Gebrochene Herzen und gebrochene Knochen

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Angespannt lief ich in meinem Zimmer auf und ab und rang mit mir selbst. Ich musste Elias die Wahrheit sagen. Vor meinem inneren Auge lief unser gestriger Streit ab, bei dem er mir vorgeworfen hatte, nicht ehrlich zu sein. Seine traurige Stimme, als er mir offenbarte, dass es ihm wegen dieses unausgesprochenen Geheimnisses schwer fiel, mir zu vertrauen, hallte in meinen Ohren nach. Mein Blick fiel auf die Fotos von uns beiden, die an meiner Pinnwand hingen und auf denen wir lachten, uns küssten und einfach nur glücklich aussahen. Eine einzelne Träne lief über meine Wange und ich schluckte angestrengt den Kloß in meinem Hals herunter. Ich musste es tun und zwar so schnell wie möglich. Entschlossen verließ ich mein Zimmer und wollte zu Elias gehen, der noch immer unser Gästezimmer bewohnte, als mir einfiel, dass er gerade mit einem Kumpel verabredet war. Frustriert wollte ich die Treppe wieder nach oben gehen, als es an der Haustür klingelte. Ich ging hin und öffnete, dann erstarrte ich. "Paul. Was machst du hier?" "Was ich hier mache? Du hast mich viel zu lange hingehalten, ich hole mir dich und deinen wunderschönen Körper." "Ich bin nicht alleine zu Hause." "Ach tatsächlich? Ist dein Ritter in glänzender Rüstung hier? Soll ich ihn rufen, damit er mir dabei zuschauen und etwas von mir lernen kann? Dann besorgt er es dir vielleicht beim nächsten mal richtig." Ich schwieg und Paul sah mich überrascht an. "Ihr habt es noch gar nicht getan. Du hast deinen kleinen Macker noch gar nicht rangelassen, nicht wahr? Noch besser. Ich teile nämlich nicht gerne." Mit diesen Worten schob er sich an mir vorbei ins Haus und ich wusste, dass ich verloren hatte. Timo hatte Tabea zum Ballett gefahren und wollte anschließend zu seiner momentanen Flamme, Mark war bei seinem Freund Ben und Jonny war noch nicht von Kai zurück. Ich schluckte und spürte, wie die Angst meinen Körper durchströmte, als Paul mich am Arm packte und hinter sich her in mein Zimmer zerrte. "Bitte nicht", flehte ich immer wieder, aber mein Onkel ignorierte mich. Als ich versuchte mich ihm zu entziehen, schlug er mir ins Gesicht, sodass mir die Luft wegblieb. Diesen kurzen Moment nutzte er, um mich auf mein Bett zu schmeißen. Ich hielt die Luft an, als er seine Hände neben meinem Kopf ablegte und seine widerlichen, aber so schrecklich vertrauten Lippen auf meine legte. "Wenn du brav bist, passiert deiner Schwester nichts, denk dran." Diese zehn Worte reichten aus, damit jeder Widerstand meinen Körer verließ. Für Tabea hätte ich das noch hundert Mal mehr durchgestanden. Also ließ ich Paul gewähren und starrte einfach nur mit leeren Augen an die Decke, während er mir das Oberteil auszog und mich erneut küsste. Doch plötzlich hörte die Welt auf sich zu drehen, denn eine entsetzte Stimme erklang und ich glaubte, mein Herz müsse aussetzen. "Wie kannst du nur?" Paul ließ von mir ab und machte mir den Blick frei, sodass ich in die sanften braunen Augen gucken konnte, in die mich verliebt hatte und die jetzt nichts anderes als Fassungslosigkeit und Schmerz ausstrahlten. "Elias, ich-" "Was?", unterbrach er mich harsch, "Was denkst du, was du jetzt sagen kannst, um mich zu beruhigen? Du hast mich angelogen, die ganze Zeit. Ich wusste, dass du etwas verheimlichst, aber ich hätte nie gedacht, dass du so tief sinken würdest! Wie konnte ich dir jemals vertrauen?" "Bitte, es ist nicht-" "Nicht so, wie es aussieht? Willst du mich verarschen? Ich erwische dich beim Rummachen mit deinem Onkel und du willst behaupten, es sei nicht das, wonach es aussieht? War es wirklich er, der dich verprügelt hat? Oder hast du das nur erzählt, weil du wusstest, dass ich es ihm zutrauen würde? Oder vielleicht ist das auch während irgendeinem kranken Sexspielchen passiert, was weiß ich." Er stockte und ich spürte, wie mir Tränen über die Wangen liefen. Jetzt war der Moment gekommen, ihm die Wahrheit zu sagen. Aber würde er mir glauben? Würde ich es überhaupt schaffen, es auszusprechen? Bevor ich einen Entschluss fassen konnte, hatte Elias mir einen letzten verletzten Blick zugeworfen und ich wusste, dass er jetzt gehen und nicht mehr wiederkommen würde. "Du widerst mich an, Rebecca. Such dir jemand anderen, den du hintergehen kannst, denn mit uns beiden ist es aus." Dann drehte er sich um und ging. Wie festgefroren stand ich da und konnte kaum begreifen, was gerade geschehen war. Ich hörte polternde Schritte und dann das unheilvolle Knallen der Haustür. Meine Trance hielt weiter an und plötzlich stand Paul wieder vor mir und packte mich an den Handgelenken. "Endlich allein", sagte er grinsend und schmiss mich wieder aufs Bett. Noch immer liefen Tränen meine Wangen hinunter und ich nahm meinen Onkel kaum wahr, der mir meine letzten Klamotten vom Leib riss. Elias war weg, es war vorbei. Wie hatte ich ihm das nur antun können? Eine unglaubliche Wut erfasste mich und ich schrie laut auf und schlug Paul ins Gesicht. So gut ich konnte schlug und trat ich ihn und befreite mich unter dem schweren Körper. "Was fällt dir ein, du kleine freche Schlampe?", rief er aufgebracht und packte mich an den Handgelenken. Mit einem heftigen Ruck sorgte er dafür, dass ich das Gleichgewicht verlor und schleuderte mich mit viel Schwung quer durch mein Zimmer. Ich prallte mit dem Rücken schmerzhaft gegen meinen Schrank und stöhnte vor Schmerz, doch bevor ich mich aufrichten konnte, hatte Paul mich schon erreicht. Ich war viel zu benommen, um zu reagieren, als er in mich eindrang und gleichzeitig meinen Kopf gegen den Schrank schlug. Warmes Blut lief über mein Gesicht, doch viel intensiver spürte ich den Schmerz, als er meinen Arm packte und ihn zu drehen begann. Ich schrie laut auf, weinte, wimmerte, jammerte und flehte ihn an aufzuhören, aber Paul kannte keine Gnade. Es knackte laut und ich wollte nicht wissen, wie es im Inneren meines Arms gerade aussah, aber dafür hatte ich auch gar keine Zeit, denn mein Onkel war noch nicht fertig mit mir. Er packte meine Haare, riss mich daran hoch und schleuderte mich zum Schreibtisch. Ich prallte unangenehm mit dem Becken gegen die harte Tischkante und schon war Paul wieder da und fuhr weiter fort, mir mit dem größten Vergnügen Schmerzen zuzufügen. Ich kreischte laut auf, als er meinen Kopf packte und nach vorne auf die Schreibtischplatte knallte, meine Nase knackste und noch mehr Blut begann über mein Gesicht zu laufen, während mein Onkel sich unablässig mit meinem hilflosen Körper befriedigte. Mittlerweile war mir viel zu schwindelig und schlecht, um mich noch irgendwie zu wehren, weshalb ich es einfach über mich ergehen ließ. Mein Herz pochte wie wild in meiner Brust, doch Paul begnügte sich heute nicht mit läppischen zehn Minuten. Es kam mir vor wie Stunden, während er sich immer wieder an mir verging und zeitgleich auf mich einprügelte. Von seinen Schlägen mit der Faust war mein linkes Auge schon so sehr zugeschwollen, dass ich kaum noch etwas sah, mein Kopf dröhnte, mein Herz pochte, jede Bewegung, die durch meinen Körper ging, jagte tausende Schmerzsignale in jeden Zentimeter. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, dann ließ Paul endlich von mir ab. Noch immer liefen mir Tränen über die Wangen und ich hatte keine Ahnung, wo oben und unten war, während ich auf dem Rücken liegend hörte, wie Paul sich wieder anzog. Dann beugte er sich über mich und ich blinzelte angestrengt, um ihn überhaupt erkennen zu können. Ein schwaches Wimmern entfuhr mir, als er mich hochhob und mit mir das Haus verließ. Ein vertrauter Geruch schlug mir entgegen, als er mich auf die Rückbank seines Autos legte, dann fuhren wir los. Es kam mir vor wie Sekunden, dann hielten wir bereits und Paul zerrte mich ohne jedes Mitgefühl aus seinem Auto und knallte mich gegen die Wand eines Hauses. Benommen rutschte ich zur Seite, bis ich auf dem Boden lag, dann drückte Paul ein letztes Mal seine dreckigen Lipen auf meine und wischte sich anschließend das Blut ab. "Jetzt weißt du was passiert, wenn du versuchst dich zu wehren. Und jetzt schaue ich mal, wie deine kleine Schwester sich beim Balletttraining macht." Ich wollte etwas sagen, ihn anschreien, ihn aufhalten, aber meinen Mund verließ lediglich ein schwaches Wimmern. Der Motor von Pauls Auto heulte auf, dann war er weg. Angestrengt versuchte ich mich aufzurichten, aber scheiterte kläglich. Auch meine allerletzte Kraft schien mich nun zu verlassen und schließlich gab ich mich der Schwärze hin, die mich in der Bewusstlosigkeit willkommen hieß.

Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt