24

138 9 0
                                    


Das erste was mir auffällt als ich aufwache ist, dass man in Cambridge die Sonne nicht sieht. Die Fenster haben zwar keine Vorhänge, doch trotzdem kann man nur eine graue Masse erkennen. Vorsichtig, um Bez nicht zu wecken, stehe ich auf und verlasse das Zimmer. In der Küche finde ich Fothy, der gerade Frühstück zubereitet. „Morgen, Königin." „Nenn mich nicht so." Er zieht die Schultern hoch. „Da ist aber jemand gereizt." „Tut mir Leid." Ich lege von hinten meinen Arm um seine Schultern und schnappe mir ein Stückchen Paprika von der Arbeitsplatte. „Schon gut. Hol dir mal ein Brett und hilf mir, Gemüse zu schneiden." Da ich sowieso nichts Besseres vorhabe, tue ich, was er will. „Schneide die einfach in kleine Stücke", sagt er und reicht mir eine Packung mit Pilzen. Ich nehme mir ein Messer aus der Schublade und beginne, die Pilze zu zerstückeln. So mache ich weiter, bis ich ein unterdrücktes Lachen aus Fothys Richtung vernehme. „Was ist?" Ich wende ich zu ihm und sehe, wie er sich an der Arbeitsplatte festklammert und mich mustert. „Hast du jemals schon etwas geschnitten?" Ich schaue ihn pikiert an. „Natürlich." „Na dann..." Er dreht sich wieder zu seiner Paprika und macht weiter. Also irgendwie ist er ja auch einmal zu oft gegen die Wand gelaufen. Ohne weitere Zwischenfälle zerkleinere ich die gesamte Packung Pilze und reiche sie schließlich Fothy. „Ich gehe mich anziehen." Er nickt und wendet sich einer Pfanne zu. Beschwingt renne ich die Treppe hoch und stürme ins Schlafzimmer. Bez wühlt sich gerade aus der Decke und steht wankend auf. „Ich hasse den Morgen noch mehr als die Nacht. Da bin ich immer müder als vorher." Ich drücke ihm einen Kuss auf die Lippen und gehe an ihm vorbei ins Badezimmer. Schnell ziehe ich mich aus und stelle mich unter die Dusche. Das kalte Wasser prasselt mir angenehm auf die Schultern und klärt meine Gedanken. Allerdings ist es noch schöner, hinterher in ein warmes Handtuch eingekuschelt zu sein. Mit klitschnassen Haaren betrete ich das Schlafzimmer. „Oh, entschuldige." Ich fahre herum und lasse fast mein Handtuch fallen. Fred steht in der Tür und dreht sich verlegen in eine andere Richtung. Stimmt ja, seit gestern wohnt er hier. Das hatte ich schon wieder verdrängt. Nicht die beste meiner Eigenschaften. Ich halte mein Handtuch fester und setze ein Lächeln auf. „Kein Problem, ich beiße nicht." Als er nicht reagiert, lege ich noch eins nach. „Du kannst dich auch gerne wieder umdrehen. Ich habe ein Handtuch um." Fred dreht mir den Kopf zu, sichtlich bemüht, seine Augen nur auf mein Gesicht zu richten. „Was gibt's?" „Wie?" Er kratzt sich hinter den Ohren. „Ach so. Ich wollte eigentlich nur fragen, was ich machen soll. Mir hat noch keiner gezeigt, wo ich arbeiten soll." Ich lächle ihn an. „Geh runter in die Küche, da ist Fothy momentan am kochen. Der weiß bescheid." Fred nickt und verschwindet. Irgendwie putzig. Ich zucke die Schultern und gehe in den Kleiderschrank und suche mir Klamotten heraus. In einer Schublade ziemlich weit hinten und ziemlich weit unten finde ich auf der Suche nach Socken Männerklamotten. Wahrscheinlich sind die von Bez. Doch als ich die Schulbade wieder schließen will, fällt mir etwas unter den sauber gestapelten Shirts auf. Vorsichtig hebe ich eine Schicht Stoff hoch und ziehe eine Ledermappe hervor. Ein aus Silber geprägtes Wappen prangt auf der Vorderseite und zeigt neben einem Adler die Krone der Macht. Neugierig öffne ich den Verschluss und klappe sie auf. Was sich darin befindet lässt mir den Atem stocken. Die Schublade ist nicht von Bez, wie ich anfangs angenommen hatte. Sie ist von Jaxx. Die Dokumente in der Hülle sind seine Geburtsurkunden, ein paar Pässe und Kreditkarten unter verschiedenen Namen. Was zur Hölle ist das? Ungläubig starre ich auf meinen Fund. Wieso sind seine Sachen hier? Wofür braucht ein Toter Klamotten? Immer noch komplett sprachlos verstaue ich die Mappe dort, wo ich sie hergenommen habe und stehe wie ferngesteuert auf. Meine Beine tragen mich mit kalten Füßen – die Socken habe ich natürlich vergessen – in die Küche. „Ist alles okay?" Doc ist inzwischen auch aufgestanden und kommt mir besorgt entgegen. Reiß dich zusammen, Emilia! Ich setzte eine frohe Miene auf und nicke. „Klar, was soll sein? Ich habe nur Hunger." „Das trifft sich gut", sagt Fothy und deutet auf einen Stuhl auf den ich mich fallen lasse. Dann häuft er mir Rührei und Gemüse auf den Teller. Gedankenverloren beginne ich zu essen. Als ich kurz aufschaue, grinst Bez mich an. Ich lächele zurück und schlinge mein Essen weiter hinunter. Was ist hier nur los? Wissen die anderen mehr als ich? Die Sachen sind ja nicht einfach so hier gelandet. Ich werde Bez nachher löchern, dessen kann er sich sicher sein. Wenn er überhaupt weiß, was hier vor sich geht. „Was steht heute auf dem Plan?" Ablenkung, Ablenkung! Fothy wischt sich mit einer Serviette über den Mund und dreht sich zu mir herum. „Heute müssen wir zum Arzt. Deine Mikrofone in den Ohren müssen neu eingesetzt werden. Die alten sind kaputt, die bauen keinen Kontakt zum Kommunikationszentrum auf." Na toll, das hat mir gerade noch gefehlt. „Ich gehe schon hoch und packe meine Tasche." Fothy nickt und wendet sich wieder seinem Frühstück zu. Auch die anderen scheint das nicht weiter zu verwundern. Außer Bez, der schaut mich fragend an und folgt mir, als ich aufstehe und den Raum verlasse. Ohne ein Wort zu sagen, gehe ich die Treppe hoch und schließe hinter Bez die Schlafzimmertür. „Ist alles okay? Das war gerade sehr merkwürdig." Sein Blick ist besorgt. Er hat keine Ahnung von meinem Fund. Ich ziehe ihn mit mir in den Kleiderschrank und ziehe die Schublade nach vorne. „Mach das Kommunikationssystem aus." Seine Worte sind beinahe geflüstert, dulden aber keinen Widerspruch. Der kleine Bildschirm der Sprechanlage wird schwarz, als ich die Verbindung unterbreche und die Kamera mit einer Jacke verdecke. Dann knie ich mich neben Bez. „Wann hast du das gefunden?" „Vor dem Essen. Ist das wirklich von Jaxx?" Bez nickt. „Das sind die meisten seiner Ersatzpässe. Und eine der Geburtsurkunden ist echt. Schau sie dir besser nicht genauer an. Außer mir kennt niemand seinen wirklichen Namen. Und das soll auch so bleiben." Obwohl ich innerlich dagegen wehre, füge ich mich seinen Empfehlungen und drücke die Mappe in seine Hand. „Was soll das heißen? Lebt er noch?" Bez schüttelt den Kopf. „Ich habe das überprüft. Mehrfach. Er hatte keinen Puls. Und nicht einmal Jaxx überlebt eine eine Kugel Kaliber .30-06." Meine gesamte Hoffnung, die ich unbewusst an diese Schublade gehängt habe, wird gerade erneut umgebracht. Einmal reicht anscheinend nicht. Ein kleiner Teil von mir hatte immer gehofft, dass er noch da draußen ist und putzmunter irgendwelche Leute massakriert. Aber er ist wirklich tot. Hoffnung ist ein hoffnungsloses Konzept. „Was machen wir jetzt?" Bez durchsucht immer noch die Papiere und Kreditkarten. Plötzlich hält er in seiner Bewegung inne und starrt auf eine Karte. „Das ist die Karte zum gesamten Vermögen der Organisation. So eine Art Universalschlüssel. Sie funktioniert in keinem Automaten, du kannst damit kein Geld abheben. Aber auf ihr sind Daten gespeichert, um jede existierende Karte der Mafia zu kopieren!" Mir klappt die Kinnlade runter. „Wie kommt er da ran?" Bez schüttelt den Kopf. „Das soll so sein. Aber die wichtigere Frage ist: Wieso ist sie hier?" Einen Moment bleiben wir schweigend sitzen und starren auf dieses platte Stück Plastik. „Was machen wir damit?" Bez überreicht sie mir. „Du musst sie nehmen. Wir bringen sie in die Baze in deine Wohnung."


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt