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Vollkommen ausgeglichen betrete ich Docs Zimmer, als dieser gerade aufwacht. „Was ist passiert?" Er kneift die Augen zusammen und massiert sich die Nasenwurzel. Ich nehme seine Hand und drücke sie leicht. „Du bist die Treppe heruntergefallen und hast dich am Kopf verletzt", sage ich so ruhig wie möglich. Er betastet seine Stirn und stellt fest, dass sie unter einem dicken Verband begraben ist. Eigentlich hatte ich Lust dazu, ihn tatsächlich die Treppe nach unten fallen zu lassen, aber weder Bez noch Fothy fanden meine Idee sehr gut. Also haben wir nur einen Verband und ein paar Elektroden angebracht, die auf Knopfdruck Kopfschmerzen simulieren können. Aber immerhin ist das besser als nichts. Doc stöhnt und sinkt in seine Kissen zurück. „Ich erinnere mich an nichts mehr. Nur noch daran, dass ich eine Tasse Kaffee getrunken habe. Kannst du bitte die Rollläden weiter schließen, es ist zu hell." „Natürlich." Ich erfülle ihm den Wunsch und kurz darauf nimmt er die Hand von seinen Augen. „Wie lange war ich weg?" „Drei Stunden etwa. Ich weiß zwar nicht was er gemacht hat, aber als Bez dich verarztet hat, sah das ziemlich professionell aus." Doc nickt. „Habe ich ihm beigebracht. Zumindest das meiste." Ich nicke bestätigend. „Wir wollen dich in die Baze bringen. Wir wissen nicht, was beschädigt sein kann und wir haben hier kein MRT und kein Röntgen." „Natürlich. Das ist eine gute Idee." Ich reiche ihm eine Schnabeltasse und er nimmt ein paar Schlucke. „Wann geht es los?" Ich schaue auf meine Uhr. „In zehn Minuten kommen zwei Sanitäter und bringen dich an den Flughafen. Wenn du willst, lasse ich dich kurz alleine. Aber steh besser nicht auf, wer weiß, was passiert." Ich verlasse sein Zimmer und renne die Treppe nach unten. Dort stehen Fothy und Bez schon vor einem Bildschirm und schauen Doc über das Kommunikationssystem zu. Anscheinend hatte ich tatsächlich recht: Kaum habe ich das Zimmer verlassen, da steht Doc auch schon auf, ist allerdings mehr als wackelig auf den Beinen. Trotzdem schafft er es, sich an den Möbeln entlang zu hangeln und erreicht seinen Kleiderschrank. Vermutlich nur zur Hälfte absichtlich lässt er sich auf den Boden fallen und krabbelt zu der Stelle, aus der ich die Mappe herausgeschnitten habe. Sichtlich ermattet reißt er an einer Ecke des Teppichs, sodass der sich vom Boden löst. Ich hätte ihn gar nicht aufschneiden müssen... Aber dafür ist es jetzt sowieso zu spät. Man kann sehen, wie Doc zusammenzuckt als er entdeckt, dass die Dokumente weg sind. Hoffentlich verhält er sich genau so vorausschaubar wie in diesem Moment, dann würde der Plan einwandfrei aufgehen. Und ich hätte nicht nur Doc am Haken, sondern alle Feinde gleichzeitig. Bis jetzt sieht es gut aus: Er tritt den Teppich wieder am Boden fest und taumelt zurück in sein Bett. Dort angekommen sucht er in seiner Nachtischschublade das Handy, das ich zuvor wieder dort platziert habe. Sofort beginnt er, eine Nummer zu wählen und drückt auf grün. Einen Augenblick später beginnt das Wählen, das wir hier unten laut und deutlich über einen Lautsprecher hören können, den wir am Handy angebracht haben. Und wie auch immer können wir zurückverfolgen, wo der Anruf angenommen wird, solange das Gespräch nur entsprechend lang ist. Kurz darauf meldet sich eine rauchige Stimme: „Yankee." Häh? Doc antwortet gehetzt. „Lima. Ich benötige ein Treffen mit Foxtrott oder höher." Und wieder: Häh? Doch Fothy und Bez scheinen das zu verstehen. Zumindest ansatzweise, denn keiner der beiden verzieht die Miene. „Besteht eine akute Gefahr?" Die rauchige Stimme bleibt ruhig. „Ich kenne die Quelle nicht." Langsam komme ich mir vor wie in einer kryptischen Ausgabe einer schlechten Seifenoper. Können die nicht einfach Klartext sprechen? Aber natürlich ist denen das egal. „Ich kümmere mich darum. Warten Sie auf weitere Kontaktaufnahmen." Der Anruf bricht ab. „Scheiße, das war zu kurz." Fothy schlägt auf den Tisch und flucht unterdrückt. „Mach dich auf den Weg, die beiden Sanitäter dürften bald ankommen." Bez begleitet mich zum Fuß der Treppe und umarmt mich. „Wir sind bald wieder zu Hause. Ich weiß zwar nicht, was in die gefahren ist, aber seit du gefühlt hast, verhältst du dich wie eine Irre." Ich löse mich aus seiner Umarmung und schaue ihn böse an. „Das war nicht fies gemeint. Ich meine nur, dass du aufpassen solltest, was du tust. Wenn du gefühlsgesteuert handelst, kann das nach hinten losgehen. Man macht Fehler, die man später teuer bezahlen muss." Ich nicke und speichere seine Worte in meinem Gehirn ab. Vielleicht bringen sie mir irgendwann noch einmal etwas. Zumindest klingen sie logisch. Ich steige die Treppe hoch und rufe dabei laut nach Doc, sodass er mein Kommen hört. Als ich den Raum wieder betrete, sitzt er kerzengrade im Bett und hält sich den Verband am Kopf. „Sind die Sanitäter schon da?" Ich nicke und helfe ihm dabei, aufzustehen. Auch wenn er das gerade eben noch alleine hinbekommen hat. Aber ich lasse mir nichts anmerken und trage ihn fast die Treppe nach unten, weil die Sanitäter noch nicht da sind. Unten angekommen öffnet sich die Haustür und eine Rolltrage erscheint. Vorsichtig platzieren wir Doc darauf und schnallen ihn fest. Die beiden Sanitäter scheinen echt zu sein. Zumindest füllen sie vorschriftsmäßig ihre Protokolle aus und wollen den Unfall an die Zentrale weitergeben, aber Fothy folgt den beiden und hält sie heimlich davon ab. Vermutlich haben die beiden jetzt ein paar neue Freunde namens Benjamin Franklin. Ja, ja, diese Freundschaft hält ewig. Vorsichtig verfrachten wir Doc in den hinteren Teil des Krankenwagens und dann geht es auch schon los. Wie gestern auch erreichen wir den Flughafen sehr schnell und betreten sofort das Flugzeug, die beiden Sanitäter helfen uns mit Doc, dessen Trage wir mit Kabelbinden an mehreren Sesseln befestigen, damit er beim Start nicht wegrollt. Kurz darauf rollen wir auf die Startbahn und legen sehr schnell an Tempo zu. Also ehrlich, würde ich für jeden Flug Meilen bekommen, könnte ich mir in ein paar Wochen wahrscheinlich nicht nur ein Zimmer auf den Malediven kostenlos buchen, sondern gleich das gesamte Hotel. Etwas genervt gleiche ich den Druck in meinen Ohren aus und schnalle mich fester an. Kaum sind wir vom Boden abgehoben, da steht Fothy auch schon wieder auf und verschwindet im unteren Geschoss des Fliegers. Was auch immer er da unten treibt, es klingt ziemlich gefährlich. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen. Gespannt suche ich nach einem Gefühl, auch wenn es wieder Leere ist. Alleine die Erfahrung hat sich gelohnt und schreit nach einer Wiederholung. Doch leider finde ich nichts mehr. Mein Herz ist wieder verschlossen. Und es scheint nicht so, als würde es ein spezielles System geben, wann und unter welchen Umständen es sich öffnet. Wenn überhaupt. Doch weil es gerade so gemütlich ist, lasse ich die Augen einfach geschlossen und dämmere kurz darauf weg.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt