Prolog

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18. 04. 1950, New York

Wenn Sie diese Zeilen lesen, dann haben Sie sie gefunden. Eine wahre Geschichte, meine Geschichte. Ich kann Ihnen ruhigen Gewissens versichern, dass sich alles wirklich so zugetragen hat, wie es hier niedergeschrieben steht und ich bitte Sie inständig, respektvoll damit umzugehen.

Sie halten also jetzt dieses Buch in der Hand. Nehmen Sie sich ruhig einen Moment Zeit, den Einband zu betrachten, mit den Fingern über den Buchrücken zu fahren und dann andächtig die erste Seite aufzuschlagen. Genießen Sie den Geruch der langsam vergilbenden Seiten und der Druckerschwärze, der so vertraut und doch bei jedem Buch anders ist.

Ich bin mir sicher, jetzt lächeln Sie und wissen genau, was ich meine. Und erst jetzt, in diesem Moment, dürfen Sie den Gedanken zulassen, der sich fragt, was für eine Geschichte, dieses Buch erzählen möchte.

Ja, ich weiß, ich erwähnte schon, dass es meine eigene ist, doch was heißt das schon, wenn Sie nicht wissen, wer ich bin oder was ich getan habe, dass ich denke, meine Geschichte müsse zu Papier gebracht werden. Also werde ich Ihnen so viel verraten, wie sie wissen müssen, um dieses Buch zu lesen.

Mein Name war einst Raven Silver, doch das ist schon lange Vergangenheit. Heute trage ich einen anderen Namen, den ich zu dieser frühen Stunde jedoch nicht zu verraten gedenke. Anstelle dessen, kann ich eine seltsame, verrückte und überaus heikle Erzählung versprechen, die von Fantasie, Wissensurst, Liebe und einigen unglücklichen Zufällen berichtet. Sie erzählt davon, wie ich über meinen eigenen Schatten sprang, lernte über meinen Tellerrand hinauszublicken und die Welt zu sehen und wie ich meine Liebe fand, aber dazu zu einem späteren Zeitpunkt mehr.

Denn jetzt, meine lieben Leserinnen und Leser, möchte ich beginnen zu erzählen. Lehnen Sie sich zurück und tauchen sie in meine Geschichte ein.

London, 01. 10. 1889

Der Wind war eisig und trieb dem jungen Mann, der zu dieser frühen Stunde über den Campus der Universität eilte, die Tränen in die Augen. Schon seit einiger Zeit war die Kälte ihm unter den dünnen Mantel, den er trug, gekrochen und ließ ihn frieren. Er erhoffte sich eine positive Nachricht und verbot sich jeden Gedanken daran, was geschehen sollte, wenn er eine Absage erhielt.
So lange hatte er nun gekämpft, gearbeitet und gelernt und hoffte nun, dass er an dieser Universität  angenommen wurde.

Als Big Ben in der Nähe acht Uhr schlug, erreichte er die Tür des ehrwürdigen Gebäudes. Zögernd schob er sie auf und blickte sich nervös um. Er konnte all das Wissen seiner Umgebung spüren und es verschlug ihm für einen Moment die Sprache. Dann jedoch schien er sich zu besinnen und hastete weiter. Sein Ziel war das Büro des Dekans und als er schließlich davor stand und das Messingschild an der Tür betrachtete, das Mr Michael Leigh verkündete, schlichen sich Zweifel an seinem Vorhaben und sich selbst bei ihm ein. Fahrig glitten seine Hände über den Stoff seines zerschlissenen Mantels und er richtete seinen schwarzen Hut, bevor er die Hand hob und drei Mal kräftig klopfte.

Einige Sekunden tat sich nichts, dann hörte er gedämpfte Schritte und nur zwei Sekunden später wurde die Tür schwungvoll aufgezogen. Im Türrahmen stand ein untersetzter Mann, im grauen Anzug und dicker Hornbrille. Seine Miene war streng, doch der Jüngere konnte einen freundlichen Zug in seinen Augen erkennen, der ihn hoffnungsfroh stimmte.

„Guten Tag, Mr Leigh“, begrüßte er ihn und der Dekan nickte ihm zu. „Guten Tag. Kommen Sie herein und setzen Sie sich“, wies er ihn ohne weitere Umschweife an und er folgte seiner Anweisung ohne zu zögern.
Unsicher setzte er sich auf den ihm angebotenen Stuhl und nahm seinen Hut ab, den er unruhig in den Händen wendete und drehte, während der Dekan sich ihm gegenüber niederließ. Er wagte nicht zu sprechen und musste sich sehr beherrschen, um nicht mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln. Das hätte sicher keinen guten Eindruck auf Mr Leigh gemacht und schließlich lag alles, was er sich gerade wünschte, in den Händen dieses Mannes.

„Ich möchte nicht gerne um den heißen Brei reden“, begann der Dekan. „Sie haben mit Abstand die besten Ergebnisse bei der Aufnahmeprüfung gehabt.“ Unbändige Freude und Stolz durchfluteten den jungen Mann. Die nächsten Worte des Dekans jedoch ließen ihm das Blut in den Adern gefrieren. „Allerdings  können wir keine Studenten aufnehmen, die die Studiengebühren nicht bezahlen können und zudem aus den niederen Gesellschaftsschichten stammen. Es tut mir wirklich leid.“

Schock durchflutete ihn und er schaffte es kaum, sich zu bewegen. „Gibt…Gibt es da wirklich nichts zu machen, Sir? Ich würde auch sicher alles irgendwann zurückzahlen“, brachte er mühsam heraus und spürte doch die Hoffnung schwinden. „Ich bedaure, aber leider können wir auf ein ,irgendwann´ nicht vertrauen. Es tut mir sehr leid, aber wenn Sie die Studiengebühren nicht zusammenbringen, kann ich Sie hier nicht willkommen heißen.“ Mr Leigh sah wirklich so aus, als täte es ihm aufrichtig leid, doch sein Blick duldete keine Widerrede. Also stand der junge Mann mit zitternden Knien auf, räusperte sich und setzte sich den Hut wieder auf. „Dann wünsche ich Ihnen noch einen guten Tag, Mr Leigh“, presste er bitter hervor und neigte knapp den Kopf, bevor er das Büro verließ.

Der Dekan schaute ihm bedauernd hinter her. Dieser Junge wäre ein hervorragender Student gewesen, ein kluger Kopf mit mehr Verstand, als die meisten reich geborenen Schwachköpfe, die hier studierten.

Ja, hallo liebe Leser. Ich hoffe es gefällt euch. Bitte gerne kommentieren, damit ich weiß, was ich noch besser machen könnte

Silver LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt