiese Kopfschmerzen, weshalb wir an dem kleinen Tisch an dem wir frühstücken, bei zugezogenen Vorhängen und gedämmtem Licht sitzen. Mein Mitleid hält sich darüber hinaus allerdings in Grenzen. Immer wieder fasse ich in mein Gesicht, das immer noch das von Clara ist. Wie gerne wäre ich wieder ich. Und auch meine Haare vermisse ich ein wenig, weil mir im Moment keine überflüssige Strähne ins Gesicht hängt, die ich wegschnippen kann. Meine Hände ruhen stattdessen ruhig an meinem Glas Orangensaft. „Was mache ich heute?" Clara schaut erwartungsvoll in die Runde. Ich schlucke meinen Bissen Croissant herunter und setze zu einer Antwort an, aber Bez kommt mir zuvor. „Du wirst shoppen gehen, Victoria wird weiterreisen." Ich nicke wie zur Bestätgung und widme mich wieder meinem Frühstück. Clara scheint bemerkt zu haben, dass wir uns nicht direkt in die Augen schauen und es vermeiden, mehr Worte als nötig miteinander zu wechseln. „Was läuft da eigentlich zwischen euch?" „Oh oh, keine gute Frage", murmelt Bernie in seine Tasse und schaut aus dem Fenster. Bez und ich reagieren unabgesprochen gleich: Wir schütteln den Kopf und schließen uns Bernies Blick an. Und um noch einmal zu bestätigen, fragt Bez mich: „Wir wäre es eigentlich, wenn ich ebenfalls hier bleibe? Ich denke, die Regierung wird bemerken, wenn Victoria auf einmal ganz alleine mit einem fremden Kontaktmann in der Gegend herummarschiert." Ich beiße mir auf die Lippen, nicke aber freundlich. „Das klingt sinnvoll." Und damit ist das Thema beendet. Nach dem Frühstück beginne ich, den Inhalt meines alten Koffers in einen neuen zu packen, der Claras Monogramm trägt. Schließen kann ich ihn allerdings nur mit Fothys Hilfe schließen, da Lara es mit meinem Gepäck anscheinend überaus großzügig meinte. Und um den frostigen Morgen noch weiter zu vereisen, schütteln Bez und ich uns die Hand, als ich das Zimmer mit den anderen verlasse. Fothy, Bernie und Doc bilden einen Wall um mich, sodass mich kein Hotelgast zu sehen bekommt. Im Block betreten wir die Garage und ich setze mich sofort auf den Rücksitz des großen SUVs und lasse Bernie sich um das Gepäck kümmern. Fothy steigt auf der anderen Seite ein und nimmt mich in den Arm. Anscheinend hat er mitbekommen, wie sehr mich die Situation mit Bez mitnimmt. Auch wenn ihm klar ist, dass ich deshalb niemals weinen oder klagen werde. Und dafür bin ich ihm dankbar. Bernie und Doc, die inzwischen vorne eingestiegen sind, scheinen einen ähnlichen Riecher für die Situation zu besitzen, denn sie drehen sich nicht um und lassen mich mit Fothy und meinem Kummer alleine. Wir fahren los und ein weiteres Mal lasse ich jemanden zurück, der mir etwas bedeutet. Auch wenn er Jaxx Level niemals erreichen wird. Gegen Mittag haben wir Bologna hinter uns gelassen und befinden uns auf dem leeren Weg zwischen der Stadt und einem Haus mitten in der Pampa, von wo aus wir die nächsten Wochen agieren werden. Uns wurde versichert, dass die großen Städte von dort aus schnell erreichbar und leicht zugänglich sind, allerdings sinkt meine Zuversicht mit jedem weiteren Kilometer, den wir hinter uns lassen. Inzwischen ist mir so langweilig, dass ich auf meinem Laptop gegen Fothy Schach spiele und bei Tetris versage. Nach vier Stunden Fahrt setze ich mich hinter das Steuer, damit Doc sich ausruhen kann. Die Sonne, die hoch über uns steht und uns durch das viel gelobte Glasdach auf den Schädel brutzelt, ist erbarmungslos und lässt sich nicht einmal von den verdunkelten Scheiben abblocken. Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste: Kurz nach diesem Fahrerwechsel erreichen wir einen Punkt der Strecke, an dem wir die Straßen verlassen und über unwegsames Gelände fahren müssen. Hier gibt natürlich keine Schilder und die Karte, anhand derer wir uns durch die Wildnis kämpfen, scheint nach dem Druck ins Wasser gefallen zu sein, denn gefühlt hat jedes Pixel die selbe grüne Farbe wie alle anderen. Kurz gesagt, die Karte ist einfach nur grün. „Fahr links, zwischen den beiden Bäumen da vorne!" Bernie fuchtelt mir vor dem Gesicht herum und behindert meine Sicht. „Nein, Bernie, das war nicht richtig. Wir hätten vor drei Kilometern durch die Fuhrt fahren müssen, hab ich doch gesagt." „Ist das hier etwa ein Boot?" „Das ist ein Auto, das sieht man doch!" „Meine Güte, Fothy, stell dich doch nicht so doof an! Natürlich ist das kein Boot, was denkst du denn." „Trotzdem kann man durch ein seichtes Stück Fluss fahren!" „Das wir vor inzwischen vier Kilometern aber schon hinter uns gelassen haben. Deshalb müssen wir jetzt hier rechts abbiegen." „Gerade eben hast du links gesagt, du Alzi!" „Ich bin Allgemeinmediziner, und das kürzt man nicht mit Alzi ab." „Das meine ich auch nicht. Hier links." „Du hältst die Karte falsch herum. Norden ist oben und nicht unten." „Mach du es doch besser!" Und so geht das die ganze Zeit. Ich hätte nicht damit gerechnet, aber schließlich erreichen wir das Haus doch, wenn auch nur durch Zufall. Zum Glück scheint es einiger Maßen komfortabel zu sein. Und es hat eine...

Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt