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Das Flugzeug landet abends in Massachusetts. Schwerstbewaffnet kämpfen wir uns die Gangway entlang und verschwinden von den Sicherheitskontrollen unbehelligt durch einen Seitenausgang. Möglichst leise gehen wir durch die Garage des Flughafens. Bez hält einen Autoschlüssel in der Hand und drückt alle fünf Sekunden darauf, bis endlich ein – zur Abwechslung – schwarzer Geländewagen blinkt. Wir steigen ein. „Kennst du dich hier aus?" Bez nickt. „Habe schon den Stadtplan auswendig gelernt." „Streber." Bez kichert und startet den Motor. „Aber nicht zufällig den des Parkhauses?" Bez schaut mich böse an. „Ich meine ja nur. Da wir seit etwa zehn Minuten hier herumkurven." Ich lache in mich hinein. Auf der dunklen Straße bleibt mir das Lachen aber weitgehend erspart, da ich mir meiner Aufgabe immer bewusster werde. In weniger als einer halben Stunde werden wir in mein eigenes Haus einbrechen, um meine besten Freunde und Verbündete zu retten. Wir kennen weder den Gegner noch dessen Absichten. Da kann ich nur hoffen, dieses Weihnachtsfest noch zu erleben. Wie komme ich jetzt auf Weihnachten? Egal. Bez schaltet den Motor aus. „Wir sind da." Ich habe verstanden. Leise öffne ich die Autotür auf meiner Seite und gleite auf den Bürgersteig. Bez folgt mir auf der anderen Seite. Geduckt rennen wir an der Hauswand entlang, bleiben an der Regenrinne stehen und beginnen zu klettern. Sogar durch meine Handschuhe fühlt sich das Metall kalt an. Vorsichtig hieve ich mich über die Dachkante, rolle mich weiter und stehe auf. Bez ist direkt hinter mir. Hinter einer der Gauben verstecken wir uns und ich öffne die Schnalle, die eine Armbrust auf Bez Rücken befestigt. Er legt einen Pfeil ein und reicht mir die Waffe. „Bist du dir sicher? Ich habe das noch nie gemacht." Verunsichert schaue ich das Teil an. „Du kannst mit allem schießen. Besser als ich." Na dann. Ich lege mich flach auf den Bauch und visiere mein Ziel, die Attika des gegenüberliegenden Hauses, an. So ruhig wie möglich hole ich tief Luft und halte sie an. Sammle meine Gedanken. Atme aus. Drücke ab. Der Bolzen fliegt lautlos durch die Luft und zieht das dünne Seil hinter sich her, dessen Ende Bez in den Händen hält. Der Pfeil trifft wie prophezeit sein Ziel. Ich stecke mir einen Kaugummi in den Mund und atme so ruhig wie möglich durch die Nase. Vorsichtig beginnen wir, den Draht auf unserer Seite zu befestigen. „Ich hoffe, das hält", flüstere ich, als ich mich mit einem Haken an die Vorrichtung schnalle. Ich lasse los und schwebe über den Zaun zum Nachbargrundstück hinweg. Der Wind pfeift mir um die Ohren. Auf der anderen Seite angekommen ziehe ich mich am Dach hoch und bedeute Bez mir zu folgen. Keine Minute später ist er wieder neben mir und schaltet unsere Headsets ein. Eines davon schnalle ich mir um den Kopf und biege das Mikrofon zurecht. Ein letztes Mal umarme ich Bez, dann gehen wir in verschiedene Richungen los. Ich folge dem Plan in meinem Kopf und erreiche planmäßig eine Fluchttür auf dem Dach. Mit einer Taschenlampe im Mund ziehe ich ein Dietrichset aus einer Hosentasche und beginne, den Stromversorgungskasten neben der Tür zu bearbeiten. Schnell schwingt die Klappe auf und ich habe Zugang zur Stromzufuhr. Aus einer weiteren Tasche ziehe ich eine Blackbox aus dem Flugzeug, die sämtliche Sicherheitssysteme außer Kraft setzt. „Blackbox bereit", flüstere ich. Auf der anderen Seite scheint Bez in Position zu sein, denn ein „Blackbox aktivieren" ertönt leise in meinem Ohr. Ich drücke den kleinen Knopf und schließe den Sicherungskasten wieder. „Blackbox aktiv." Ich renne los, weiche Metallrohren und anderen Stolperfallen aus, springe über ein Dachfenster und lande schließlich auf dem Fenstersims einer riesigen Glasfront. Den Kaugummi, den ich die ganze Zeit gekaut habe, klebe ich mitten auf die Scheibe, drücke einen Brillianten hinein und ziehe einen Hammer aus dem Gürtel meiner Hose. „Tür offen, alles ruhig." Ich hole tief Luft und hole aus. Der Hammerkopf kracht auf den Brillianten. Einen Moment befürchte ich, dass mein Plan nicht aufgegangen ist, doch da bröckelt die Glasscheibe weg und gibt den Durchgang frei. Erleichtert beginne ich leise zu lachen und verstecke mich hinter der Hausecke, immer noch auf dem schmalen Sims balancierend. „Alles okay. Treib sie raus." Von Bez höre ich nichts mehr. Allerdings sind aus dem Haus Schüsse wahrzunehmen. Vorsichtig luge ich um die Ecke. Die ersten kommen schon angerannt. Sie brüllen Befehle in einer mir unverständlichen Sprache. Ich hebe eine Pistole und eröffne das Feuer. Die Kidnapper sind in dem Raum gefangen: Bez steht vor der Tür und schießt, ich bin auf der anderen Seite und sichere das Fenster. Nach einem kurzen Kampf steht keiner der Angreifer mehr auf den Beinen. Ich schwinge mich durch das offene Fenster in den Raum hinein. „Das wäre geschafft. Sind nur noch die da unten." Bez deutet auf den Fußboden. Ich kann schon hören, wie sie ihre Waffen entsichern. „Die ergeben sich mir vermutlich nicht?" Bez schüttelt den Kopf. „Ist aber auch gut so. Da haben wir wenigstens etwas zu tun." Ich grinse ihn an. „Auf in den Kampf!" Bez rennt los und sichert den Treppenaufgang. Als er mir ein Zeichen gibt, laufe ich die Treppe herunter und erschieße jeden, der sich mir in den Weg stellt. Erstaunlich wenige Menschen. Als ich das untere Stockwerk erreicht habe, folgt Bez mir. „Das waren zu wenige. Irgendetwas stimmt hier nicht." Er nickt. Laut Plan müssen Fothy und Doc in dem Raum sein, der sich hinter der rechten Tür befindet. „Du gehst außen rum durch die andern Räume, ich nehme die Tür." Bez läuft los. Ich stecke meine Waffe wieder in das Holster an meinem rechten Bein und ziehe einen Stapel Wurfmesser hervor. Mit denen kann ich auf kurzer Distanz besser umgehen. Ich hole einmal tief Luft, lehne mich mit dem Rücken gegen die Wand und öffne mit ausgestrecktem Arm die Tür, um nicht sofort im Schussfeld zu stehen. Wie erwartet fliegen die ersten Kugeln schon los, bevor die Tür vollständig geöffnet ist. Ich warte den ersten Kugelschauer ab und renne geduckt los. Blitzschnell registriere ich alle anwesenden Personen: Insgesamt sieben Schützen, außerdem Bez und Fothy, die in der Mitte des Raumes sitzen. Ich lasse die ersten Messer fliegen. Der nächste Kugelhagel beginnt und ich werfe mich flach auf den Boden, rutsche ein paar Meter weiter und reiße einen Geiselnehmer zu Boden. Der wehrt sich heftig und versucht mir den Arm auszukugeln, aber mein Arm legt sich um seinen Hals und meine andere Faust kracht gegen seine Schläfe. Bewusstlos erschlaffen seine Arme. Ich wälze ihn von mir herunter und komme wieder auf die Füße. Die anderen Angreifer haben sich inzwischen auch genähert. Und alle haben die Waffen gehoben. Ich bin machtlos gegen sie. „Victoria." Ich zucke zusammen, als der größte der Männer meinen Namen nennt. „Na so eine Überraschung." Er kommt auf mich zu und rammt mir die Faust in den Bauch. Manchmal ist es gar nicht so schlecht, keinen Schmerz zu spüren. Das scheint zumindest den Mann zu erschrecken, da ich nicht einmal zusammenzucke. „War es das dann?" Er schaut mich verdutzt an. Seine Verwirrung ausnutzend packe ich ihn an den Schultern, drehe ihn grob um und halte ihm ein Messer an den Hals. „Waffen runter." Die Mündungen der Pistolen sinken. „Zu mir." Das laute Krachen von Metall auf Steinkacheln tönt mir in den Ohren, als alle gleichzeitig ihre Waffen fallen lassen und sie zu mir kicken. „Sehr schön. Wer seid ihr? Was wollt ihr?" Ich schüttele den Chef ein bisschen. „Du dumme Schlampe!", keucht der. „Wie war das?" Er lacht dreckig. „Hast schon verstanden. Du dreckige Schlampe! Glaubst du etwa, du könntest den Thron einfach so an dich reißen? Du bist noch lange nicht so lange im Geschäft wie ich!" Seine Aussprache ist ein wenig feucht und der Schweiß läuft ihm in Strömen über die Stirn. Die Spitze meines Messer bohrt sich automatisch ein wenige mehr in seine Haut und der erste Blutstropfen sammelt sich an der Klinge. „Erstens habe ich mir das nicht ausgesucht. Und zweitens bin ich besser als ihr alle zusammen", knurre ich ihm ins Ohr. In diesem Moment fliegt die Tür gegenüber von mir auf und Bez stürmt herein. Der Lauf deiner Pistole zuckt hin und her und kurz darauf gibt es keinen einzigen Angreifer mehr, der auch nur im Entferntesten ernst zu nehmen wäre. Bleibt also nur noch der Chef, der keuchend auf seine toten Kameraden blickt. „Was..." Bez wirft mir zwei Kabelbinder zu und ich verschnüre den Mann wie ein Paket auf dem Boden. Dann renne ich zu Fothy und Doc. Die beiden sind bewusstlos, ihre Köpfe hängen traurig nach unten. „Hast du zufällig auch Medizin studiert, oder hat das nur Jaxx gemacht?", wende ich mich an Bez. Der nickt. „Hab ich. Binde sie los." Mit dem letzten verbliebenen Wurfmesser schneide ich die Fesseln von den Handgelenken der beiden ab und helfe Bez, sie nebeneinander in der stabilen Seitenlage zu positionieren. „Pass auf, dass sie ihre Zungen nicht verschlucken." Ein wenig angeekelt taste ich mit zwei Fingern nach Docs Zunge und ziehe sie nach vorne. Dasselbe wiederhole ich bei Fothy. „Ich bin echt unterbezahlt." Bez kniet sich neben mich und tastet die Hälse der beiden nach einem Puls ab. „Beide kräftig. Kann nicht mehr lange dauern." Er hilft mir, die Jacke und die schusssichere Weste auszuziehen. „Das darf doch nicht wahr sein!" Bez flucht wie verrückt und ich drehe mich verwundert um. „Spürst du was?" Ich schüttele den Kopf. „Du hast dir eine Kugel in der Schulter eingefangen. Jaxx wird mich umbringen!" Ich taste mit der Hand nach hinten. Meine Finger berühren etwas Warmes und als ich die Hand wieder nach vorne hole, ist sie blutrot. Scheiße. „Leg dich auf den Bauch, die Kugel ist da noch drin!" Ich tue, was Bez mir befiehlt. Währenddessen rennt der los und kommt mit einem Notarztkoffer zurück. „Wo kommt der denn jetzt her?" Verwundert schaue ich mich um. „Doc hat immer so ein Teil dabei, wenn du erwartet wirst." Ich verdrehe die Augen. „Bleib still liegen." Ich drehe den Kopf in die andere Richtung und schaue die Wand an. Der Reißverschluss der Tasche gibt ein bedauerliches Geräusch von sich, als Bez ihn aufreißt, dann beginnt er zu wühlen. „Das darf doch nicht wahr sein!" Er rennt wieder los und kommt mit einer Flasche Wodka aus der Küche zurück. „Augen zu!" Gerade noch rechtzeitig schließe ich sie, da schüttet er mir das Zeug auch schon über die Schulter, dann schneidet er mit seinem Kampfmesser mein Shirt über die komplette Rückenlänge auf. „Normalerweise würdest du von dem Schmerz ohnmächtig werden, aber das können wir vergessen." Er schnappt sich eine Art Zange und taucht sie in den Wodka. „Hol tief Luft und halte sie an." Tue ich zwar nicht, aber Bez bohrt die Zange trotzdem in meinen Rücken. Immerhin das spüre ich. Kurz darauf zieht er sie wieder raus und lässt neben meine Nase ein Projektil fallen. „Mit freundlichen Grüßen aus der Chirurgie." Er vernäht das Loch und wickelt mir einen Verband um die Schulter. „Stütz dich nicht auf den Arm auf." Er hilft mir hoch. Leider ist von meinem Shirt nur noch eine Seite vorhanden, sie andere liegt in Fetzen auf dem Boden verstreut. Ich kreise mit meinem Kopf und helfe Bez dann einarmig, die Leichen der Kidnapper in Richtung Tür zu ziehen. „Ruf in der Baze an, die sollen so schnell wie möglich einen Reinigungstrupp schicken. Das schaffen wir nicht alleine. Oder zumindest habe ich darauf keine Lust." Kann ich nur verstehen, weshalb ich mein Handy hervorziehe und die Nummer der Kommandozentrale wähle. Um Bez nicht im Weg zu stehen gehe ich in den Garten hinaus und betrachte den Sternenhimmel, während ich darauf warte, dass sich eine Verbindung aufbaut. Nach zwei Piepsern meldet sich jemand. „Bernie." Er klingt schroff. „Hi, hier ist Victoria." Komisch, dass ich mich selbst schon so nenne... „Ach, das ist aber eine Überraschung", beginnt Bernie. Manchmal frage ich mich, ob er wirklich ein Mensch ist oder nicht zufällig doch ein Androide mit einprogrammierten Sätzen. „Schon okay. Kannst du mir bitte so schnell wie möglich einen Reinigungstrupp schicken? Bez und ich haben eine kleine Schweinerei veranstaltet." Bernie seufzt am anderen Ende der Leitung theatralisch. „Wohin?" „Cambridge." Er zieht scharf die Luft ein. „Haben wir Verluste?" „Nein. Aber die, die Fothy und Doc gekidnappt haben. Hat sich aber alles erledigt, Bez und ich haben das geklärt." Bernie schnaubt hörbar. „Das hätte nach hinten losgehen können. Aber irgendwie ist es keine Überraschung. In drei Stunden kommt jemand vorbei." Er legt auf. Ich gehe zurück zu Bez und berichte, was Bernie gesagt hat. „Oh Mann. Wir haben also drei Stunden Zeit. Wie wäre es mit einer kleinen Trainingseinheit?" Lustlos lasse ich die Schultern hängen, was seinen Blick auf den Verband lenkt. „Vergiss das ganz schnell wieder. Wir könnten auch einfach was essen gehen." Das klingt gut, weshalb ich zustimme.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt