Echtes Lächeln

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Völlig übermüdet stolperte ich aus dem Klassenzimmer direkt in Elias' Arme. Er fing mich gerade noch so auf und schaute mich prüfend an. "Du siehst furchtbar aus." "Danke", entgegnete ich angefressen und tat etwas, was ich wohl nie gemacht hätte, wenn ich nicht so unglaublich müde gewesen wäre: Ich lehnte mich gegen Elias' Brust und schloss die Augen. Er war angenehm warm und weich, sein Herz pochte in regelmäßigen Abständen und klang wie ein Einschlaflied für mich. "Was ist los?", erkundigte der Dunkelhaarige sich, während er mir sanft übers Haar strich. "Hab nicht so viel geschlafen am Wochenende", nuschelte ich in sein T-Shirt und verschwieg, dass ich eigentlich gar nicht geschlafen hatte. Ich war samstags abends erst spät zu Hause gewesen und obwohl ich in die Whatsapp-Gruppe der Familie geschrieben und ein fast vollständig vorbereitetes Abendessen im Kühlschrank hinterlassen hatte, war mein Vater stocksauer auf mich gewesen. Zwar hatten Laras Eltern sich mittlerweile bei Papa gemeldet und alles richtig gestellt, aber er war noch immer irgendwie sauer auf mich und ich hatte auf eine groteske Art und Weise Angst vor ihm, seit er mich so fest gepackt und geohrfeigt hatte. Seufzend stieß ich mich von Elias ab, weil ich ihn nicht belästigen wollte und mich unwohl fühlte, wenn ich einem Mann zu nah war. In diesem Moment erschien Lara neben uns und begann sich über ihre Religionslehrerin aufzuregen, wobei ich ihr nur mit halbem Ohr zuhörte. Stattdessen ließ ich den Blick wandern und entdeckte Mark, der mit seinen beiden Freunden etwas weiter entfernt stand. Sie lachten gerade über irgendetwas lustiges, was Mark erzählt hatte und dieser Anblick brachte mich zum Lächeln. "Da ist es wieder", flüsterte mir Elias ins Ohr und ich drehte mich überrascht zu ihm um. Lara sprach gerade drei Schritte entfernt mit einem Mädchen aus ihrem Reli-Kurs und ich hatte nichtmal mitbekommen, dass sie aufgehört hatte zu reden. Elias wurde ernst und sah mich durchdringend an. "Da ist dein echtes Lächeln wieder. Bezaubernd und absolut atemberaubend, aber viel zu selten zu sehen." Ich schluckte und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Also schwieg ich bloß und merkte, wie ich etwas rot wurde, dann kam glücklicherweise wieder Lara zu uns und die restliche Pause über machte Elias keine solchen Aussagen mehr. Ich bekam seine Worte jedoch nicht mehr aus dem Kopf und war erschrocken darüber, wie gut er mich schon durchschaute. Eigentlich war ich gut darin, mein Lächeln vorzutäuschen, aber das war nicht alles, was mich durcheinander brachte. Hatte er mein Lächeln tatsächlich als bezaubernd und atemberaubend bezeichnet? Irritiert strich ich mir eine Haarsträhne aus den Augen, aber meine Konzentration blieb den restlichen Vormittag bei diesen Worten und meinen Gefühlen, die ich irgendwie nicht einordnen konnte.

Als ich mittags nach Hause kam, rannte Tabea die Treppe zu mir runter und sprang lachend in meine Arme. "Becca, endlich bist du da! Ich hab soooooooo großen Hunger!", erklärte sie mir mit leidiger Miene und ich stupste ihr grinsend mit dem Finger gegen die Nase. "Dann sollte ich wohl mal mit dem Kochen anfangen, was?" Schnell lief ich nach oben, stellte meinen Rucksack in meinem Zimmer ab und wusch mir die Hände, dann führten mich meine Schritte in die Küche. Zu meiner Überraschung fand ich dort meinen Bruder Jonny, der am Küchentisch saß. Seinen Kopf hatte er auf die Hände gestützt und ich glaubte sogar, seine Schultern beben zu sehen. Vorsichtig näherte ich mich ihm und legte eine Hand auf seinen Rücken, wodurch er erschrocken zusammenzuckte und aufsah. Seine Augen waren rot und er hatte ganz eindeutig geweint, doch was mich viel mehr schockierte, waren seine Pupillen. Er war definitiv auf Drogen und extrem high. "Was ist los, Jonny?" "Gar nichts." Unwirsch schlug er meine Hand weg und erhob sich, wobei er leicht taumelte. Erst jetzt fiel mir der leichte Geruch von Alkohol auf und ich starrte meinen Bruder entsetzt an. "Was hast du genommen?" "Was?" "Auf welchen Drogen bist du?" "Rede keinen Schwachsinn, Sis." "Ich rede keinen Schwachsinn. Deine Pupillen sind eindeutig und du riechst nach Alkohol, also frage ich dich, was du genommen hast." Meine Stimme blieb ruhig, obwohl ich innerlich vor Sorge zu explodieren schien. "Das geht dich gar nichts an!" Bevor ich etwas tun konnte, hatte Jonny mich heftig zur Seite gestoßen, sodass ich aus dem Gleichgewicht kam und zu Boden fiel, wobei ich mit dem Kopf gegen die Tischkante knallte. Vor Schmerz stöhnend blieb ich liegen und hörte nur noch das Knallen der Haustür. Benommen griff ich mir an die Stirn und zuckte zusammen, als ich die Quelle des Schmerzes traf. Zu meinem Entsetzen waren meine Finger blutig, als ich sie zurückzog, ich hatte mir mit der Tischkante wohl richtig eine gegeben. In diesem Moment ertönte Marks Stimme aus dem Flur. "Ich bin zu Hause!", rief er fröhlich und ich hörte seine Schritte, die sich mir näherten. Als er die Küche betrat, fiel sein Blick sofort auf mich und er hockte sich mit besorgtem Blick neben mich. "Was ist passiert?" Ich überlegte kurz, ob ich ihn anlügen sollte, aber das hatte er nicht verdient. "Jonny war sauer und hat mich geschubst, dann ist er abgehauen." "Ich hab ihn weggehen sehen", informierte Mark mich und schaute dann kritisch auf meine Stirn. "Wir sollten damit ins Krankenhaus, das sieht echt übel aus." "Ach was, mir geht's gut." Ich wollte aufstehen, doch meine Beine zitterten und trugen mich nicht, sodass ich direkt in Marks Arme sackte. "Ich rufe besser einen Krankenwagen." Gerade wollte ich etwas erwidern, als sich alles um mich herum zu drehen begann und mir mein Frühstück hochkam. In letzter Sekunde beugte ich mich von meinem Bruder weg und übergab mich auf den Küchenboden, dann sank ich erschöpft nach hinten und lehnte meinen Kopf gegen das Tischbein. "Ich ruf schnell den Krankenwagen und mach das dann weg", versicherte Mark und erhob sich. Nur am Rande lauschte ich dem kurzen Telefonat, dann kam mein Bruder zurück und machte mein Erbrochenes weg. Mir war das unglaublich unangenehm und ich entschuldigte mich mehrfach bei ihm, aber er beruhigte mich jedes Mal damit, dass das doch nicht schlimm sei. Kaum hatte er alles weggewischt, klingelte es auch schon an der Haustür. Mark verschwand und kehrte kurz darauf mit zwei Sanitätern zurück. Mitterweile tanzten vor meinen Augen schon schwarze Punkte und ich hatte Mühe, bei Bewusstsein zu bleiben. Ich bekam die Fragen, die mir gestellt wurden kaum mit und blinzelte nur einmal irritiert, als ein helles Licht in meine Augen leuchtete. Kurz zischte ich vor Schmerz, als etwas auf die Platzwunde an meiner Stirn geklebt wurde, dann hörte ich, wie die Sanitäter Mark erklärten, dass ich auf jeden Fall ins Krankenhaus musste, da ich wohl eine Gehirnerschütterung hatte und die Wunde genäht werden musste. Sofort richtete ich mich etwas gerade und unterbrach das Gespräch. "Ich kann nicht ins Krankenhaus, ich muss mich hier um alles kümmern!" "Hey, wir kriegen das schon hin, Becca. Aber du musst auch mal an dich und deine Gesundheit denken und nicht immer nur an uns. Fahr' ins Krankenhaus und lass dich ordentlich durchchecken, ich versuche Papa zu erreichen und schicke ihn nach." Ich nickte schwach und schwieg, was vor allem daran lag, dass ich Angst hatte, mich wieder übergeben zu müssen. Die Sanitäter hievten mich auf eine Trage und trugen mich zum Krankenwagen, während ich versuchte nicht daran zu denken, was ich heute eigentlich alles zu tun hatte.

Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt