Kapitel 30

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Irrational: einen Gedanken oder eine Entscheidung zu treffen, die der Vernunft widerspricht

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Ich setzte mich draußen auf eine Bank und starrte in den Himmel.

Es fühlte sich an, als würde jemand ein Messer immer und immer wieder in mein Herz hineinstechen. Wie konnte Jay so etwas zu mir sagen?

Wieso war ich von Jay überhaupt so angetan? Schließlich bewies er mir doch tagtäglich, dass er keine einzige Sekunde wert war.

Es ging ihn doch nicht an mit wem ich rumknutschte oder zusammen war! Er hatte mir mit Sicherheit gar nichts vorzuschreiben!

Sollte er mich doch noch so oft, wie er wollte, beleidigen. Das alles wird an mir abprallen. Diesen Sieg würde ich ihm auf keinen Fall geben!

„Kann ich mich zu dir setzen?" schreckte mich eine Stimme aus meinen Tagträumen. Liam stand neben mir und zeigte auf den noch leeren Platz neben mir.

Ich zuckte mit den Schultern, „Klar". Liam setzte sich neben mich und schaute, so wie ich, hoch in den Himmel.

Wir saßen eine Weile in Stille. „Ich find dich cool" ich schaute zu Liam rüber.

„Was meinst du?" ich schaute ihn verwirrt an. Ich konnte mich nicht erinnern, dass jemals jemand das zu mir gesagt hatte.

„Dir ist egal, was die anderen denken oder was die anderen zu dir sagen, du tust das, auf was du Lust hast. Und das fängt schon beim Football an. Das ist echt cool" grinste er mich an.

Ich zuckte mit den Schultern, gleichzeitig klingelte es zur nächsten Schulstunde. „Das ist ganz normal" zuckte ich erneut mit den Schultern.

„Das ist cool" stellte er fest, „Kommst du mit zum Unterricht, oder..." er schaute unsicher hin und her.

„Ich komme in fünf Minuten nach" murmelte ich. Und obwohl ich keine Lust hatte, folgte ich Liam kurze Zeit später.

Nachdem auch diese zwei Stunden endlich hinter mir lagen, setzte ich mich wieder auf die Lehne einer Bank vor dem Eingang und wartete auf Ben.

„Hey" grinste mich Kyle an, als er vor mir zum Stehen kam. „Hey" antwortete ich.

„Tut mir leid. Also das wegen Jay" er kratzte sich am Nacken. „Du kennst ihn doch" ich zuckte mit den Schultern.

„Ich möchte nicht, dass du nochmal wegen mir mit Jay Stress bekommst. Aber ich würde dich trotzdem gerne küssen" grinste er mich an.

„Dann tu das doch" forderte ich ihn ebenfalls grinsend auf. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und drückte seine Lippen auf meine.

Ich küsste zurück. Nicht weil der Kuss so gut war, wie Jays Kuss. Sondern hauptsächlich aus Trotz vor Jays Reaktion.

Erneut schreckten wir nach einem Räuspern auseinander. „Lily?" Ben schaute mich ein wenig zweifelnd an und wechselte seinen Blick zwischen Kyle und mir hin und her.

„Ich seh' dich morgen" meinte Kyle schnell, gab Ben einen Handschlag und verschwand auf den Parkplatz.

„Möchtest du mir nicht irgendetwas zu der ganzen Sache sagen?" fragte mich Ben und hob seine Augenbraue, als wir zum Auto liefen.

„Da gibt's irgendwie nicht viel zu sagen" ich zuckte unsicher mit den Schultern.

„Was? Bist du dir sicher? Heute Morgen zieht dich Kyle einfach weg, zum Mittag macht dich Jay so komisch an und jetzt sitzt du mit Kyle knutschend mitten auf dem Schulhof?"

Ich erzählte Ben die Kurzfassung der heutigen Ereignisse. „Und? Stehst du auf Kyle?"

Und das war die Frage, der ich auf alle Fälle aus dem Weg gehen wollte.

Kyle ist ein klasse Freund, er ist zuverlässig, lustig, immer für einen da und ein echt guter Zuhörer.

Und doch ist er einfach nicht Jay. Das regte mich einfach nur auf. Wie konnte man für so ein selbstgefälliges, arrogantes, nerviges Arsch mehr empfinden, als für einen liebevollen, zuverlässigen Menschen.

Wieso also? Wieso entschied sich mein Herz so irrational? Wieso schrie mein Herz den Namen Jays und mein Kopf brüllte Kyles.

Für was sollte man sich in solchen Momenten entscheiden? Herz über Kopf? Oder Kopf über Herz?

„Lily" schreckte mich Ben aus meinen Gedanken. Ben saß bereits im Auto, während ich noch nicht einmal die Beifahrertür erreicht hatte.

Ich stieg schnell ein. „Also was ist jetzt? Stehst du auf Kyle?" fragte Ben, als er den Motor startete.

„Ich weiß nicht genau" murmelte ich und strich mit meiner rechten Hand über meinen linken Unterarm.

Normalerweise würde ich Ben alles verraten, aber wie sollte ich Ben die Sache mit Jay erklären?

„Wie jetzt? Du musst doch wissen, ob du für Kyle mehr als nur Freundschaft empfindest oder nicht" verständnislos schaute Ben zu mir rüber.

„Ich brauch ein wenig Zeit, ok? Einfach um ein paar Dinge zu sortieren" ich schaute aus dem Fenster. Mir war das Thema unangenehm und ich zerbrach mir doch schon die ganze Zeit den Kopf über die Sache.

„Wieso? Was macht es denn so schwierig?" ich seufzte. Ich konnte nicht länger um den heißen Brei reden, wenn Ben immer weiter bohrte.

„Als du weg warst, da war doch dieses Spiel. Na ja, der Quarterback vom anderen Team hatte mich nach dem Spiel angequatscht. Wir hatten ein wenig geredet und im Park rumgeknutscht, nicht mehr und nicht weniger" ich zuckte mit den Schultern. Vor dem inneren Auge klopfte ich mir zufrieden auf die Schulter, dass mir die Lüge so einfach über die Zunge ging.

„Komm schon, Lily. Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Also kannst du den Quarterback besser leiden, als Kyle?" fragte Ben weiter nach.

„Ich kann seither nur an ihn denken und irgendwie macht es mich verrückt. Na ja, und so blöd es jetzt auch klingen mag, ist Kyle eine gute Ablenkung"

Ben nickte zufrieden und fuhr die Auffahrt hoch. „Na ja, wenn der Quarterback doch auch an dir Interesse hat, gib ihm doch eine Chance" meinte Ben schulterzuckend und stieg aus dem Auto aus.

Ach Ben, wenn es doch nur so einfach wäre.


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