Prolog

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Ich hätte mir früher die Frage stellen sollen: Wie gut kennst du eigentlich die Menschen, die du liebst?

,,Denkst du wirklich es könnte einfach so weiter gehen?'', schrie meine Mutter quer durchs Haus. Sie stritten. Sie stritten mal wieder miteinander. Dies passierte häufig und ununterbrochen. Beide sahen sich nur hasserfüllt an und schwiegen einander an. Häufig kam am Abend mein kleiner Bruder weinend zu mir ins Zimmer, da unsere Eltern wieder stritten. Und immer wieder erzählte er mir, dass er es nicht mochte, wenn unsere Eltern erneut stritten.

Aber jetzt erst einmal zu mir: Ich bin Valerie. Genauer gesagt Valerie Black. Ich bin sechzehn Jahre alt und lebe mit meinen Eltern und meinem fünf Jahre alten Bruder namens Noah in einer kleinen unbedeutenden Stadt. Mein Leben war eigentlich normal gewesen. Ich hatte eine, wie fast jedes Mädchen, eine beste Freundin, mit der man über alles sprach. Für mich war sie der Engel auf Erden. Sie trug den Namen Céline. Kennengelernt hatten wir uns bereits im Kindergarten und seit dem waren wir untrennbar gewesen. Also ein richtiges Klischee.

Mein Leben schien perfekt zu sein und tatsächlich war es dies auch zu dieser Zeit. Es war perfekt, bis sich von ein auf den anderen Tag alles änderte. Denn eines Tages verstarb mein siebzehnjähriger Bruder bei einem tragischen Autounfall. Danach zerbrach unsere Familie regelrecht. Wir zogen als nun vierköpfige Familie in ein anderes Haus, da die Erinnerung uns regelrecht zerdrückte.

Daraufhin fing meine Mutter immer mehr zu weinen und unser Vater immer mehr zu arbeiten und Noah und ich? Ja, wir mussten selber sehen wie wir damit klar kamen. Noah war gerade zu diesem Zeitpunkt erst drei Jahre alt und verstand deswegen noch nicht viel. Jedoch verstand ich leider zu viel. Wie gerne wäre ich in Noahs Situation gewesen und hätte es einfach erst gar nicht richtig mitbekommen. Aber so war es nun mal nicht. Ich fühlte mich zutiefst traurig und fühlte allein. Ich wäre in Selbstmitleid versunken, wäre nicht zu diesem Zeitpunkt Céline für mich dagewesen. Sie baute ich auf und versuchte einfach immer das Positive zu sehen.

Immer und immer wieder.

Doch zuhause wurde es immer schlimmer. Mein Vater arbeitete immer mehr und war kaum noch zuhause. Meine Mutter fing im Gegensatz an zu trinken, weswegen sie meist nicht zuhause war, sondern in irgendwelchen Bars Abhang und das Geld verschleuderte. Und so rutschte ich irgendwie in die Erziehungsrolle und den restlichen Haushalt mit gerade einmal vierzehn Jahren. Doch die ganze Zeit stand mir Céline wie ein konsequenter Schutzengel bei Seite.

,,Valerie werden Mama und Papa sich scheiden?'', fragte mein kleiner Bruder und holte mich somit aus meinen Gedanken zurück. Verwundert sah ich zu ihm runter und schaute direkt in seine schmerzverzerrten Augen, dabei zog er verzweifelt an meinem Pullover Bund. Erneut zerriss dieser Anblick mein Herz. Leise flüsterte ich ,,Nein Noah, alles wird gut. Eigentlich solltest du gar nicht wissen was scheiden bedeutet!'', murmelte ich und wurde am Schluss immer leiser. Aber ich wusste irgendetwas lag noch immer auf dem Herzen meines kleinen Bruders. Eratmete einmal noch tief ein und flüsterte dann ,,Lieben die sich nicht mehr Va?'', fragte er verzweifelt, dabei hatte ich das Gefühl er klang noch verzweifelter, als zuvor.

Ich kann diese Fragen von ihm. Fragen die nicht typisch für fast sechs jährige waren. Er fragte häufig Fragen wie ,,Lieben Mama undPapa mich?'' ,,Wollten sie mich überhaupt?''. Eigentlich sollte er sich in seine Alter solche Gedanken noch nicht machen müssen. Er sollte viel eher die unendliche Liebe seiner Eltern spüren. Doch plötzlich schoss mir eine Idee in den Kopf. ,,Noah?'', flüsterte ich erneut. ,,Ja Va?!'',,Was hältst du davon, wenn wir mal wieder bei Célineübernachten?'' Plötzlich fingen seine Augen vor Freude an zu leuchten.

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