Kapitel 30

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Der nächste Morgen kam und brachte keine Besserung. Im Gegenteil. Ich hatte erst in den frühen Morgenstunden Schlaf gefunden und auch das hatte mir keine Erleichterung gebracht, doch einer Sache war ich mir wenigstens sicher. Ich würde Mr Jenkins definitiv nicht heiraten.

Am Morgen wurde ich von Rose geweckt, die mir ein Tablett mit Frühstück brachte und mir mitteilte, dass Mutter untersagt hatte, dass ich das Zimmer verließ. Ich seufzte und dankte ihr, dass sie mir etwas zu Essen brachte. Sie nickte und schloss die Tür wortlos hinter sich und ließ mich damit wieder allein zurück.

Einen Moment später schlich Sophie sich zu mir herein und krabbelte zu mir ins Bett. Ich zog sie an mich und strich ihr über den goldenen Lockenkopf. „Oh Sophie, was würde ich nur ohne dich machen, hm?" Sie drehte sich zu mir um und schaute auf. „Kannst du mir was vorlesen?"

Ich lächelte leicht und nickte. In meinem Regal stand noch immer das Märchenbuch. Ich stand auf, nahm es heraus und schlug es auf. Leise begann ich ihr vorzulesen. Die Zeit verging. Aus Morgen wurde Mittag und aus Mittag Nachmittag.

Irgendwann holte Rose Sophie und warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu. Ich nahm ein neues Buch zu Hand, in dem ich mich vergrub. Zwischendurch würgte ich die Schale mit kaltem Porridge und Pflaumenkompott hinunter und trank meinen Tee. Dann öffnete sich die Tür erneut und meine Mutter betrat den Raum.

Ich schaute auf, rührte mich ansonsten jedoch nicht. Sie setzte sich auf mein Bett. „Raven, lass uns den Streit begraben." Ich lachte ironisch. „Liebend gern, Mutter, aber ich werde diesen Mann nicht heiraten."

Ihr zuvor noch besänftigender Gesichtsausdruck verdüsterte sich. „Sondern diesen Bettelarzt? Ja, Henry hat mir von ihm erzählt." Verräter, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss. „Ja, vielleicht." „Jetzt hör mir mal zu. Ich stelle dich vor die Wahl. Entweder du heiratest Mr Jenkins oder ich werde diesen Arzt in den Ruin treiben und dafür sorgen, dass er niemals wieder irgendwo eine Anstellung findet. Denk nur an seine zwei Kinder. Was wird wohl mit denen passieren, wenn ihr Vater kein Geld mehr verdient?"

Mein Atem stockte. „Du bist ein perfides Monster", wisperte ich, sie lächelte zufrieden und stand auf. „Ich habe Mr Jenkins heute Abend zum Essen eingeladen. Dann wirst du ihn um Verzeihung bitten und seinen Antrag annehmen oder ich werde Mr Sandrian das Leben so sehr zur Hölle machen, dass er den Tag verfluchen wird, an dem er dich kennengelernt hat."

Mit diesen Worten zog sie die Tür zu. „Vater hätte das nicht gewollt!", rief ich ihr in einem letzten, verzweifelten Versuch hinterher, doch sie kehrte nicht zurück.

Ich traute ihr voll und ganz zu, dass sie genau tun würde, was sie mir angedroht hatte. Ich durfte nicht zulassen, dass Leander die Praxis verlor. Aber ohne ihn zu leben, war für mich unvorstellbar. In mir tobte eine schreckliche Qual. Ich konnte mich zwischen meinem und seinem Glück entscheiden.

„Verdammt!", schrie ich und schüttelte mich in einem Weinkrampf. Ich erinnerte mich daran, was Mrs Scott gestern gesagt hatte, dass ich um ihn kämpfen musste. Aber ich hatte geantwortet, ich würde alles für ihn tun. Für ihn und nicht für mich. Was wäre wichtiger für ihn? Mit mir zusammen zu sein oder seine Kinder zu ernähren und die Praxis am Laufen zu halten?
Die Antwort lag auf der Hand, aber ich sträubte mich dagegen.

In den nächsten Stunden wälzte ich alles hin und her und kam doch immer wieder zum gleichen Ergebnis.

Ich liebte Leander mehr als mein Leben und wenn ich für ihn Mr Jenkins heiraten musste, dann würde ich das tun. Auch, wenn das bedeutete, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben würden.

Der Gedanke fügte mir solche körperlichen Schmerzen zu, dass ich mich krümmte und weinte. Ich hasste mich dafür und fühlte mich beschmutzt, wenn ich mich mit Mr Jenkins in den Stand der Ehe begeben würde. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie Leander reagieren würde, wenn er davon erfuhr.

Silver LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt