Ein Junge voller Überraschungen

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"Wieso beobachtest du mich?", erkundigte ich mich schmunzelnd bei meinem Freund, der auf meinem Schreibtischstuhl saß und mich angrinste. "Darf ich meine wunderschöne Freundin etwa nicht angucken?" Den Kopf schüttelnd griff ich nach einem Kissen, das neben mir auf dem Bett lag, und schmiss es in Elias' Richtung. "Schleimer!" "Ey!" In letzter Sekunde fing er das Kissen auf und feuerte es zurück in meine Richtung. Meine Reflexe waren jedoch wesentlich langsamer als seine, weshalb der weiche Stoff mir mitten ins Gesicht klatschte. Elias begann sofort zu lachen und konnte sich kaum beruhigen, während ich gespielt beleidigt das Kissen unter meinen Kopf legte und müde die Augen schloss. Elias hörte auf zu lachen und ich lauschte seinen sich nähernden Schritten. Die Matratze senkte sich neben meinem Kopf und dann spürte ich seine angenehm warme Hand, die mir sanft die Haare aus dem Gesicht strich. "Nicht einschlafen, Sonnenschein." Beim Klang seiner Stimme, die meinen Spitznamen sprach, wurde mir automatisch warm und ich lächelte schwach. "Na also, und schon bist du wach", stellte Elias zufrieden fest und ich schlug die Augen auf, um ihn anzusehen. Sanft sah er auf mich herab, dann beugte er sich nach unten und legte seine weichen Lippen auf meine. Liebevoll erwiderte ich den Kuss und fragte mich, ob ich jemals genug davon bekommen könnte. Als wir uns wegen Luftmangels schließlich voneinander lösten, seufzte ich unzufrieden, was Elias zum Schmunzeln brachte. "Was wollen wir heute machen?", erkundigte er sich und ließ sich neben mich fallen. Ich zuckte die Schultern. "Keine Ahnung. Es ist ja relativ warm für Oktober, wir könnten irgendwas draußen machen." "Ich glaube ich weiß was! Aber es ist eine Überraschung." Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch. "Eine Überraschung?" "Jap. Zieh dir was zum Spazierengehen an und dann zeige ich dir, womit ich in der Mittelstufe zusätzliches Taschengeld verdient habe und gleichzeitig vor zu Hause geflohen bin. Und heute Abend lade ich dich zum Essen ein." "Mit welchem Geld? Nein, du musst mich nirgendwohin einladen, ich kann doch einfach wie immer kochen." Doch Elias wollte von diesen Einwänden nichts wissen. "Ich werde dich zum Essen ausführen, basta. Und jetzt komm, zieh dir Schuhe an, damit wir loskönnen." Ich seufzte und erhob mich, um in meine Schuhe zu schlüpfen, die ich gestern einfach neben das Bett gekickt hatte. Dann zog ich mir eine dicke Strickjacke über mein Oberteil und freute mich, dass ich mich nicht mehr umziehen musste, da ich bereits eine vorzeigbare Jeans trug. Elias tauschte seine Jogginghose und sein T-Shirt schnell gegen einen Pullover und eine Jeans, dann schlüpfte er ebenfalls in seine Schuhe und wir liefen die Treppe nach unten. Mein Vater saß im Wohnzimmer und ich lief schnell zu ihm. "Papa, Elias und ich sind jetzt mal draußen, er hat irgendeine Überraschung für mich. Handy und Schlüssel hab ich dabei." "Alles klar. Viel Spaß euch beiden." Ich wollte bereits gehen, als mir noch etwas einfiel. "Wenn ich zurück bin, können wir dann mal reden? Ich will dir noch was erzählen." "Natürlich. Bis nachher, Große." Er schenkte mir ein breites Lächeln, welches ich erwiderte, bevor ich meinem Freund aus dem Haus folgte. Wir stiegen in sein Auto und ich versuchte gespannt zu erraten, wohin wir fuhren, allerdings waren wir schließlich an einem Ort, an dem ich noch nie gewesen war und ich gab es auf, bis wir ein grünes Schild passierten und ich lesen konnte, was unser Ziel war. Überrascht schaute ich Elias an. "Das Tierheim? Was wollen wir im Tierheim?" Mein Freund grinste bloß. "Das wirst du dann schon sehen." Wir fuhren noch einige Minuten, dann befahl Elias mir im Auto zu warten und verschwand. Etwa zehn Minuten später erschien er wieder und hatte zwei zuckersüße Hunde an der Leine. Lächelnd stieg ich aus und ging sofort in die Hocke, um die beiden zu knuddeln. Sie waren kuschelig weich und schauten sich aus dunklen Augen heraus freundlich an. Ich sah zu Elias hoch. "Das ist die Überraschung? Wir gehen mit Hunden aus dem Tierheim Gassi?" Er nickte lächelnd und reichte mir eine der Leinen. "So ist es. Früher hab ich das regelmäßig gemacht und ein bisschen Geld nebenher verdient, aber als ich in die Oberstufe kam, hab ich aus Zeitgründen aufgehört. Na ja, soweit ich das mitbekommen habe, magst du Tiere, also hielt ich das für eine gute Idee." "Es ist eine großartige Idee." Strahlend drückte ich Elias einen Kuss auf die Wange, dann schloss er sein Auto ab, verschränkte unsere Finger miteinander und wir liefen los. Die Sonne schien auf uns herab, während wir mit den beiden Hunden einsame Feldwege entlangliefen und es schien, als seien Elias und ich in unserer eigenen kleinen Welt. In einer Welt ohne all die negativen Dinge, ohne Sorgen und Probleme. In dieser Welt gab es nur die Schmetterlinge in meinem Bauch und mein heftig pochendes Herz. Und mein Freund hatte keinen blassen Schimmer davon, wie dankbar ich ihm für unsere eigene kleine Welt war.

"Worüber wolltest du mit mir sprechen, Becca?" Ich schluckte und schaute kurz auf meine Hände, bevor ich wieder zu meinem Vater aufsah. "Es geht um Elias." "Was ist mit ihm? Möchtest du, dass er doch auszieht? Soll ich ihn rausschmeißen?" Sofort schüttelte ich den Kopf. "Nein, im Gegenteil! Ich- also wir- Elias und ich, wir- wir sind zusammen." Jetzt lächelte Papa mich zum ersten Mal seit ich mich ihm gegenüber gesetzt hatte, sanft an. "Es freut mich, dass du es mir gesagt hast, obwohl ich zugeben muss, dass ich es bereits wusste." Überrascht starrte ich ihn an. "Woher?" Jetzt grinste mein Vater breit. "Ihr seid sehr offensichtlich. Auch deine Brüder haben dich längst durchschaut, da bin ich mir ziemlich sicher." Ich spürte, wie ich rot wurde. Waren wir tatsächlich so auffällig gewesen? Dabei hatten wir uns doch extra Mühe gegeben, damit es niemand bemerkte. "Ich bin nicht sauer oder dagegen, falls du in dieser Hinsicht besorgt bist. Soweit ich Elias erlebt habe, ist er ein sehr netter Junge und so wie er dich ansieht, mag er dich wirklich. Tu mir nur bitte den Gefallen und lass dich auf nichts ein, was du nicht möchtest. Und sollte er dir jemals weh tun, werde ich ihn definitiv rausschmeißen." Während er das sagte, wurde Papas Miene ernst, doch jetzt zwinkerte er mir schmunzelnd zu und ich atmete erleichtert auf. "Danke Papa. Dann ist es doch bestimmt auch okay für dich, wenn Elias mich heute Abend zum Essen einlädt, oder?" "Mit welchem Geld?", erkundigte sich mein Vater irritiert und ich zuckte die Schultern. "Das hab ich ihn auch gefragt, aber er liebt es, mich im Dunkeln zu lassen und zu überraschen. Also vertraue ich ihm einfach, dass es nicht gestohlen ist." Papa zog die Augenbrauen zusammen und kurz überlegte ich, ob ich mit dieser Aussage vielleicht ein falsches Licht auf Elias geworfen hatte, aber dann zuckte mein Vater die Schultern. "Dann vertraue ich wohl einfach deiner Menschenkenntnis. Habt Spaß, aber kommt nicht zu spät nach Hause." "Danke Papa." Lächelnd küsste ich ihn auf die Wange und verließ das Wohnzimmer. Seit Papa vor knapp einer Woche wieder nach Hause gekommen war, war er viel entspannter. In den letzten Monaten hatte er sich kaum für uns interessiert und war bloß ausgerastet, wenn er dann doch mal etwas erfuhr, was ihm nicht gefiel. Jetzt erkundigte er sich ehrlich interessiert, aber nicht kontrollhaft nach unseren Plänen und das erinnerte mich auf angenehme Weise an meinen Vater von vor etwa einem Jahr. Von vor Mamas Tod. Entschlossen schob ich diese Gedanken beiseite und lief hoch auf mein Zimmer, wo ich zu meiner Überraschung einen Karton und eine Karte entdeckt. Irritiert, weil ich Elias nicht entdecken konnte, griff ich nach der Karte und begann sie zu lesen.

„Ich habe für 19 Uhr einen Tisch reserviert und hole dich eine Viertelstunde vorher ab. Bitte sei nicht sauer, wenn du den Karton öffnest, sondern freu dich und zieh es an.
Elias"

Noch verwirrter als vorher legte ich die Karte beiseite und öffnete vorsichtig den Karton. Sobald ich den roséfarbenen Stoff erblickt hatte, wusste ich, was Elias mir da aufs Bett gelegt hatte. Es war das Kleid, das ich im Einkaufszentrum anprobiert hatte. Elias hatte es wohl wirklich gekauft und jetzt schenkte er es mir doch, obwohl ich ihm gesagt hatte, dass ich das nicht annehmen konnte. Seufzend hob ich das Kleid aus dem Karton und betrachtete den fließenden Stoff. Den Kopf schüttelnd über die Hartnäckigkeit und Gewitztheit meines Freundes, legte ich das Kleid aufs Bett und schaute auf die Uhr. Ich hatte eine Stunde Zeit, um mich fertigzumachen.

Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt