Kapitel 24

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Sicht: Raven Silver

Schweigend saßen wir nebeneinander und ich konnte noch immer nicht fassen, dass Leander Sandrian mich zu einem Ausflug eingeladen hatte. Der Arzt saß stumm neben mir, als hätte er sich in seinen Gedanken verloren.

Sein unverwechselbarer Geruch nach Sandelholz und Frühling strömte von ihm aus und ich atmete tief und gleichmäßig ein. Ich war so unglaublich in ihn verliebt, dass ich nicht einen Mucks von mir geben konnte, allein weil er sich so dicht neben mir befand.

Nach einer Ewigkeit stand ich auf, klopfte mir den Staub vom Rock und stieg wieder hinab. Mr Sandrian blieb, wo er war und ich schaute kurz zurück. Das Bild, das er abgab, brannte sich in mein Gedächtnis ein.

In diesem Moment sah er genauso aus, wie ich ihn wahrnahm. So schön wie auf ein Gemälde gebannt und doch innerlich zerbrochen und verzweifelt. Zusammengekrümmt saß er auf der obersten Treppenstufe mit zerrauften, schwarzen Haaren und strahlend grünen Augen, die in eine unsichtbare Ferne starrten, die nur er zu sehen vermochte und die wohl eine bessere Welt widerspiegelte als er sie kannte.

Ich riss mich von seinem Anblick los und kehrte zu den wartenden Kranken zurück, die mich hoffnungsvoll beobachteten. „Wer ist der nächste?", fragte ich in die Runde. Augenblicklich schossen alle Hände in die Höhe, nur einer, der mir schon vor ein paar Stunden aufgefallen war, hielt sich zurück.

„Sie, kommen Sie", sagte ich und deutete auf ihn. Er war Mitte zwanzig, hatte breite Schultern und ein freundliches Gesicht, das von blonden widerspenstigen Haaren umrahmt wurde.

Er drückte mir die Hand und setzte sich dann auf die Pritsche. „Was kann ich für Sie tun, Mr...?" Er lächelte. „Errol. John Errol." „Mr Errol?"

Wortlos hob er sein Hemd und ich sog scharf die Luft ein. Sein Oberkörper war ein einziger Bluterguss. Ich streckte die Hand aus, um die Rippen abzutasten. „Darf ich?", fragte ich. Er nickte. „Nur zu. Tun Sie, was immer Sie müssen."

Er brachte es betont ruhig hervor, doch ich sah, dass er angestrengt geradeaus starrte, als ich mit den Händen über seine offensichtlichen Brüche fuhr. „Wie ist das passiert?", fragte ich ihn neugierig. „Ein Pferd hat mich als Fußmatte benutzt", presste er hervor und ich grinste leicht.

„Es sieht so aus, als wären die dritte, vierte und fünfte Rippe gebrochen. Ich werde Ihnen etwas Weidenrinde verabreichen, die Sie kauen müssen. Dass sollte den Schmerz betäuben, damit Sie richtig atmen können. Mehr können wir zurzeit nicht tun. Es ist äußerst selten bei Rippenbrüchen, dass der Knochen sich verschiebt", erklärte ich geduldig, während ich in den Schränken nach Weidenrinde suchte.

„Es tut mir leid, Miss Silver, aber von Medizin habe ich keine Ahnung." Ich zuckte mit den Schultern und reichte ihm die Weidenrinde. „Hier, kauen Sie das so oft wie nötig. Dann sollte der Schmerz ein wenig nachlassen."

Er nickte und stand auf. „Vielen Dank. Ich hoffe, Sie haben recht und es hilft wirklich." Ich lächelte. „Keine Sorge, da habe ich keine Bedenken."

Ich hielt ihm die Tür auf und ließ den gutaussehenden Mann nach draußen. Er zog zum Abschied den Hut und verließ den Raum.

Ich setzte mich für einen Moment auf Mr Sandrians Stuhl und wünschte mir, er wäre gerade hier. In diesem Moment und ich musste über mich selbst grinsen, ging die Tür auf und der Arzt kam herein.

Er schaute missmutig drein und doch stolperte mein Herz augenblicklich. Sein Blick fiel auf mich und seinen Stuhl und er verzog das Gesicht, verkniff sich jedoch jeden Kommentar. Langsam, wie in Zeitlupe, hoben sich seine dunklen Augenbrauen.

„Mr Scott wartet draußen. Was denken Sie, können Sie sich seinen Arm anschauen?" Zögernd nickte ich und stand auf. „Ja, Sir. Ich schaffe das." Seine Augen hielten meinen Blick für einen Moment prüfend fest, dann nickte er. „Ich denke auch."

Silver LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt