Zu spät?

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"Hey Papa, ich wollte fragen, wann du nach Hause kommst und ob ich innerhalb der nächsten Stunde oder erst heute Abend kochen soll?" "Ich würde gerne mit euch essen, aber heute Abend führe ich Frau Osterloh ins Restaurant aus. Als Dank dafür, dass sie sich hier alleine mit der Verwaltung herumgeschlagen hat." Ich verkniff mir eine Aussage dazu, denn ich hatte Papas Sekretärin nicht gerade wenig dabei unterstützt, hier die Ordnung aufrechtzuerhalten, auch wenn ich es natürlich für Papa und die Gemeinde getan hatte und nicht, um dafür Anerkennung zu bekommen. Also nickte ich bloß lächelnd. "Alles klar, dann gehe ich mal wieder rüber. Mark kommt gleich aus der Schule und dann will ich das Essen fertig haben. Bis heute Abend oder morgen früh." "Ja, machs gut. Küsschen." Liebevoll lächelte Papa mich an und ich tat es ihm gleich. "Küsschen, hab dich lieb." Leise seufzend verließ ich das Büro und lief nach Hause, wo ich mich direkt an den Herd stellte. Ich war fast fertig, als die Küchentür geöffnet wurde und mich ein vertrauter Geruch empfing, der mich sofort zum Lächeln brachte. "Hey, wie war Sport?" "Ganz okay. Herr Schlichte ist sehr zuversichtlich, dass das im Abi was wird." "Das freut mich für dich. Könntest du gerade schnell den Tisch decken und die anderen rufen? Es sind alle da, nur Timo ist noch in der Uni Und Papa in der Kirche." "Mach ich. Aber nur, wenn ich dafür einen Kuss bekomme." Grinsend beugte er sich näher zu mir und legte seine Lippen auf meine, was das mir bereits bekannte Kribbeln in meinem gesamten Körper auslöste. Lächelnd erwiderte ich den Kuss, löste mich aber schnell wieder von Elias, um das Essen nicht zu versauen. Während hinter mir Teller und Besteck klapperten und ich die Töpfe auf dem Herd nicht aus den Augen ließ, fragte ich mich, ob diese Beziehung, so glücklich sie mich auch machte, mich nicht irgendwann zerbrechen würde, weil ich Elias nicht die ganze Wahrheit erzählte. Tief atmete ich durch und fasste einen Entschluss. Lara hatte Recht, ich musste mit Elias reden. Besser jetzt, als später. Denn dieser wunderbare, perfekte Junge verdiente mehr, als meine Lügen. Und ich musste ihm die Chance geben, sich darüber Gedanken zu machen, ob er wirklich mit mir zusammen sein wollte.

Ich schluckte und räusperte mich. "Hi, was machst du gerade?" Elias schaute von dem dicken Buch auf, in dem er gerade las und lächelte gequält. "Ich versuche Chemie zu verstehen." "Soll ich dir helfen?" "Ich fürchte, mir ist nicht mehr zu helfen", entgegnete Elias übertrieben dramatisch und brachte mich so zum grinsen. Doch das hielt nicht lange, denn ich musste ihm etwas sagen, was ich nicht wollte. "Hast du gehört, wie eben das Telefon geklingelt hat?" "Ja, war es was wichtiges?" Ich schluckte. "Das kann man so sagen. Es war dein Vater." Sofort wurde Elias leichenblass und starrte mich an. "Was wollte er?" "Wissen, ob du hier bist. Es tut mir Leid, er hat mich so überrumpelt und ich hab es ihm gesagt! Glaub mir, das wollte ich nicht." "Hey, ganz ruhig, das ist doch nicht schlimm. Du sollst nicht für mich lügen." Elias war aufgestanden und wollte mich in den Arm nehmen, doch ich wich zurück. "Er kommt her. Er hat gesagt, dass er hekommen und dich mitnehmen wird." "Das kann er nicht machen, ich bin 18." Mir traten Tränen in die Augen. "Elias, er kommt mit der Polizei. Er hat denen erzählt, du hättest deine Mutter geschlagen." Mein Freund hielt mitten in der Bewegung inne, sein Blick wirkte verklärt, als habe er nicht wahrgenommen, was ich ihm eben gesagt hatte. "Elias?", hakte ich vorsichtig nach und wollte nach seiner Hand greifen, aber er entzog sie mir sofort wieder. "Elias, bitte rede mit mir. Was sollen wir jetzt tun?" "Ich sollte gehen", langsam fand sich Elias wieder und schaute mich durchdringend an, "Ich will dich und deine Familie da nicht mit reinziehen." "Nein Elias, tu das nicht. Bleib hier, sonst denken sie noch, du würdest fliehen. Das wird sich alles klären. Du sagst ihnen die Wahrheit und dann wird alles wieder gut. Es muss einfach alles wieder gut werden!" "Es tut mir Leid Sonnenschein, aber-" Das Klingeln der Haustür ließ mich erschrocken zusammenzucken. Bevor ich mich rühren konnte, ertönten bereits polternde Schritte und ich hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Mehrere Stimmen sprachen, aber ich verstand nichts genaues. Wenige Sekunden später näherten sich Schritte, dann klopfte es gegen die Tür des Gästezimmers. "Elias Oberle?" Mein Freund atmete tief duch, dann machte er auf. Zwei Polizeibeamte sahen ihn mit kalten Blicken an. "Sind Sie Elias Oberle?" "Ja, das bin ich." "Sie sind hiermit festgenommen wegen des dringenden Tatverdachts der schweren Körperverletzung. Drehen Sie sich bitte um und legen Sie die Hände auf den Rücken." Elias tat wie ihm geheißen und ohnmächtig musste ich mit ansehen, wie der männliche Polizist meinem Freund Handschellen anlegte und ihn vor sich her aus dem Haus schob. Ich folgte ihnen, spürte, dass meine Hände zu zittern begonnen hatten und mir Tränen über die Wangen liefen. Vor dem Haus standen Timo, Mark, Jonny und Tabea. Ein paar Meter entfernt entdeckte ich das Polizeiauto und einen schwarzen BMW, vor dem Elias' Vater lehnte und die ganze Szene mit undurchschaubarem Blick beobachtete. Meine Wut auf ihn kochte schneller hoch, als ich mich zurückhalten konnte und ich lief mit eiligen Schritten zu ihm. "Sie! Wie können Sie es wagen, ihm das anzutun? Er ist Ihr Sohn, verdammt nochmal! Wir wissen beide, dass Sie Ihre Frau geschlagen haben und nicht Elias! Also wieso tun Sie das? Wieso wollen Sie unbedingt sein Leben zerstören? Sie verdammtes Arschloch!" Meine Stimme klang hysterisch und panisch, doch das war mir egal. Ich wollte gerade weiterschreien, als mich jemand von hinten packte und von Elias' Vater wegzog, der mich entsetzt ansah, sich jedoch schnell wieder fasste. "Was fällt dir ein, so mit mir zu reden und mich so falsch zu beschuldigen? Das wird ein Nachspiel haben! Die Polizei kann dich auch gleich mitnehmen!" "Dann sollen sie doch! Dann bin ich wenigstens bei Elias, bei ihrem Sohn, der so unglaublich viel besser ist, als Sie! Der niemals auf die Idee kommen würde, eine Frau zu schlagen!" "So, jetzt reicht es, junge Dame", erklang eine harsche Stimme und vor mir tauchte der Polizist auf. Er schaute Elias' Vater an. "Wollen Sie Anzeige erstatten?" "Nein. Das ist auch so schon schrecklich genug für meine Frau und mich. Ich möchte die Sache nicht unnötig ausweiten und sie belasten." Entsetzt starrte ich den Mann an, dem ich gerade am liebsten eigenhändig den Hals umgedreht hätte. In diesem Moment erklang ein weiteres Motorgeräusch und ein Auto fuhr vor. Papa stieg aus und schaute sich verwirrt um. "Was ist hier los?" "Sie sollten versuchen Ihre Tochter im Zaum zu halten." "Papa, Sie haben Elias verhaftet! Sein Vater behauptet, er hätte seine Mutter geschlagen! Aber das stimmt nicht!", rief ich verzweifelt und Papa kam schnell zu mir gelaufen. "Wir klären das irgendwie, aber bitte beruhige dich", redete er sanft auf mich ein, dann winkte er Timo zu sich. "Pass auf deine Schwester auf." Mein großer Bruder nahm mich in den Arm und zog mich zu meinen Geschwistern, was ich kaum mitbekam, weil ich zu verstehen versuchte, was gerade passierte. Papa redete mit den Polizisten, aber sie schüttelten nur immer wieder den Kopf und dann geschah das, was ich wohl niemals wieder aus meinem Kopf bekommen würde. Der Polizist öffnete die Tür seines Wagens und drückte Elias' Kopf nach unten, sodass er sich hineinsetzen musste. "Nein!", schrie ich verzweifelt und wollte zu meinem Freund rennen, doch Timo und Mark hielten mich fest. Weinend und schreiend versuchte ich mich loszureißen, doch die beiden ließen nicht locker. Völlig machtlos musste ich mit ansehen, wie das Polizeiauto mit Blaulicht davonfuhr und Elias' Vater in seinem BMW folgte. Fassungslos starrte ich auf die Stelle, wo Elias eben noch gestanden hatte, mit Handschellen an den Händen und den Kopf gesenkt. Auf einen Schlag schien mich jegliche Kraft zu verlassen. Erschöpft sank ich zu Boden und konnte gerade noch von Timo aufgefangen werden, bevor ich weinend zusmamenbrach. Elias war weg. Ich hatte ihn nicht beschützt, ihn nicht rechtzeitig gewarnt, ihm noch nicht die Wahrheit erzählt und ihm vor allem noch nicht gesagt, dass ich ihn liebte. Und jetzt war es vielleicht zu spät.

Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt