Kapitel 8

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Am Montagmorgen stand ich pünktlich um viertel vor acht vor der Tür der Praxis. Die Straße war mir mittlerweile bekannt und kam mir schon viel freundlicher und einladender vor, als noch vor einigen Wochen. Ich atmete die kühle Morgenluft ein, die einen warmen Tag versprach und klopfte drei Mal an die Tür.

Der Arzt öffnete und sah noch schlechter gelaunt aus als sonst. Seine finster blickenden Augen waren dunkel umschattet und seine Haare fielen ihm tief in die Stirn. Offensichtlich hatte er sie sich gerauft. „Guten Morgen“, grüßte ich dennoch höflich und knickste leicht. „Kommen Sie rein“, entgegnete er lediglich und ich ärgerte mich darüber. Ein „Schön, dass Sie wieder da sind“, oder einfach ein „Guten Morgen“, wäre nett gewesen, aber das war offensichtlich zu viel verlangt.
Ich schnaubte.

Er drehte sich zu mir um und warf mir einen verwunderten Blick zu. „Stimmt etwas nicht, Miss Silver?“ Ungläubig starrte ich ihn an. Was war eigentlich mit diesem Mann los? Erst war er zu tiefst unhöflich und dann fragte er mich, was los sei. „Es wäre einfach nett, wenn Sie mir ein wenig höflicher begegnen würden, anstatt entweder nichts zu sagen oder schroffe Antworten zu geben“, blaffte ich ihn an und zu meiner Verwunderung fuhr er sich in einer unbewussten Geste zerstreut durch das schwarze Haar und seufzte. „Sie haben ja recht, Miss Silver. Es ist nicht Ihr Problem, dass für mich heute so ein scheußlicher Tag ist. Es tut mir leid.“ Zufrieden nickte ich. „Schon gut. Lassen Sie uns einfach noch mal von vorn beginnen. Guten Morgen.“

Er lächelte gedankenverloren und streckte mir die Hand hin. „Guten Morgen, Miss Silver.“ Er bedeutete mir, voran zu gehen und ich fragte mich unwillkürlich, was ihn so bedrückte an diesem Morgen.

Wir betraten den Behandlungsraum und Mr Sandrian wies mich an, mich zu setzen. „Es gilt noch eine Frage zu beantworten“, meinte er und ich erinnerte mich. „Hat sich Ihre Antwort geändert?“ Ich überlegte kurz und stellte fest, dass sie das tatsächlich hatte. „Ja, ich denke schon“, meinte ich nachdenklich. „Dann sagen Sie mir, was es Ihnen bedeutet, Arzt zu sein.“ Einen Moment dachte ich darüber nach, wie ich es in Worten ausdrücken sollte und dann fand ich die einfachste und doch zutreffendste Antwort, die es gab. „Es bedeutet für mich, Menschen zu helfen“, erwiderte ich aufrichtig und dann wurde ich an diesem Morgen erneut überrascht.

Ein breites Lächeln legte sich auf seine Lippen und für einen Moment verschwand der traurige Ausdruck aus seinem Gesicht. Plötzlich wirkte er viel jünger. Ein Grübchen bildete sich an seiner Wange und mir fiel auf, dass er eigentlich wirklich gut aussah, was mir bis jetzt völlig entgangen war, aufgrund seiner Ernsthaftigkeit.
„Ich bin stolz auf Sie, Miss Silver“, gestand er mir. „Sie haben es wirklich geschafft, über Ihren Schatten zu springen und ich bin froh, Ihnen eine zweite Chance gewährt zu haben.“ Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. Auch, wenn ich versucht hatte, mir selbst einzureden, es wäre anders, konnte ich nicht umhin, dass mir Mr Sandrians Meinung mir aus irgendeinem Grund wichtig war.

„Und ich bin froh, dass ich zurück gekommen bin. Wissen Sie, ich möchte wirklich etwas lernen.“ „Dann haben Sie Glück, dass ich gerade beschlossen habe, dass Sie ab heute hier arbeiten dürfen. Sie können mir assistieren und helfen und ich werde Ihnen alles erklären.“

Ein wunderbares Glücksgefühl machte sich in mir breit. Dann fiel mir noch etwas ein. „Wäre es wohl in Ordnung, wenn ich eine halbe Stunde früher gehen könnte?“, fragte ich und erntete prompt ein Stirnrunzeln.“ „Warum das denn? Sie müssen das schon ernst nehmen, Miss Silver…“ „Das tue ich, Mr Sandrian. Aber ich habe den Scotts versprochen, ihren Söhnen das Lesen und Schreiben beizubringen. Wenn das allerdings ein Problem darstellen sollte, werde ich das auf später verschieben.“ Ich sah, wie er mit sich rang. Natürlich wollte er, dass die Scott-Kinder Bildung bekamen, andererseits sollte ich lernen, diese Arbeit ernst zu nehmen. „Es ist schon in Ordnung. Ich werde einfach später dort hingehen“, sagte ich und wusste, dass ich ihn damit überzeugt hatte. Ich war bereit, meine freie Zeit zu opfern, um den Kindern zu helfen und im Grunde war, es genau das, was er von mir wollte.

Silver LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt