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...bis mich ein lauter Schrei wieder aufweckt. Wie vom Spieß gestochen fahre ich hoch. Während ich noch aus dem Bett krabbele, krame ich schon meine Pistole unter dem Kopfkissen hervor und entsichere sie. Mit der Waffe im Anschlag trete ich vorsichtig auf den Flur, mit der Absicht, den Angreifer auf frischer Tat zu ertappen. Leider ist es stockdunkel, sodass ich noch nicht mal meine eigene Hand vor Augen sehen kann, was mein Vorhaben ein wenig einschränkt. Leise setze ich einen Fuß vor den anderen, mit der Fußsohle direkt über dem Boden, um eventuelle Unebenheiten zu spüren und nicht ungalant die Treppe herunterfallen zu müssen. In diesem Augenblick passiert es: Ich stoße mit dem Angreifer direkt zusammen. Nach einer kleinen Schrecksekunde reiße ich die Waffe hoch und ziele blind. Mein Gegenüber tut es mir nach. „Wer...", setzte ich an, als mir ein feiner Chlorgeruch in die Nase dringt. „Bez?" Der Feind atmet lautstark aus. „Bist du alleine?" Was soll denn diese idiotische Frage. „Was denn sonst. Hast du den Schrei auch gehört?" „Mmmh. Ich dachte, du bist in Gefahr." „Mir geht's gut." „Wieso hast du dann geschrien?" „Ich hab nicht..." „Doch, das hast du." Ääh... In diesem Moment findet Bez einen Lichtschalter und ich lasse mich gegen die Wand sinken. Er setzt sich neben mich und legt mir einen Arm um die Schultern. „Alles okay?" „Nein. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was gerade passiert ist." Bez schaut mich betreten an. „Ich glaube, du bist ein wenig durch den Wind. Aber ich habe eine Idee, wie wir dich wieder aufpäppeln können." Eine kleine Pause entsteht und ich lege den Kopf auf seine Oberschenkel. „Denkst du oft an ihn?" Obwohl er keinen Namen sagt, weiß ich sofort, wen er meint. „Eigentlich nicht." Der Ring an meinem Finger wird tonnenschwer und starrt mich vorwurfsvoll an. „Wenn ich mich nicht konzentriere, passiert irgendetwas. An ihn zu denken ist, als würde ich gegen eine mentale Mauer laufen. Da ist einfach nichts mehr. Nur der Wunsch, dass er noch lebt." Bez streicht mir die Haare aus dem Gesicht. „Wir schaffen das schon. Ich denke, du solltest eine Pause einlegen." In diesem Moment wünsche ich mir noch mehr als sonst, zu weinen, doch – oh Wunder – meine Augen bleiben trocken.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt