Kapitel 22

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Besuch: das kurzzeitige Aufsuchen des Aufenthaltsortes einer oder mehrerer Personen.

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Der nächste Schultag verging schnell. Gestern Abend hatte ich noch mit Ben telefoniert, er hatte mir erzählt, dass sie in einem tollen Hotel wohnten und sie bereits auf dem Times Square waren.

Zugegebenermaßen war ich schon ein wenig neidisch auf ihn, aber ich könnte eben nie auf Football verzichten.

Momentan stand ich also vor meinem Auto, ja, tatsächlich, war ich zur Schule gefahren und hatte Jay mitgenommen. Im Gegensatz zu den sonstigen Tagen, lag dafür die ganze Aufmerksamkeit auf uns, als Jay aus meinem Auto stieg.

Ich hasste es wie deren Blicke auf mich geheftet waren. Was für einen großen Unterschied es machte, ob ich mit Ben oder Jay kam!

Jay kam in seinem üblichen Schlendertempo aus der Schule heraus, er verabschiedete sich von Kyle und Tyler, die mir auch nochmal zu winkten, bevor sie in die andere Richtung gingen.

„Hey Lily" grinste mich Jay an und setzte sich auf den Beifahrersitz, als ich auch ins Auto einstieg.

„Und unternehmen wir noch etwas?" fragte Jay und ich warf ihm einen verwirrten Blick zu. „Was?".

„Lass uns noch etwas unternehmen" mein Blick war derselbe, ich schaute ihn immer noch zweifelnd an. Was wollte er denn machen? Und dann ausgerechnet mit mir!

„Was willst du denn machen?" fragte ich ihn und er zuckte erst mit den Schultern, bevor er doch etwas sagte.

„Hast du deine Eltern schon einmal besucht?" mein Gesichtszüge entglitten und ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte.

„Lass uns auf den Friedhof gehen, aber davor kaufen wir noch Blumen" ich fuhr mit meiner rechten Hand über meinen linken Arm und verfolgte mit meinen Augen diese Bewegung. Ich fühlte mich unwohl.

„Ich weiß nicht, Jay" murmelte ich und wich seinem Blick aus. Ich wusste, dass er mich beobachtete.

„Komm schon, du bist doch nicht alleine, ich begleite dich doch" er legte eine Hand auf meinen Arm und irgendwie strahlte es Ruhe in mir aus.

„Wir schauen doch nur kurz vorbei, wir bleiben nicht lange. Da vorne ums Eck gibt es einen Blumenladen".

Ich wollte nicht dorthin fahren, aber trotzdem startete ich das Auto, fuhr die Straße nach vorne, bis wir vor dem Blumenladen standen.

Kaum hatte ich geparkt sprang Jay aus dem Auto und wartete auf mich. Zögerlich folgte ich ihm.

„Schau mal, das ist doch schön" meinte Jay und hielt ein kleines Körbchen mit rosanen und weißen Hortensien hin.

„Ja, das ist schön" meinte ich leise. Die Lieblingsblumen meiner Mum waren Hortensien, wir hatten früher ein kleines Beet mit Hortensien.

„Dann kaufen wir das" er lächelte mich an, nahm das Körbchen und zwei Sonnenblumen und lief zur Kasse. Ich folgte ihm schnell, als die Kassiererin den Preis nannte, wollte gerade meinen Geldbeutel rausholen.

„Lass das, ich zahle heute" er bezahlte tatsächlich alles und dann machten wir uns auf den Weg zum Friedhof.

Jay navigierte mich durch die Stadt und kaum hatte ich mich versehen stand ich auf dem Parkplatz des Friedhofes.

„Woher kennst du den Weg hierher?" fragte ich, als der Motor bereits ausgeschalten war, aber ich das Lenkrad immer noch festhielt.

„Erinnerst du dich noch an meine Oma?" Natürlich erinnerte ich mich an sie! Sie war die Einzige, die die ganze Rasselbande der Hemmingways zusammentreiben konnte. Jedoch war sie bereits einige Jahre vor meinen Eltern verstorben.

Ich nickte mit meinem Kopf. „Lass uns erst zu deinen Eltern gehen und dann zu meiner Oma" ich schluckte einmal und stieg langsam aus dem Auto aus.

Jay drückte mir das Körbchen in die Hand. „Lass uns gehen" er legte seine Hand auf meine Schulter und führte mich zu dem Grab.

Ich war seit der Beerdigung nicht mehr hier gewesen, einerseits weil ich Ben nicht zumuten wollte mich hierher zu fahren und andererseits weil ich mich hier so fehl am Platz fühlte.

Der graue Grabstein war von wunderschön bunten Blumen umringt. Luke kümmerte sich ein bis zwei Mal die Woche um das Grab und das rechnete ich ihm wirklich hoch an.

„Was mache ich jetzt?" fragte ich. „Such einen Platz für den Korb" er lächelte mich aufmunternd an, „Irgendwohin?" er nickte und ich stellte den Korb an den rechten Rand.

„Willst du ihnen was sagen?" fragte mich Jay und ich zuckte mit den Schultern. „Hey Sue, hey Pat. Ist die Überraschung gelungen? Lily und ich dachten, wir würden mal vorbeikommen. Wir spielen beide Football in der High School Mannschaft, Lily hat es tatsächlich geschafft. Ihr müsst unglaublich stolz auf sie sein. Zu Recht, sie ist wirklich gut."

Überrascht schaute ich Jay an. Mein Herz schlug ein wenig schneller. Meinte er das Ernst? Noch nie hatte er jemals so etwas Nettes gesagt!

„Am Samstag haben wir unser erstes Spiel für diese Saison. Ja... und Ben ist momentan in New York, vielleicht bekommt er ein Stipendium, um Schauspieler zu werden. Sein ganz großes Ziel." Jay schaute zu mir rüber.

„Lily ist noch ein wenig schüchtern, ich nehme an es ist ihr erster Besuch hier seit der Beerdigung. Aber ich glaube sie freut sich trotzdem hier zu sein. Also wir sehen uns" Jay lächelte mich an, nahm meine Hand und zog mich weiter.

„Machst du das immer so?" fragte ich ihn. „Was meinst du? Das Erzählen?" ich nickte mit meinem Kopf. „Das macht den ganzen Besuch nicht ganz so... traurig".

„Warte, hier ist meine Oma" ruft mich Jay zurück. Ich komme zu ihm „Hey Oma, ich bin heute hier mit Lily. Erinnerst du dich an sie? Sie ist doch die beste Freundin von Ben. Ja... und wir kommen jetzt auch ganz gut klar" Er ging einmal um den Grabstein herum und nahm dort eine Vase her.

„Schau, wir haben die Sonnenblumen mitgebracht. Eine von Lily und eine von mir" er stellte die Blumen in die Vase.

„Lily ist sogar heute hergefahren. Sie hat sich endlich getraut, nachdem ihre Eltern gestorben sind. Ist das nicht toll" er lächelte vor sich hin. Nicht dieses arrogante Lächeln, das er manchmal drauf hatte, sondern dieses Lächeln, bei dem seine Augen funkelten.

„Also ich komme bald wieder Oma. Wir sehen uns" er drehte sich zu mir, sein Lächeln war beinahe schon schüchtern.

„Wollen wir gehen?" fragte er und ich nickte. „Wir sollten noch etwas essen gehen, ich habe unglaublich Hunger. Du nicht auch?"


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Hey,
vielen, vielen Dank für unglaubliche 1.1k Reads! Ich kann es gar nicht glauben! Niemals hätte ich auch nur damit gerechnet, dass diese Story so oft gelesen wird! Also vielen herzlichen Dank!
Daher kommen heute zwei Teile! Ich hoffe, sie gefallen euch!
Vielen Dank, euer
Dancemousie

Auf dem FeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt