Familie (1)

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Appetitlos knabberte ich an meinem Brötchen. Es war Samstagmorgen und eigentlich war alles perfekt, denn sogar Papa saß mit am Tisch und hatte es nicht eilig und es fühlte sich wieder an wie früher. Bis er den Mund öffnete und zu sprechen begann. „Ich habe eine Überraschung für euch. Heute Nachmittag kommen Onkel Paul, Opa und Oma." Sofort begannen meine Geschwister zu strahlen, mir dagegen war zum Heulen zumute. Ich wollte Paul nicht schon wieder sehen, das letzte Mal steckte mir noch immer in den Knochen. Um nicht aufzufallen, bemühte ich mich um ein Lächeln, während Tabea Papa Löcher in den Bauch fragte. Wann sie ankommen würden, wie lange sie blieben, was wir unternehmen würden und so weiter. Auch ich war auf diese Informationen gespannt, denn mir war jetzt schon klar, dass ich mich um alles zu kümmern hatte. Da Papa und ich uns immer noch nicht ausgesprochen hatten, war ihm wohl nicht in den Sinn gekommen, dass ich solche Dinge rechtzeitig wissen musste. Ich verkniff mir jedoch eine Bemerkungen und stellte lediglich eine Frage. „Was soll ich dann heute Abend kochen?" „Ich dachte wir könnten Grillen", entgegnete Papa, ohne mich anzusehen. „Okay, dann besorge ich beim Einkaufen das Grillgut und mache einen Kartoffel- und einen grünen Salat. Bringt Oma wieder ihren leckeren Nudelsalat mit?" Papa nickte bloß, dann trat Schweigen ein. Wir aßen fertig und sofort danach verschwand meine Familie schneller aus der Küche, als ich gucken konnte und ich blieb alleine zurück. Seufzend begann ich die Spülmaschine einzuräumen und nach ein paar Minuten kam Mark zurück, von dem ich wusste, dass er nach dem Frühstück immer erstmal Zähne putzen musste. Schweigend machten wir zusammen die Küche, dann bedankte ich mich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Das Badezimmer, das ich mir mit Mark und Tabea teilte, war jetzt frei und ich machte mich schnell fertig, wobei mein Blick mal wieder auf meine Handgelenke fiel. Die blauen Flecken, die Papa hinterlassen hatte, waren kaum noch zu sehen, aber ich wusste, dass ich nach Onkel Pauls Besuch sowieso wieder neue haben würde. Seufzend tuschte ich meine Wimpern und warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, dann verließ ich das Bad und lief zu Timos Zimmer. Mein großer Bruder lag auf seinem Bett und tippte auf seinem Handy rum. „Hey Großer, könnten wir jetzt schon einkaufen fahren? Dann kann ich in Ruhe alles vorbereiten." „Mhm", kam die unmotivierte Antwort, aber immerhin rappelte er sich träge auf und zupfte sein Shirt zurecht. Schnell schaute ich noch bei Tabea vorbei, die in ihrem Zimmer mit ihren Puppen spielte. Ich drückte ihr einen kurzen Kuss auf den Scheitel und erkundigte mich, ob sie etwas aus dem Supermarkt haben wollte, dann verließ ich mit Timo das Haus und wir führen zum Einkaufen.

„Paul, schön dich wiederzusehen. Die Kinder freuen sich schon, seit ich Ihnen heute morgen von der Überraschung erzählt habe", begrüßte mein Vater seinen Bruder und die beiden umarmten sich kurz. „Ich hab mich auch schon auf sie gefreut", entgegnete Paul und sein Blick fiel auf mich. Allerdings begrüßte er erst alle meine anderen Geschwister, bevor er mich in eine innige Umarmung zog. „Ich hab schon eine Idee, wie wir die anderen loswerden, damit wir später etwas Zeit für uns haben", hauchte er mir ins Ohr und ich bekam sofort eine Gänsehaut. Während ich beobachtete, wie meine Familie im Wohnzimmer verschwand, rief ich mir immer wieder ins Gedächtnis, dass ich durchhalten musste. Für Tabea, damit er sich nicht an ihr vergriff und für Papa und die Jungs, um ihnen nicht noch mehr Probleme zu bereiten. Paul hatte natürlich wieder unzählige Geschenke für uns dabei und ich erfuhr sogleich, welche Ausrede er sich hatte einfallen lassen. „Bei Beckys Geschenk hab ich leider was vergessen, deshalb hab ich ihr versprochen, dass wir nachher nochmal zusammen in den Supermarkt fahren, damit ich ihr noch eine Tafel ihrer Lieblingsschokolade kaufen kann." Papa nickte nach dieser Information bloß und verwickelte seinen Bruder dann in ein Gespräch über dessen Job. Ich blieb eine Weile bei ihnen sitzen, dann erhob ich mich und ging in die Küche, um den Kartoffelsalat fertig zu machen. Meine Brüder aßen ihn am liebsten, wenn er eine Weile im Kühlschrank gestanden hatte und richtig schön kalt war. Während ich also in der Küche stand und das Essen zubereitete, ertönten hinter mir Schritte und ich drehte mich hastig und angespannt um. „Alles gut, ich bin's nur. Seit wann bist du so schreckhaft?" Fragend schaute Jonny mich an, während er zu mir lief und in die Schüssel vor mir schaute. Wir hatten uns ordentlich ausgesprochen nach meiner Aktion auf dem Schulhof und ich hatte ihm klar gemacht, dass ich eben eine gewisse Verantwortung für ihn hatte und nur sein Bestes wollte. Aber ich wusste auch, dass es solche Versuchungen immer wieder geben würde und ich hatte bei Jonnys neuen Freunden ein schlechtes Gefühl. Das sagte ich ihm allerdings nicht, sondern beließ es bei einem Appell an seinen gesunden Menschenverstand. „Hey, noch anwesend?" Jonnys Hand, die vor meinem Gesicht auf und ab ging, riss mich aus meinem Gedanken und ich zuckte erschrocken zusammen. „Was ist denn heute los mit dir, Becca? Du bist normalerweise nicht so schreckhaft." „Ach, ich bin nur müde und erschöpft von der letzten Woche", winkte ich mit einem schwachen Versuch eines Lächelns ab. Jonny wollte gerade antworten, als sich eine weitere Stimme in unser Gespräch einmischte. „Becky, ich würde jetzt gerne fahren." Sofort spannte ich mich an, Pauls Stimme löste bei mir automatisch einen Würgereiz aus. „Ja, ich stelle nur noch schnell den Kartoffelsalat in den Kühlschrank", informierte ich ihn und tat es, dann hatte ich keine Ausrede mehr. Paul rief einen kurzen Abschied ins Haus, dann stiegen wir in sein Auto. Ich saß stocksteif und angespannt auf dem Beifahrersitz, doch Paul rührte mich nicht an, bis wir außer Sichtweite des Hauses waren. Dann wanderte seine widerliche Hand sofort zu meinem Oberschenkel und er strich sanft darüber. Zu meiner Überraschung schlug er nicht den Weg zum Supermarkt ein, denn eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er zur Tarnung wirklich eine Tafel Schokolade kaufen würde. Ich konnte mir darüber jedoch keine Gedanken mehr machen, als er zum Wald abbog und ein Stück hineinfuhr. Sobald der Waldrand nicht mehr sichtbar war, machte er den Motor aus und seine Stimme wurde herrisch. „Steig auf den Rücksitz." Ich stieg also aus und hinten wieder ein, gleichzeitig wusste ich, dass ich heute wieder neue blaue Flecken bekommen würde. Paul stieg ebenfalls auf die Rückbank, wo sehr viel Platz war und presste direkt seine Lippen auf meine. Seine Hände vergruben sich in meinen Haaren und ich kniff angeekelt die Augen zusammen, dann löste er sich von mir und starrte mich gierig an. „Zieh dich aus, du kleine Schlampe. Heute werde ich dir Respekt beibringen!" Ich senkte den Kopf und tat wie mir geheißen, denn ich wusste vom letzten Mal, dass es verheerende Folgen hatte, sich gegen Paul zu wehren, wenn er auf gewaltvollen Sex aus war. Sobald ich keine Klamotten mehr trug, begann er mich zu begrapschen und seine Hände drückten und kniffen überall an meinem Körper zu, während er mich als Hure und ungezogenes Mädchen beschimpfte, mir an den Haaren zog und mir eine Reihe von Ohrfeigen gab. Ich starrte einfach nur aus dem Fenster, blinzelte die Tränen in meinen Augen weg und versuchte, das letzte bisschen, das von mir selbst geblieben war, mit einer Mauer zu schützen.

Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt