Ein penetrantes Piepen reißt mich aus dem Schlaf und ich fahre hoch. Es ist nur mein Wecker aber ich starre verwundert auf meine Hand: Ich halte eine Pistole im Anschlag. Wie kommt die denn in mein Bett? Mit dem Unterarm schlage ich auf den Wecker und stehe auf. Die paar Stunden Schlaf haben sich tatsächlich gelohnt, ich bin wieder topfit. Schnell springe ich unter die Dusche und lasse mir das warme Wasser über den Rücken laufen. Das Shampoo des Hotels riecht gut und ich bin fast traurig, als der Schaum im Abfluss verschwindet. Lange trauern kann ich aber nicht, denn mein Handy klingelt. Ich haste aus der Dusche, pitschnass, und verteile das komplette Wasser in meinem Zimmer. Kurz bevor ich auf den Wasserfilm ausrutschen kann, falle ich auf mein Bett und gehe ans Handy. „Morgen Victoria, gut geschlafen?" Bez klingt verdammt gut gelaunt. „Ja, glaube schon. Was ist?" „Wir haben gerade einen neuen Pass für dich bekommen, damit wir wieder nach Hause fliegen können." „Wieso? Ich bin doch erst ein paar Tage unterwegs." „Schon klar, aber diese Identität ist schon das letzte halbe Jahr quer durch Amerika und nach China gereist. Wir waren fast schon ein bisschen nachlässig." Ich verdrehe die Augen. Manchmal nervt es doch ganz schön, Kriminelle zu sein. Ständig muss man aufpassen, nicht aufzufallen. „In Ordnung. Was muss ich tun?" Bez zögert einen Moment. „Naja, du musst dir die Haare färben." Och nö! „Ich komme in zehn Minuten hoch und helfe dir." Er legt auf. Ich seufze und lasse das Handy sinken. Ich rapple mich hoch und gehe zu meinem Schrank. Seit Thekla nicht mehr meine Stylistin ist, lässt meine Garderobe sehr zu wünschen übrig. Ein lästiger Fakt, der sogar mir auffällt. Lustlos wühle ich mich durch die Kleiderstange und komme schließlich bei einer smaragdgrünen Hose mit einer weißen Bluse an. Ich schlüpfe hinein und drehe ein neues Handtuch um meinen Kopf, um nicht gleich wieder nass zu sein. Dann beginne ich, den Boden zur trocknen. Und da das Wasser in der Dusche immer noch läuft, drehe ich den Hahn zu. Kurz darauf öffnet sich die Tür und Bez steckt den Kopf hinein. „Morgen." Ich hebe den Kopf. „Ah, du. Morgen." Er hat eine kleine Schachtel in der Hand, die er unheilvoll hin- und herschwenkt. „Können wir anfangen?" Ich nicke und wir gehen ins Bad. „Du weißt aber schon, dass es einen Hoteleigenen Pool gibt? Du brauchst eigentlich keinen eigenen anzulegen." Ich verziehe den Mund, muss dann aber doch grinsen. Ich setze mich auf den Rand der Badewanne und fahre fast im gleichen Augenblick wieder hoch. „Das ist ja nass!" Bez lacht. Ich boxe ihm spielerisch gegen die Schulter. Er grinst weiterhin und beginnt, die kleine Schachtel genauer zu studieren. „Dann wollen wir mal." Er zaubert einen Pinsel hervor und drückt ihn mir in die Hand. Es folgen ein paar kleine Tuben und Flaschen. „Gib es zu, du hast keine Ahnung, was du da gerade machst." Er grinst und zuckt mit den Schultern. „So schwer kann das doch gar nicht sein." Mit einem professionellen Blick schüttet er den Inhalt mehrerer Fläschchen ineinander und schüttelt das Ganze. „Was ist das für eine Farbe?" „Schwarz. Hoffentlich." Oh oh. Bez zieht die Handschuhe an, die in der Packung waren und beginnt vorsichtig, meine Haare mit der Farbe zu bearbeiten. Zu meiner Verwunderung stellt er sich gar nicht schlecht an, immerhin besser, als ich es je gekonnt hätte. Trotzdem dauert es eine Stunde, bis er komplett fertig ist. „So. Jetzt müssen wir es einziehen lassen. So lange können wir die Liste noch einmal durchgehen." Ich folge ihm ins Schlafzimmer und lasse mich in einen Sessel fallen. Bez zieht ein Klemmbrett hervor und blättert in den Seiten herum. „Aha. Wir haben von der Liste noch genau sechs Leute übrig, dann haben wir endgültig abgearbeitet." Mich überzeugt das nicht wirklich. „Woher willst du wissen, dass das wirklich alle sind?" Seit Monaten stelle ich mir die Frage, wieso. Nur diesmal stelle ich sie laut. „Ich gehe davon aus, dass es sich um die führenden Köpfe der Rebellen handelt." Eine lange Pause entsteht, die ich schließlich unterbreche: „Was meinst du, wieso?" Bez weiß was ich meine, auch wenn ich unpräzise frage. „Ich habe keine Ahnung. Thekla hat Neid gesagt, aber der verleitet niemanden dazu, einen großen Teil der Unterwelt umzudrehen, sodass sie sich gegen ihre Königin zusammenschließen." Ich ziehe die Beine an meinen Oberkörper und umschlinge sie fest. Mit der Königswürde ist das so eine Sache. Seit ich die Krone trage, hat sich mein Leben noch stärker verändert als in der Zeit, in der ich von der Mafia erfahren habe und von ihr ausgebildet wurde. Die größte Veränderung ist gleichzeitig die Schlimmste. Jaxx ist tot. Vor meinem inneren Auge sehe ich ihn zu Boden gehen. Schon wieder. Als wollte mein Gehirn mir sagen: „Glaub ja nicht, dass du vor Erinnerungen jemals in Sicherheit bist. Jaxx ist überall und nirgends. Das weißt du am besten." Und ich hasse es.
„Wir müssen die Farbe aus den Haaren entfernen." Bez rettet mich vor meinen Gedanken und zieht mich von meinem Sessel hoch. Wieder im Badezimmer halte ich den Kopf über die Badewanne und lasse mir von ihm die Haare auswaschen. Das Wasser tropft mir übers Gesicht und ich schließe die Augen. Bez wickelt mir ein Handtuch um den Kopf und ich richte mich wieder auf. Gespannt gehe ich auf den Spiegel zu. Normaler Weise habe ich immer eine Perücke auf, wenn ich eine andere Haarfarbe haben soll. Vorsichtig drücke ich das Handtuch zusammen, um möglichst viel Wasser darin aufzusaugen. Dann nehme ich es ab. Mich trifft der Schlag. „Die sind ja grün!" Bez kratzt sich verwirrt am Kopf und betrachtet die Pappschachtel in seiner Hand. Gleichzeitig versucht er nicht sehr erfolgreich, nicht loszulachen. Und während ich ziemlich hektisch meine Haare im Spiegel nach einer letzten braunen Spur durchkämme, liegt er auf dem Boden und japst nach Luft. Aber da ist nichts zu wollen, sogar meine Kopfhaut hat eine leichte Grünfärbung angenommen. Mit zu Schlitzen verengten Augen drehe ich mich zu Bez herum. „Warst du das?" Er schüttelt den Kopf und lacht weiter. Ich werfe mein Handtuch nach ihm und verlasse das Badezimmer. Es gibt nur einen, der jetzt weiterhelfen kann. Schnell ziehe ich mir die zum Glück nicht durchsichtige Duschhaube über den Kopf, die es im Hotelbadezimmer gibt und trete auf den Gang hinaus, nachdem ich mich vergewissert habe, das der verlassen ist. Mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf laufe ich zum Aufzug und fahre ein Stockwerk nach unten. Dort wartet eine kleine Menschengruppe zu meinem Pech gerade auf den Lift und ich werde von allen Seiten mit skeptischen Blicken bedacht, als ich mit Plastiktüte auf dem Kopf auf den Gang hinaustrete. Aber es nützt ja nichts, ich nicke allen freundlich zu und verschwinde hinter der nächsten Ecke. Bevor es zu weiteren unangenehmen Zwischenfällen kommen kann, erreiche ich endlich mein Ziel und klopfe an die Tür. Doc, der ziemlich verschlafen aussieht, öffnet ein paar Sekunden später. „Was ist das denn bitte?" Er starrt meine Badekappe an, aber ich dränge mich schon an ihm vorbei in sein Zimmer. Eigentlich sollte ich immer noch sauer auf ihn sein, aber wirklich nachtragend bin ich nicht. „Ich brauche dein Hilfe." „Hast du eine Ahnung wie spät es ist? Oder eher wir früh?" Vielleicht sollte ich mir das mit dem nachtragend sein noch einmal überlegen. „Bevor du fragst: Es kann nicht warten." Mit diesen Worten ziehe ich mir die Kappe vom Kopf und gleichzeitig klappt Doc das Kinn nach unten. „Oh oh." So weit war ich auch schon. „Bez hat mir die Haare gefärbt. Aber das Schwarz ist grün." Doc nickt. „Das kann ich sehen." Ich verdrehe die Augen und lasse mich auf einen Stuhl sinken. „Kannst du da was machen?" Er schüttelt den Kopf. „Das muss nachgefärbt werden. Aber nicht sofort, dass macht deine Haare kaputt. Heute musst du eine Perücke aufziehen und mich schlafen lassen." Na super. Ich stehe wieder auf und verlasse sein Zimmer. Jetzt sehe ich wie eine laufende Gurke aus. Dieses Mal nehme ich die Treppe und erreiche mein Zimmer ungesehen. Die Tür steht offen und Bez wartet auf mich. „Wir müssen sofort wieder in die Baze." Seine Stimme ist angespannt und duldet keinen Widerspruch. Anscheinend hat er meine Tasche in der Zwischenzeit bereits gepackt und auch eine Perücke gesucht. Wo findet er so etwas nur immer? Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf Reisen immer mehrere Perücken dabeihaben. Schnell packe ich meine immer noch nassen Haare unter ein Haarnetz und ziehe mir kopfüber die Perücke über den Kopf. Bez streicht mir die Frisur glatt und hilft mir in einen Mantel, der meine anderen Klamotten überdeckt. Dann verlassen wir das Hotelzimmer mit einer Tasche und einem kleinen Koffer, steigen in ein Taxi und sagen New York City auf Wiedersehen. „Wieso nehmen wir die anderen nicht mit?" „Die werden nicht gebraucht. Ob du es glaubst oder nicht: Fothy war auch mal Soldat bei der Mafia. Mit einer Waffe kann er umgehen und zu dritt können sie den Job ohne Probleme erledigen." „Wieso haben sie das bisher nicht gemacht?" Bez schmunzelt. „In dreißig Jahren sprechen wir noch einmal darüber. Ich bezweifle ernsthaft, dass du dann noch Lust hast, mit alten Knochen über Hochhäuser zu rennen und Leute zu erschießen." Ich schüttele den Kopf. „Wieso müssen wir eigentlich zurück?" „In der Baze ist ein CIA-Agent aufgetaucht und hat sich als Lieferant ausgegeben. Wir haben so eine Art Protokoll, wie wir mit solchen Leuten verfahren. Aber ich glaube, das könnte dich interessieren." Tatsächlich? Wer sollte das sein? Die Queen? John F. Kennedy? Wie auch immer, das ist mein Job und ich werde machen, was man von mir verlangt. Kurz darauf erreichen wir den Flughafen bezahlen den Taxifahrer mehr als großzügig, eilen am Sicherheitscheck vorbei und steigen in das Flugzeug, das wie immer nur auf uns wartet. Lebt dieser Pilot etwa im Cockpit?
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Victories (Buch 2)
ActionJaxx ist tot, er wurde während der Krönungszeremonie erschossen. Von Rachegedanken geplagt versucht Emilia Stoneforth als neue Victoria nun, die verantwortlichen Rebellen aufzuspüren - um ihnen zu geben, was sie verdienen...