Kapitel 5

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Den Rest des Tages hatte ich in meinem Zimmer  verbracht und nur Rose hereingelassen, die mir ein Tablett mit Kakao und Sandwiches brachte. „Raven, was ist passiert?“, fragte sie mich sanft. Heiße Tränen liefen mir über die Wangen und ich fühlte mich so grauenhaft wie noch nie zuvor. Ich drehte mich in meinem Bett so, dass sie mir nicht ins Gesicht schaue konnte. „Ich möchte nicht darüber sprechen“, murmelte ich, während sie sich auf meine Bettkante setzte. „Doch, das möchtest du“, widersprach sie und ich hörte das Lächeln in ihrer Stimme.

„Ich habe alles versaut, Rose“, schluchzte ich. „Was hast du getan?“ Ich schüttete ihr mein Herz aus und weinte, bis ich keine Tränen mehr übrig hatte. Rose hörte nur zu und ich war ihr unglaublich dankbar, dass sie mir nicht noch sagte, dass Mr Sandrian recht gehabt hatte. Ich schämte mich so unglaublich für mich selbst. „Aber du hast verstanden, was er dir sagen wollte, nicht wahr?“, fragte sie leise. „Ja a a.“ „Dann geh am Montag zu Mr Sandrian und entschuldige dich bei ihm. Sag ihm, dass du es verstanden hast und bitte ihn um eine zweite Chance.“ „Das kann ich nicht. Ich kann ihm nie mehr unter die Augen treten, Rose.“ Behutsam strich meine Schwester mir über den Rücken, während sie mich in den Arm nahm.

Ihre Umarmung ließ mich mich schon ein wenig besser fühlen und Rose blieb noch eine ganze Weile. Irgendwann stand sie auf, holte mir ein Buch und legte es auf meinen Nachttisch.

Als sie gegangen war, setzte ich mich auf, nahm das Tablett mit den Sandwiches zur Hand und aß sie bis auf den letzten Krümel auf. Dann trank ich das nur noch lauwarme Getränk und griff nach dem Buch, das mir wenigstens für eine Zeit, Vergessen schenken würde.

Es half tatsächlich und zu meinem großen Glück, schlief ich über dem Lesen ein.

Am nächsten Morgen hatte ich Klarheit. Rose hatte recht. Ich musste noch einmal in die Arztpraxis gehen und mich entschuldigen und Mr Sandrian um eine zweite Chance bitten. Ich wusste ja nun, was auf mich zu kommen würde und ich war mir sicher, dass ich das wollte.
Indem ich den Leuten half, konnte ich vielleicht ein bisschen was gut machen von dem Schaden, den ich in dieser einen Woche angerichtet hatte.

Das einzige Problem war jetzt noch der Arzt. Ich war mir nicht sicher, wie und ob er sich überzeugen lassen würde. Schließlich war seine Botschaft am Tag zuvor unmissverständlich gewesen. Er wollte mich hier nicht mehr sehen.
Ich seufzte. Das schlechte Gewissen drückte noch immer stark auf meine Laune und ich verspürte keinen Drang, mich jetzt unter Leute zu begeben. Ich wusste nicht, wie ich Henry unter die Augen treten sollte. Schließlich hatte er mich mit Mr Sandrian bekannt gemacht und bereute es jetzt bestimmt schon. Vermutlich schämte er sich für mich und das war etwas, das ich nur sehr schlecht ertragen konnte. Doch das alles hatte ich mir selbst eingebrockt und musste nun mit den Konsequenzen klarkommen.

Also schlug ich die Bettdecke auf und  quälte mich aus den Federn. Ein Blick in den Spiegel reichte, dass ich meine Entscheidung aufzustehen, gerne rückgängig gemacht hatte. Mein Anblick war grauenhaft. Verquollene umschattete Augen, zerzauste Haare und extrem blasse Haut, die mich krank aussehen ließ.
Zum Glück ließ sich wenigstens gegen Äußerlichkeiten etwas tun. Ich wusch mich gründlich, kämmte meine Haare, flocht sie zu einem Zopf und steckte sie am Hinterkopf hoch. Ich puderte mir zusätzlich leicht die Wangen und war schon sehr viel zufriedener mit meinem Spiegelbild.
So fühlte ich mich reif, um wieder Leuten zu begegnen.

Unten erwarteten mich Rose, Henry und Sophie, die zusammen an einem Frühstückstisch saßen. Sie schauten auf, als ich eintrat, doch mein Blick galt einzig und allein Henry. Er sagte nichts, doch ich bemerkte eine Spur Enttäuschung in seinen Augen. „Guten Morgen“, flüsterte ich beschämt. „Guten Morgen, Raven. Setz dich zu uns“, lud Henry mich mit schwachem Lächeln ein und ich konnte es noch weniger ertragen, dass er auch noch freundlich zu mir war. Mein Gesicht begann wieder zu glühen und sah auf meine Hände, die ich in meinem Schoß gefaltet hatte. „Iss etwas“, sagte Rose sanft und legte eine warme Hand auf meine. Ich nahm einen Löffel zur Hand und begann zu essen.

Silver LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt