Keine drei Stunden danach sitze ich in einem Flugzeug und betrachte das Land von oben. „Ist das nicht etwas überreagiert?" Bez weiß, was ich meine. Nur wegen der Karte in die Baze zurückzukehren. „Bei uns ist sie nicht sicher. Es hat einen Grund, weshalb sie versteckt sein soll. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass sie sich in der Baze befindet. Aber Jaxx hat darüber nie ein Wort verloren." Schweigend starre ich aus dem dreifach verglasten Fenster. Irgendwie ist es merkwürdig, mit dem gesamten Geld der Mafia in einem Flugzeug zu sein. Und irgendwie beängstigend. Aber darüber kann ich mir im Moment keine Gedanken machen.
Wie ich das inzwischen schon gewohnt bin, stehen bei unserer Ankunft auf dem Flughafen in Kalifornien schon schwarze, gepanzerte Autos neben dem Privathangar uns warten mit laufenden Motoren auf Bez und mich. Schnell verlassen wir den Jet und steuern auf das Auto in der Mitte zu. Wir müssen uns beeilen, damit Fothy und Doc keinen Verdacht schöpfen. Außer uns weiß nach wie vor niemand von der Karte, die beiden denken, wir sind auf Erkundungstour. Kaum haben wir uns in den massiven Ledersitzen festgeschnallt, da werden wir auch schon in die Polster gedrückt. Unser Fahrer tritt das Gaspedal durch und rast vom Flughafen durch ein weit geöffnetes Tor vom Flughafen und steuert die Autobahn zur Baze an. Und dank dieses Tempos erreichen wir diese auch kurze Zeit darauf. Es hat schon seine Vorteile, einen Chauffeur zu haben, dem die Verkehrsregeln egal sind. In der Garage springen Bez und ich aus dem Auto und ich öffne die Tür zu meiner Wohnung. Die Luft riecht nach Jaxx. Ich weiß nicht, wie ich darauf komme, aber direkt nach dem ersten Atemzug schwirrt mir sein Bild durch den Kopf. Verärgert schüttele ich mich und gehe weiter. Das Licht der oben am Himmel stehenden Sonne streift die Fenster gerade so, dass ein schmaler Lichtstreif auf dem Boden zu sehen ist. Für einen kurzen Moment betrachte ich dieses Bild und renne dann so schnell wie es mir möglich ist, die Treppe hinauf. Ich habe eine genaue Vorstellung, wo ich die Karte platziere. Die Lichter in meinem Kleiderschrank flackern auf und werfen einen warmen Schein auf die sorgfältig aufgereihten Kommoden an der Wand. Eine davor steuere ich an. Meine Erinnerung war korrekt: Tatsächlich steht weiter hinten genau dieselbe Kommode wie in Cambridge. Vorsichtig öffne ich die unterste Schublade und finde Klamotten von Jaxx. War ja klar. Ich hebe einen Stapel hoch und platziere die Karte darunter. Erleichtert schließe ich die große Tür des Ankleidezimmers hinter mir und schaue noch im Schlafzimmer vorbei. Alles sieht so aus wie immer. Als ich mich wieder umdrehe und den Raum fast verlassen will, fällt mir ein kleiner Zettel auf, der auf Jaxx Nachtisch liegt. Der lag noch nicht da, als ich das letzte Mal hier war. Aber sicher bin ich mir nicht. Vorsichtig nehme ich ihn hoch und falte ihn auseinander. Mir stockt der Atem. Der Zettel beinhaltet eine Auflistung von Namen. Ganz oben steht Thekla. Die Liste der Verräter. Ich überfliege die Zeilen. Keiner der Namen kommt mir bekannt vor. Schnell falte ich das Papier wieder zusammen und lasse es in meiner Hosentasche verschwinden. Unten wartet Bez schon auf mich und zeigt ungeduldig auf seine Uhr. „Gerade hat mich Doc angerufen. Er wollte wissen, wo wir sind. Ich habe ihm gesagt, dass du gefahren bist und wir irgendwo in der Pampa feststecken. Wieso auch immer hat er mir das ohne zu zögern abgekauft." Bez grinst mich an. Ich boxe ihm spielerisch gegen den Oberarm. Schulter an Schulter verlassen wir meine Wohnung wieder und nehmen auf der Rückbank eines anderen Geländewagens platz, der sich kurz darauf in Bewegung setzt. Ohne Stopps erreichen wir den Flughafen, wo das startbereite Flugzeug schon auf uns wartet. „Kein Wort zu niemandem, sonst war es das", verabschiede ich mich von unserem Chauffeur, der nur unbewegt nickt und wortlos abfährt. Ich steige die Treppenstufen zum Jet hoch und mache es mir in einem der Sessel gemütlich. Bez nimmt mir gegenüber platz und lächelt mich an. „Schon verrückt, diese Aktion." Da kann ich ihm nur zustimmen. Kurz bevor wir abheben stecke ich mir einen Kaugummi in den Mund und klappe einen Laptop auf. Zum Glück ist der Internetempfang gut. Die erscheinende Startseite bringt mich aber fast dazu, das Gerät gegen die Wand zu pfeffern. Irgend so eine Klatschseite berichtet über mich und zeigt ein Foto, auf dem ich in Cambridge auf dem Unigelände zu sehen bin. Und ein weiteres. Von mir auf dem Flugplatz. „Wir haben ein Problem." Bez beugt sich über mich und fährt sich im nächsten Moment mit der flachen Hand über sein Gesicht. „Woher zur Hölle kommt dieser Mist?" Ich zucke mit den Schultern. „Wir können nur hoffen, dass Doc und Fothy das nicht bemerken. Ansonsten sind wir erledigt." Bez boxt mit der Faust gegen meinen Sessel. „Gib mir mal den Laptop." Ich reiche ihn ihm, er beginnt sofort zu tippen. „Komm mal her." Auf dem Bildschirm werden viele verschiedene Bilder sichtbar. „Wie geht das denn? Sollte das nicht sicher sein?" Bez grinst mich an. „Glaub mir, das ist es. Aber nicht, wenn man den Zugangscode hat." Tatsächlich schauen wir uns die Livebilder aus dem Haus an, die von dem Kommunikationssystem aufgenommen werden. Es ist also doch nicht nur schlecht. „Da sind Fothy und Doc." Ich deute auf einen der kleinen Bildausschnitte, den Bez anklickt. „Da droht keine Gefahr." Die beiden sitzen in der Küche und lesen in irgendwelchen Ordnern. Fred ist in seinem Labor und die Wachmänner in ihrem Zimmer und draußen. Gerade als Bez den Laptop schließen will, nehme ich eine Bewegung wahr. „Stopp!" Er hält inne. „Kannst du das mal vergrößern?" Bez klickt auf das Bild, das ich ihm anzeige, macht ein Standbild und vergrößert das. Zu erkennen ist ein Nachtisch, auf dem ein Handy liegt, auf dem gerade ein gewisser James Schuster anruft. Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Mehr in Gedanken ziehe ich die Liste aus der Hosentasche, die ich im Schlafzimmer in der Baze gefunden habe und falte den Zettel auseinander. Schnell überfliege ich die Liste. Und tatsächlich lautet der zehnte Name James Schuster. In meinem Kopf dreht sich alles und mir wird schlecht. „Wem gehört der Nachtisch?" Bez dreht sich zu mir herum. „Alles okay? Was ist?" Ich reiche ihm das Blatt. „Die habe ich aus der Baze, die lag da rum. Nummer zehn." Bez keucht auf. „Das ist eine Liste, die Jaxx zusammengestellt hat. Und das ist das Zimmer von Doc." Ich streiche mir eine Strähne aus der Stirn und atme tief ein. Wieso sind alle meine Freunde Verräter? Benommen lasse ich mich in meinen Sessel sinken und schließ die Augen. Zu meiner Überraschung ist es Bez, der ausrastet. Als der Krach losgeht, öffne ich die Augen wieder: Bez zertrümmert die Kaffeetasse in seiner Hand, indem er sie auf den Boden schleudert. Sein Handy folgt gleich darauf. „Wieso Doc? Ich hätte ihm mein Leben anvertraut!" Immer noch tödlich wütend rennt er die schmale Treppe in den ausgebauten Frachtraum des Flugzeuges und schnappt sich eine Waffe aus der Vitrine. Bevor er etwas unüberlegtes tun kann und zum Beispiel den Piloten umbringt, schlinge ich meine Arme um ihn und nehme die Pistole an mich. „Das bringt doch nichts. Überleg doch mal. Doc ist nicht alleine. Er ist, auch wenn es schmerzt, ein Anhänger von Thekla. Wir kennen ihre Gründe zwar nicht, aber so wie es aussieht, ist dieses ganze System mit Rebellen durchsetzt. Unser Vorteil ist, dass Doc das nicht weiß." Bez kneift die Augen zusammen, lockert aber seine verkrampfte Haltung. „Dieser Idiot hat Jaxx und mich aufgezogen! Er war eine Vaterfigur für mich! Und jetzt das? Das passt nicht zu ihm!" Ich nicke ihm bestätigend zu und lasse ihn los. „Deshalb sollst du ihn ja auch machen lassen. Vielleicht ist das alles nur ein Irrtum. Keiner ist unfehlbar. Alle machen Fehler. Und wir werden uns darum kümmern." Ich schubse ihn vor mir her die Treppe hinauf und drücke ihn in seinen Sessel. „Überlegen wir, was wir machen. Und schnappen wir den, der die Fotos von uns gemacht hat. Sonst endet das alles in einem Blutbad."
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Victories (Buch 2)
ActionJaxx ist tot, er wurde während der Krönungszeremonie erschossen. Von Rachegedanken geplagt versucht Emilia Stoneforth als neue Victoria nun, die verantwortlichen Rebellen aufzuspüren - um ihnen zu geben, was sie verdienen...