Entdeckungen

318 16 0
                                    

Ein letztes Mal ließ ich die eiskalte Flüssigkeit komplett über meinen Körper laufen, dann stellte ich das Wasser ab und verließ die Dusche. Zitternd kuschelte ich mich in mein Handtuch und trocknete mich ab, dann schlüpfte ich in frische Unterwäsche und betrachtete mich im Spiegel. Ich wusste nicht, was schlimmer war. Normalerweise hatte ich viele Hämatome an der Hüfte und den Oberschenkeln, was meist schmerzhaft war, aber dafür sah es niemand. Jetzt hatte ich deutliche Würgemale am Hals und für einen Rollkragenpullover war es viel zu warm. Seufzend versuchte ich mit meinen Haaren zu verdecken, was viel zu sichtbar war. Gedanklich ging ich meinen Kleiderschrank durch und überlegte, welches Oberteil in Frage kam. Als mir keines einfiel, kochte die Verzweiflung und Wut auf Paul in mir hoch und ich schlug mit der Faust gegen meinen kleinen Schminkspiegel. Krachend brach das Glas und ich zischte vor Schmerz. In meiner Hand steckten kleine Splitter und der Spiegel war hin. Der Anblick meiner roten und leicht blutenden Fingerknöchel beruhigte mich irgendwie und ich starrte die Wunden eine Weile einfach nur an. Dann klopfte es an der Badezimmertür und ich zuckte erschrocken zusammen. "Becca? Alles okay? Tabea meinte, irgendwas hat geklirrt." "Alles gut, Mark. Mir ist nur der kleine Spiegel runtergefallen!" "Gott sei Dank. Brauchst du Hilfe beim Aufräumen?" "Nein, ich hole mir gleich einen Kehrbesen und eine Schaufel, aber davor muss ich mir erstmal was anziehen." "Okay. Dann gehe ich wieder in mein Zimmer." Ich wartete, bis seine Schritte sich entfernten, dann wickelte ich mich nochmal in mein Handtuch und eilte in mein Zimmer. Dort zog ich mir eine kurze Hose an und fand ein schwarzes Top mit einem Kragen, das ich ewig nicht getragen hatte. Es passte glücklicherweise noch und ich zog einen weinroten Cardigan darüber, um die Kratzer an meinen Armen zu verbergen, die ich bekommen hatte, als ich mich gegen Paul wehrte. Dann holte ich aus der Besenkammer die notwendigen Sachen und kehrte die Scherben auf, um sie anschließend wegzuschmeißen. Als ich schließlich wieder im Bad stand, schaute ich auf meine verletzte Hand. Schnell suchte ich nach einer Kompresse und einem Verband und fand beides im Schrank. Ein Blick auf den Digitalwecker zeigte mir, dass Elias gleich kommen würde, weshalb ich mich beeilte meine Hand zu verbinden, damit ich anschließend noch schnell Ordnung in meinem Zimmer schaffen konnte. Kaum hatte ich das erledigt, klingelte es an der Haustür und ich eilte die Treppe nach unten, um meinem Besuch die Tür zu öffnen. "Hey. Komm rein." "Danke. Ist dein Onkel schon weg?" Verwirrt schaute ich den Dunkelhaarigen an. "Woher weißt du, dass mein Onkel hier war?" Ich war gestern schonmal hier, um dir was zu geben, was ich rausgesucht habe und da hat er mir die Tür aufgemacht. Er meinte du wärst gerade zu beschäftigt und hat mich wieder weggeschickt." Ich verkniff mir einen genervten Laut, denn das passte zu Paul. Mir hatte er erzählt, der Postbote habe sich im Haus geirrt. "Sorry, da war ich gerade am Kochen." Elias nickte bloß und streifte sich die Schuhe von den Füßen. "Wie auch immer. Ich will dir nicht zu nahe treten, aber irgendwie mag ich deinen Onkel nicht." Ich sagte nichts dazu, sondern zog lediglich die Augenbraue hoch, bevor ich Elias voran nach oben lief. In meinem Zimmer stand bereits ein Küchenstuhl, auf den er sich fallen ließ, während ich auf meinem Schreibtischstuhl Platz nahm. "Also, was hast du schon rausgesucht?", erkundigte ich mich und er legte zwei Zettel vor mich. Schweigend ging ich seine Notizen durch und nickte dann zufrieden. „Das ist gut. Da es Religionsunterricht ist und wir das ja als ethischen Grenzfall betrachten sollen, sollten wir vielleicht Pro- und Contra-Argumente auflisten und da sollten wir unbedingt eine ausformulierte Aussage der Kirche mit reinbringen." Jetzt nickte Elias und ich gab ihm seine Zettel zurück. Er räusperte sich und zog ein weiteres Blatt Papier hervor, dass er mir reichte. "Was hältst du davon? Wenn wir nicht nur sagen, welche Abtreibungsmethoden es gibt, sondern auch erklären, in welchem Stadium das Baby jeweils ist?" Ich schluckte und unterdrückte meine aufkommenden Gefühle, während ich die Bilder und Erklärungen auf dem Zettel studierte. Als ich sah, wie weit das Kind in der sechsten Woche war, war ich kurz davor das Papier zusammenzuknüllen und wegzuschmeißen. Um mich zu beruhigen, stand ich auf und schaute Elias fragend an. "Möchtest du eigentlich was trinken?" Überrascht über meinen plötzlichen Themenwechsel dauerte es einen Moment, bis er nickte. "Ein Glas Wasser wäre toll." "Sprudel oder still?" "Still." Ich nickte und eilte die Treppe runter. In der Küche harrte ich einen Moment aus und versuchte meine Atmung zu beruhigen. "Das ist nicht mein Baby, das ist nicht mein Baby", murmelte ich vor mich hin und irgendwie kam ich wieder in der Realität an. Mein Herzschlag verlangsamte sich und ich suchte zwei Gläser aus dem Schrank, die ich mit Wasser füllte. Entschlossen, meine Gefühe zurückzudrängen, lief ich die Treppe wieder nach oben in mein Zimmer und fand Elias mit dem Rücken zu mir vor. Ich stellte die Getränke ab und schaute auf das, was er in den Händen hielt. Sofort begann mein Herz wieder schneller zu pochen. Es war das zerrissene Ultraschallbild. Ich hatte die Mülleimer im Haus noch nicht geleert, deshalb hatte es noch in meinem gelegen. "Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist." Elias' Stimme war kaum mehr, als ein Flüstern. Ich schluckte und biss mir auf die Lippe. Erst jetzt schaute Elias wieder von dem Bild auf und sah mich durchdringend an. "Bitte sag mir, dass du nicht schwanger bist." "Bin ich nicht." Meine Stimme zitterte. "Aber dieses Bild- oh mein Gott. Hattest du eine Fehlgeburt?" "Nein, hatte ich nicht." Jetzt wurde meine Stimme weinerlich und eine einsame Träne rollte über meine Wange. Mein Blick fiel auf die Notizzettel für unsere Präsentation und erst jetzt schien Elias zu begreifen, worauf das hinauslaufen würde. "Du hast- du hast abgetrieben?" Die Erschütterung, die er kaum verbergen konnte, traf mich wie ein Faustschlag in die Magengrube. Ich nickte schwach. "Wie konntest du es mir nicht sagen? Ich dachte, wir wären Freunde. Und du weißt, dass du mir noch viel wichtiger bist, als eine gute Freundin." Ich antwortete nicht, weil mir nichts einfiel, was ich hätte sagen können. "Das muss ich erstmal verdauen. Vielleicht sollte ich morgen wiederkommen." Mit diesen Worten stand er auf und ich stand stocksteif da, bis ich unten das vernehmliche Zuschlagen der Haustür wahrnahm. Kurze Zeit später hörte ich Schritte und schaute wie in Trance zu meiner Zimmertür, wo Mark stand und mich besorgt ansah. "Was ist los?" "Wir reden nie wieder darüber", antwortete ich nur.

Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt