41

114 8 0
                                    


Gefühlte zwanzig Minuten später landen wir wieder. Da ich die ganze Zeit geschlafen habe, ist dieses verschobene Zeitgefühl durchaus berechtigt. Ausgeschlafen und putzmunter verlassen wir das Flugzeug und steigen in einen schwarzen SUV, der bereits auf uns wartet. „Das ist inzwischen so klischeehaft, das nächste Mal will ich einen pinken Wagen haben", witzele ich. Dieses Mal fahren wir nicht wie von der Tarantel gestochen, sondern lassen uns Zeit, weil wir sowieso früh dran sind. Anscheinend hat niemand damit gerechnet, dass ich mitten in der Nacht aufstehe um herzufliegen. Mein Verdacht verfestigt sich, als wir die Baze erreichen und in der Eingangshalle beinahe von zwei ansausenden Bowlingkugeln erschlagen werden. Gerade noch rechtzeitig zieht Bez mich aus der Bahn. Trotzdem kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen: Es haben sich zwei Teams gebildet, die sich in typischen Bowlingoutfits gegenüberstehen und einen Wettkampf austragen. Doch als sie mich erblicken, legt sich die Begeisterung zu meiner Enttäuschung leider sehr schnell und die Spieler stellen sich in einer Reihe auf. Schuldbewusst starren sie den Boden an und wagen es nicht, mich anzusprechen. Ich seufze. In solchen Momenten hasse ich meine Position. Wieso spielen sie nicht einfach weiter? Aber ich weiß, dass das niemals jemand wagen würde. Deshalb richte ich das Wort an die Mannschaften und die Zuschauer: „Lasst euch von mir bitte nicht stören. Einfach weitermachen." Ich haste beinahe schuldbewusst durch die Halle und lasse das reale Leben hinter mir. Stattdessen erwartet mich Chili im ersten Stockwerk mit einem Stapel Papier, den er mir in die Hand drückt. Ohne Begrüßung legt er los: „Das sind alle Informationen über unseren Gast, die ich finden konnte. Aber du kennst ihn bereits." Ich will auch etwas Spaß haben, weshalb ich nicht auf den Steckbrief blicke. Vorfreude ist die schönste Freude, heißt es doch. Und die anderen haben gesagt, dass ich mich freuen werde. Also springe ich ins kalte Wasser und verlasse mich auf sie. Ich folge Chili in einen Teil der Baze, den ich bisher noch nicht betreten habe. Die Wände sind hier weiß gestrichen und das unangenehme Licht, das die zahlreichen Neonröhren an der Decke verbreiten, sticht in den Augen. Ich werde dieses Gebäude niemals verstehen. Aber das ist in diesem Moment herzlich egal, ermahne ich mich in Gedanken selbst und konzentriere mich wieder auf den Weg. Unsere kleine Prozession endet vor einer ebenfalls weißen Tür, die Chili für mich öffnet. Ich trete ein und meine Vorfreude verwandelt sich in Verwunderung mit einer kleinen Prise Verstörung. Was will der denn hier? Und vor allem CIA? Vor mir steht der Chef des FBI, Henry Copper. „Was wollen Sie denn hier?", fasse ich meine Gedanken in Worte. Bez betritt in diesem Moment ebenfalls den Raum und schaut noch verwunderter als ich mich fühle. Copper starrt mich durchdringend an, als versuche er, mich mit seinem Blick in Flammen aufgehen zu lassen. „Welch eine Freude." Seine Stimme trieft vor Verachtung, aber inzwischen bin ich das gewohnt. Ich gehe auf ihn zu und schüttele seine Hand, die er mir entgegenstreckt. „Was verschafft mir die Ehre?" Copper bedeutet mir, ich solle mich hinsetzen. Denkt er etwa, er hat die Kontrolle über mich? Die bekommt er niemals. „Ich bleibe stehen. Was wollen Sie? Denken Sie, Sie könnten hier einfach so hineinspazieren?" Er seufzt und setzt sich selbst auf seinen Stuhl. „Natürlich nicht. Ich habe es ja mit der großen Königin zu tun und deren Befehlen muss man sich fügen." Ich versuche es zwar, aber ich verstehe nicht so ganz, was er mir damit sagen will. Ich schaue zu Bez hinüber, der auf dem Klemmbrett hin- und herblättert. Als er bemerkt, dass ich ihn anschaue, zuckt er nur mit den Schultern. Vielen Dank für die Hilfe. Ich wende mich wieder Copper zu, der inzwischen eine Verwandlung durchlaufen hat: Sein Kopf ist puterrot und er sieht so aus, als ob er keine Luft mehr bekommen würde. Gleichzeitig bebt er am ganzen Körper und muss sich sichtlich zusammenreißen, um sich nicht auf mich zu stürzen. Zu mehr als zu einem irritierten Blick bin ich im Moment nicht fähig und das bringt bei ihm das Fass anscheinend zum Überlaufen. Mit einem riesigen Hechtsprung wirft er sich auf mich, hält mir die Hände über dem Kopf zusammen und drückt mir mit dem anderen Arm die Luft ab. Ich bin viel zu überrascht um mich zu wehren und selbst wenn ich wollte, könnte ich mich jetzt nicht mehr bewegen. Abgesehen davon tauchen bereits schwarze Flecken in meinem Sichtfeld auf und der Sauerstoffmangel frisst mein Bewusstsein. Mit dem letzten Rest Energie den ich aufbringen kann ramme ich Copper mein Knie in die Seite, was diesen zwar nach Luft schnappen lässt, ansonsten aber eher effektlos bleibt. Jetzt habe ich endgültig keinen Sauerstoff mehr zur Verfügung und mein Sichtfeld ist auf die Größe eines Stecknadelkopfes geschrumpft. In dem Moment, in dem ich mit meinem Leben abschließen will, verschwindet der abartige Druck von meiner Luftröhre und frischer Sauerstoff strömt in meine Lunge. In diesem Augenblick setzt der Schmerz ein, so heftig wie noch nie in meinem gesamten Leben zuvor. Ich krümme mich auf dem Boden zusammen und schnappe schon wieder nach Luft. Stechend und gleichzeitig pulsierend dringt der Schmerz von meinem Brustkorb in mein Gehirn und legt meine Gedanken lahm. Bez taucht in meinem Sichtfeld auf und sieht panisch aus. Er schiebt seine Arme unter meinen Körper und trägt mich aus dem Raum. Von dem Weg bekomme ich nicht viel mit, nach wie vor bin ich zu sehr mit dem Stechen in meiner Brust und meinem Gehirn beschäftigt. Nicht wirklich als positiv einzustufen ist daher auch das Ruckeln und Wackeln, weil Bez wie vom Floh gestochen die Rolltreppen hochsprintet und dabei beinahe selbst stürzt. Trotzdem erreichen wir die Krankenstation in einem Stück und Bez legt mich auf eines der Betten, die auf dem Gang verteilt leer herumstehen. Die Matratze ist schön weich und schmiegt sich an meinen Körper. Gleichzeitig aber auch um meinen Brustkorb und verursacht dadurch eine noch schlimmere Schmerzwelle als vorhin im Verhörraum. Und dieses Mal schreie ich dazu noch drei Oktaven höher als meine Normalstimme in das Kopfkissen. Bez ist jetzt nicht mehr zu halten und schiebt das Bett durch die Menge aus Ärzten und Pflegern, die sich inzwischen um mich herum versammelt haben. Gnädiger Weise versinke ich in diesem Moment in einer tiefen Ohnmacht.


Und wache kurz darauf wieder auf. Der Schmerz ist immer noch da und lähmt meine Gedanken. Oder nein, das was meine Gedanken lähmt entleert sich eine Sekunde darauf in einen Eimer, den Bez mit gerade noch rechtzeitig unter den Kopf schiebt. Durch die plötzliche Bewegung drängt sich der Schmerz wieder in den Vordergrund und verursacht erneut Brechreiz. So geht das weiter, bis mein Magen tiefentleert ist und ich nicht mehr spucken kann. Und falls ich es doch getan hätte, wäre vermutlich mein Magen mit rausgekommen. So fühlt es sich jedenfalls an. Völlig erschöpft lasse ich mich mit Bez Hilfe vorsichtig wieder in die Kissen sinken. „Willkommen zurück unter den Lebenden." Er wollte anscheinend einen Witz machen, aber momentan kann ich nicht einmal künstlich lachen. Ich fühle mich mit jeder meiner Zellen elend. Jetzt ist wieder einer dieser Momente, in dem ich gerne weinen würde, aber mein ausgelaugter Körper erlaubt es mir natürlich nicht. Bez wischt mir den Mund ab und hilft mir beim gurgeln. Und als ob das nicht schon peinlich genug wäre, schiebt er mich anschließend auch noch samt Bett einmal quer durch die Baze in einen Aufzug, um mich schließlich in das Zimmer meiner Krankenstation zu bewegen. „Wieso kann ich nicht unten bleiben?" Bez setzt zu einer Antwort an, aber bevor ich die Antwort höre schlafe ich ein.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt