Alles nimmt seinen Lauf

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In den folgenden Tagen bemerkte ich, dass meine Geschwister sich langsam einlebten. Beckshofen war ein eher kleinerer Ort, ähnlich wie unsere Heimat, und von daher gar nicht so unheimlich. Tabea hatte bereits zwei Mal eine Freundin aus der Schule mit nach Hause gebracht und war auch bei beiden zum „Rückbesuch" gewesen. Jonny hatte ebenfalls eine Clique gefunden, von der ich jedoch noch nicht recht überzeugt war. Ich befürchtete, dass sie Jonny auf Partys mitschleppen würden und er sich vielleicht sogar zu irgendwelchen Drogen oder anderen Dummheiten überreden lassen würde. Aber ich würde erstmal abwarten, vielleicht täuschte ich mich ja auch. Timo hatte die Uni gar nicht wechseln müssen, sein Weg war sogar etwas kürzer geworden und auch hier schien es reichlich Mädchen zu geben, die ihm verfielen. Ich beobachtete das ganze nur mit einem Kopfschütteln, aber Timo war erwachsen und mein älterer Bruder, ich würde ihm nicht vorschreiben, wie er seine Freizeit gestalten sollte. Mark, der bei Fremden anfangs immer sehr zurückhaltend war, hatte sich mit einem Mädchen namens Amelie und einem Jungen namens Ben angefreundet, was mich sehr glücklich machte. Nur Papa bereitete mir Sorgen. Er schien sich selbst einen gewaltigen Druck zu machen, in der neuen Kirche sein Bestes zu geben und allen Anforderungen gerecht zu werden. Dass er uns dabei vernachlässigte, bemerkte er nicht, aber ich konnte es ihm auch nicht vorwerfen, denn ich war selbst jemand, der hohe Anforderungen an die persönliche Leistung hatte. Also seufzte ich nur jedes Mal innerlich, wenn er völlig zerstreut im Haus umherlief oder bis spät im Gemeindebüro blieb, weil die Predigt noch nicht fertig war. Alles in allem lebte sich meine Familie also langsam, aber sicher ein und ich war erleichtert, wie gut sich alles zu entwickeln schien.
Meine positiven Gefühle verschwanden jedoch blitzartig, als ich in Jogginghose, einem alten T-Shirt von Timo, Rutschsocken und mit meinem Mathebuch in der Hand die Haustür öffnete und meinen Onkel erblickte. „Paul, du bist schon da." Ich gab mein Bestes, damit meine Stimme nicht zitterte und trat einen Schritt zur Seite, um meinem Gegenüber Eintritt zu gewähren. Grinsend betrat der Bruder meines Vaters das Haus und zog mich in seine Arme, wobei er sich leicht an mir rieb und seine Hand an meinem Rücken nach unten wandern ließ. Automatisch spannte ich mich an und löste mich so schnell wie möglich von ihm. Er wollte etwas sagen, doch ich verhinderte eine anzügliche Bemerkung von ihm, indem ich nach meiner Familie rief. Schon nach zwei Sekunden polterten Schritte auf der Treppe und Tabea rannte auf ihren Onkel zu und flog in seine ausgebreiteten Arme. Ich knirschte leicht mit den Zähnen und ließ sie nicht aus den Augen, denn wenn Paul meine kleine Schwester jemals begrapschen würde, würde ich ihn mit meinen bloßen Händen erwürgen. Nach und nach kam auch der männliche Teil der Familie nach unten und Paul wurde freudig begrüßt. Ich packte seine Sachen und schleppte sie in Papas Arbeitszimmer, wo ich für meinen Onkel das Sofa ausgebaut und bezogen hatte. Ich wollte mich gerade umdrehen und zu den anderen ins Wohnzimmer gehen, als die Tür plötzlich ins Schloss fiel. Erschrocken drehte ich mich um und wollte irgendwie fliehen, aber ich hatte keine Chance. Mit wenigen Schritten war Paul bei mir und presste seine Lippen verlangend auf meine. Ich hielt einfach still und ließ es geschehen, denn schreien konnte ich nicht, dann hätte meine Familie mich gehört und besonders Papa brauchte im Moment keine Ablenkungen oder andere Sorgen. Für den Moment hatte ich Glück. Paul reichte es, mich zu begrapschen und mir seine widerliche Zunge in den Hals zu stecken, dann löste er sich von mir und schaute mich aus lustvollen, dunklen Augen an. Ich schwieg und senkte den Blick, zuckte jedoch zusammen, als er mich umdrehte und mein Oberteil am Nacken etwas nach unten zog. Im nächsten Moment ertönte ein leises Sauggeräusch und ich spürte seine Lippen und Zähne auf meinem Schulterblatt. Ich wusste, was er tat, natürlich wusste ich es. Paul liebte es, Knutschflecken auf meiner Haut zu hinterlassen. Am liebsten machte er sie mir an den Innenseiten meiner Oberschenkel oder auf den Brüsten. Ich hielt leicht die Luft an bis er fertig war und mit einem zufriedenen Grinsen das T-Shirt wieder zurechtrückte. Dann strich er mir sanft über die Wange. „Mein wunderschönes Mädchen. Ich kann es kaum erwarten, dass wir mal wieder alleine im Haus sind. Alleine dein Blick, als du die Haustür aufgemacht hast, hat mich ganz geil gemacht." Ich schluckte meine Tränen tapfer herunter, dann klopfte es plötzlich an der Tür und Timo steckte den Kopf herein. „Hey ihr beiden, wir warten drüben. Becca, Papa möchte, dass du für ihn und Paul Kaffee kochst." Mein Onkel lachte leicht und griff nach seinem Rucksack. „Ich komme sofort, ich musste mich nur erstmal wieder erinnern, wo ich die Geschenke hingespuckt hatte." Timo erwiderte sein Grinsen und die beiden ließen mich allein. Kurz dachte ich an mein 14-jähriges Ich, das sich jetzt weinend in seinem Zimmer eingesperrt hätte. Aber ich war nicht mehr 14, ich konnte mich nicht mehr verstecken und in Tränen ausbrechen. Ich musste stark bleiben. Wie ein Mantra wiederholte ich das in meinem Kopf, während ich den Kaffee kochte und anschließend mit den zwei dampfenden Tassen ins Wohnzimmer lief. Papa lächelte mich dankbar an, Paul versuchte ich so gut wie möglich zu ignorieren. "Ich geh dann jetzt wieder an meine Schulsachen. Soll ich zu Mittag oder zu Abend kochen?" Papa schaute seinen Bruder fragend an. "Du bist der Gast, was wäre dir lieber?" "Gerne Abendessen, ich hab gut gefrühstückt." "Na dann." Ich rang mir ein Lächeln ab, drehte mich um und lief so schnell wie möglich wieder in mein Zimmer. Einige Stunden später riss mich Tabeas helles Lachen aus meinen Gedanken. Neugierig lief ich zu ihrem Zimmer und mir stockte der Atem. Paul stand nicht weit von meiner kleinen Schwester entfernt, die strahelnd in einem Kleid herumtanzte, das ihr wohl ihr Onkel geschenkt hatte. Doch was mich mit Adrenalin durchflutete, war Pauls Blick, wie er Tabea beobachtete. So lustvoll, einfach abartig und widerlich. Mit festen Schritten lief ich zu ihm und gab ihm eine schallende Ohrfeige. "Schau sie nicht so an!", fuhr ich ihn aggressiv an und schubste ihn leicht nach hinten. Überrascht schaute mein Onkel mich an, auch Tabea schien verwirrt. "Was ist los, Becca? Wieso hast du Onkel Paul gehauen?" Ich schluckte und drehte mich zu ihr um. "Prinzessin, geh doch mal bitte schnell zu Timo und sag ihm, dass wir heute Abend warm essen und er in meinem Zimmer auf mich warten soll, damit ich ihm die Einkaufsliste geben kann, ja?" Verwirrt nickte Tabea und lief aus ihrem Zimmer, woraufhin ich Paul ohne Vorwarnung eine reinhaute. Bevor ich aber nochmal zuschlagen konnte, wurden meine Handgelenke festgehalten. "Du dreckiges Schwein, wie kannst du es wagen sie so anzuschauen?" Die Wut sprach immer noch aus mir und ich konnte sie kaum unter Kontrolle halten. Pauls Miene war grimmig verzogen. "Ich schaue Tabea so an, wie ich will, du kleine Schlampe. Ist das klar?" Ich schüttelte den Kopf und versuchte mich seinen viel zu festen Griffen zu entziehen, woraufhin er zu grinsen begann. "So gefällst du mir, Kleines." Er warf einen kurzen Blick zur Tür, dann zog er mich plötzlich an sich und legte seine widerlichen Lippen auf meine. Mit der Zunge leckte er mir über den Mund, doch ich weigerte mich ihm Einlass zu gewähren und nutzte seine kurze Konzentrationslücke, um mich ihm zu entreißen. Sofort brachte ich einen Meter Abstand zwischen uns und schaute ihn an, spürte die Tränen in meine Augen schießen. "Schau sie nie wieder so an. Du hast mich, du kannst alles mit mir machen, solange du Tabea in Ruhe lässt." "Das klingt wie ein Deal. Ist es einer? Ich darf alles mit dir machen, was ich will, solange ich der Kleinen nicht näher komme?" Ich schluckte, begann zu zittern, doch versuchte weiterhin sicher zu wirken. "Ja, das ist der Deal." Paul grinste. "Dann schlage ich natürlich ein. Der Deal gilt."

Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt