Kapitel 27

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Unsicherheit: bewusst wahrgenommener Mangel an Sicherheit oder an Reliabilität und Validität

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„Ich kann das einfach nicht" murmelte ich, drehte mich um und ging.

Der kalte Wind blies mir um die Nase und ich zog den Pullover noch enger um meinen Körper. Wie konnte man sich in der einen Minute so warm und geborgen fühlen und in der nächsten fühlte man sich wie ein Eiszapfen – ein Eiszapfen, der immer kühler wurde.

Mit jedem Schritt, den ich weiter von der Position wegging, an der wir, beide, gerade gestanden waren, hoffte ich umso mehr, dass Jay mich aufhalten würde. Dass er mich aufhalten würde und mir sagen, dass wir einen Weg finden würden. Aber das tat er nicht.

Als ich Zuhause ankam, legte ich mich ins Bett und befand mich in derselben Position, wie vor zwei Stunden.

Wieso wollte ich überhaupt Jay treffen? Was war das denn für eine abstruse Idee gewesen? Hätte ich mir nicht schon davor denken können, was dabei rauskommt?

Dann wäre es auch nicht so weit gekommen!

Wie konnte ich es zulassen, dass Jay mich küsst?! Wie sollte ich Jay das nächste Mal überhaupt in die Augen schauen?

Wahrscheinlich machte ich mir auch noch einen Kopf und Jay störte es kein bisschen. Wahrscheinlich freute er sich auch noch, dass er ein weiteres Mädchen markieren konnte, welches er mal wieder um den Finger gewickelt hatte! Wieso sonst hatte er nicht versucht die Situation zu klären, stattdessen ließ er mich einfach gehen!

Wie konnte ich das zulassen? Wie konnte ich zulassen, dass ich eine dieser tausend Puppen von Jay wurde? Allein der Gedanke regte mich überdermaßen auf.

Aber ich konnte es nicht mehr leugnen, Jay hatte mich um seinen Finger gewickelt.

Den Sonntag verbrachte ich überwiegend damit, im Bett zu liegen und mir eine Serie nach der anderen anzuschauen.

Überraschenderweise kam Luke nur hin und wieder in mein Zimmer, um mir etwas zu essen oder zu trinken zu bringen. Dafür war ich ihm mehr als dankbar, auch wenn ich fast nichts aß.

Und kaum hatte ich mich versehen, war auch schon Montag. Obwohl ich Montage prinzipiell hasste, ließ mich der Gedanke, dass Ben am Ende des Tages zurückkommen würde, ein wenig positiv denken.

Das ganze Wochenende hatten wir nicht telefoniert, ich hatte ihm nur kurz eine SMS geschrieben, wie das Spiel gelaufen war. Er hatte mir gratuliert und das war es dann auch schon.

Mir kommt es ewig vor, dass Ben abgefahren ist. Was seither alles passiert war! Na ja, und dann war ja noch das was nicht hätte passieren dürfen...

Ich schlurfte in die Schule auf geradem Weg zu meinem Spind, in dem ich die meisten meiner Bücher für den heutigen Tag hatte.

Es fehlten mir nur noch wenige Meter bis zu meinem Spind, bis ich vor mir ein Paar schwarze Nike Sportschuhe sah.

Ich trat einen Schritt nach rechts, einen nach links. Aber die Sportschuhe folgten mir und gaben mir keine Chance auszuweichen.

Musste ich wirklich hochschauen, um zu wissen, wer mir hier schon wieder auf die Nerven ging?

Aber anders konnte ich meinen Weg ja anscheinend nicht fortsetzen.

Mein Blick wanderte hoch zu seinen braunen Augen. Warte! Braun?

Ich trat einen Schritt zurück, denn Kyle machte mir mit seinem Jocker-Grinsen wirklich Angst.

„Und was ist bei dir so los? Man hat dich nach dem Sieg gar nicht mehr gesehen" meinte Kyle in bester Laune und schlang einen Arm um meine Schulter.

„Mir ging es nicht so gut, ich bin nach Hause gegangen" Kyle hob skeptisch seine Augenbraue.

„Ach, Lily. Mir musst du doch nichts erzählen" lachte er und ich warf ihm nur einen kurzen, verwirrten Blick zu, als ich meinen Spind öffnete.

Kyle lehnte sich an den Spind daneben und beobachtete mich für eine Sekunde, „Wenn Jay und du den Abend lieber knutschend zusammen verbringen wollt, dann nur zu" flüsterte Kyle mir ins Ohr.

War das gerade sein Ernst? Hatte er etwa nicht gemerkt, dass ich mit niemandem reden wollte?

Und dann vor allem nicht über Jay! Die Wut kochte in mir auf und ich knallte mit aller Kraft die Türe zu meinem Spind zu.

Ich spürte wie Augenpaare auf mich gerichtet wurden, aber ein Augenpaar brannte wie Feuer in meinem Rücken.

Ich drehte mich um und bereute augenblicklich diese Bewegung. Jays grüne Augen waren auf mich gerichtet.

Aber er hatte nicht diesen gewöhnlichen Blick auf seinem Gesicht – nicht dieser Blick der seine Selbstüberzeugung, seine Selbstverliebtheit und seinen Stolz wiederspiegelte.

Stattdessen hatte er einen ganz weichen Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht; seine Gesichtszüge schienen nicht so markant, wie sonst, und seine grünen Augen strahlten nicht so stark, wie sonst. Es sah so aus, als wollte er sich entschuldigen.

Ach, wieso sollte Jay sich entschuldigen wollen? Ich drehte mich zurück zu Kyle, der immer noch oder erneut dieses riesige Jocker-Lächeln auf seinem Gesicht hatte.

Und so gerne ich Kyle auch hatte, aber diese Aktion ging einfach zu weit!

Ohne auch nur eine weitere Sekunde nachzudenken, griff ich nach Kyles T-Shirt Kragen und zog ihn näher zu mir.

Er riss erschrocken seine Augen auf und fast augenblicklich wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht.

„Jetzt hörst du mir mal ganz genau zu" zischte ich ihn durch zusammengekniffene Zähne an.

Kyle nickte langsam – ich war selbst überrascht, was ich anscheinend für eine erschreckende Wirkung auf ihn haben musste.

„Wenn du noch einmal so eine Scheiße an mich hin laberst, dann würde ich mich darauf gefasst machen, dass du bei unserem nächsten Auswärtsspiel kein Auge zumachen wirst" ich schaute ihn durch verengte Augen an.

„Lily, ich will echt keinen Stress mit dir, wirklich nicht" er hob abwehrend die Hände in die Luft.

„Noch eine Sache" sagte ich und Kyle nickte, wie ein verschüchterter Hund.

„Nimm deinen Freund von Jay und sag ihm, dass er mir aus den Augen bleiben soll, verstanden" zischte ich erneut.

„Lily, ich will nicht widersprechen, aber er ist der Quarterback und du ein Receiver, das könnte ein wenig schwierig werden" murmelte er.

„Er soll sich einfach verpissen" mit diesen Worten ließ ich ihn los und lief erhobenen Hauptes aus dem Schulgebäude wiederheraus.

Tja, das war's dann wohl mit dem Montag.

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Hey,

vielen Dank für all eure Reads und Votes! Ich hoffe, euch gefällt dieser Teil! Lasst mich wissen, was ihr denkt.
Außerdem kommt statt nächster Woche Montag, schon am Sonntag der neue Teil.

Dancemousie

Auf dem FeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt