Er gibt den Müden Kraft und macht die Schwachen stark

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Elias' Sicht:

"Also dann, bis morgen." Sanft küsste ich Becks nochmal, dann stand ich auf und verließ ihr Zimmer. Die kahle Einrichtung setzte sich im Krankenhausflur fort und ich unterdrückte ein Seufzen. Dieser Ort war so unglaublich trostlos, dass ich es meiner Freundin kaum verdenken konnte, dass sie ständig mies drauf war. Andererseits wusste ich von meiner Schwägerin Maike, dass das Personal sich alle Mühe gab, eine halbwegs gute Atmosphäre zu schaffen. Schwester Saskia, die mich vorhin abgefangen hatte, bevor ich Becks' Zimmer betrat, kam auf mich zu. "Und?" "Sie hat gesagt, das Essen hier sei ekelhaft. Ich hab versprochen, ihr morgen etwas von außerhalb mitzubringen." Saskia seufzte und nickte leicht. "Eigentlich sehen wir es nicht gerne, wenn Patienten nicht unser Essen essen, sondern irgendetwas anderes und meist ungesundes, aber in diesem Fall- na ja, ich drücke da morgen auf jeden Fall beide Augen zu. Was hast du denn für einen Eindruck von ihr?" Ich schluckte. "Es geht ihr beschissen. Ich denke sie hat Schmerzen und sagt es nicht, weil sie den Eindruck vermitteln möchte, dass sie in der Lage ist, entlassen zu werden. Und ich glaube, dass sie wütend auf sich selbst ist, weil sie aus ihrer Sicht nichts mehr allein auf die Reihe bekommt, nachdem sie sich im letzten Jahr praktisch komplett auf sich gestellt um ihre Familie gekümmert hat. Die Hilflosigkeit nervt sie und ich vermute, dass es ihr nicht gefällt, mit der Psychologin die vergangenen vier Jahren nochmal durchkauen zu müssen. Vermeidet sie immer noch jeden Blick auf ihren Körper?" Saskia nickte. "Sie guckt weg, wenn ich sie wasche, sie vor dem Spiegel sitzt oder ich sie anziehe. Ich denke, sie weiß wie schlimm sie aussieht und möchte sich nicht so schwach sehen. Ich schätze sie als jemanden ein, der die eigene Schwäche hasst." Ich nickte schwach und kratzte mich am linken Oberarm. "Ja, so ist sie. Aber ich mache mir wirklich Sorgen. Wenn sie morgen auch nichts isst, werde ich sie offen darauf ansprechen und ihr sagen, dass ich weiß, dass sie ihre Mahlzeiten praktisch nicht anrührt." "Okay. Sag mir dann bitte, wie es gelaufen ist. Wenn sie weiterhin nichts zu sich nimmt, muss ich mit dem behandelnen Arzt sprechen und im schlimmsten Fall wird sie künstlich ernährt." Ich schluckte, denn ich wusste, dass Becks das noch mehr hassen würde, als die jetzige Situation. Eine künstliche Ernährung würde ihr nur ein weiteres Mal aufzeigen, dass sie im Moment wehrlos war.

"Sie isst immer noch kaum etwas?" Besorgt fuhr David sich durchs Gesicht und ich wusste mir nicht anders zu helfen, als ihm leicht den Arm zu tätscheln. "Wir kriegen das irgendwie alles hin. Uns muss nur etwas einfallen, um ihr wieder Kraft zu geben." "Früher hab ich- aber das wird jetzt sowieso nicht funktionieren", unterbrach der Vater meiner Freundin sich selbst und ich schaute ihn fragend an. "Was hast du früher gemacht?" "Ich habe einen Bibelvers auf ein Stück Papier geschrieben und Tabea hat den Rand bunt bemalt. Becca hat die Verse dann immer an ihren Kleiderschrank geklebt, aber nachdem wir umgezogen sind, hat sie sie nicht wieder ausgepackt." "Hat sie die Verse noch irgendwo?", erkundigte ich mich und David nickte. "Wir haben einen Karton auf dem Dachboden. Da sind Sachen drin, für die wir noch keinen Platz gefunden haben, die wir aber auch nicht wegwerfen wollen." "Vielleicht hilft es Becks, wenn sie die Verse liest und sich an die Zeit erinnert, in der sie sie an ihren Schrank geklebt hat", schlug ich vor und kurzerhand führte David mich auf den Dachboden. Es dauerte nicht lange, bis er den gesuchten Karton gefunden hatte und mir einen hohen Stapel Zettel in die Hand drückte. "Das müssten alle sein. Aber glaubst du wirklich, dass das hilft? Nach allem, was Paul ihr angetan hat, kann ich verstehen, dass ihr Glaube nicht mehr existiert und ich weiß auch ehrlich gesagt nicht wirklich, wie ich ihr das Gefühl geben soll, dass Gott noch da ist." Er seufzte und raufte sich kurz die Haare, dann klingelte sein Handy und er seufzte erneut, nachdem er aufs Display gesehen hatte. "Ich muss los, gleich ist das Taufgespräch mit Stockingers." "Alles klar. Ich werde die Zettel etwas entstauben und bringe sie Becks entweder heute noch oder morgen, wenn ich sowieso ins Krankenhaus gehe." "Danke Elias. Für alles, was du für sie tust." "Ich liebe sie. Und ich hasse es, sie so zu sehen."

Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt