Es war Freitagabend und meine Nerven lagen blank. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, Mr Sandrian dazu zu zwingen, mich mitzunehmen? Ich würde versagen, mich völlig blamieren und mir dazu noch alle Knochen brechen.Vielleicht sollte ich meiner Mutter einfach sagen, dass Mary, die als Ausrede herhalten musste, abgesagt hatte. Nein, das würde ich nicht tun, denn trotz allem wollte ich Leander Sandrian sehen.
Ich seufzte und schlüpfte in das einfache Kleid und die bequemen Schuhe, die ich mir ausgesucht hatte und betrachtete mich im Spiegel. Ich starrte mir selbst besorgt entgegen. Da dieser Anblick wenig beruhigend war, seufzte ich tief und versuchte mich an einem Lächeln.
Dann gab ich mir einen Ruck und schlich mich aus dem Haus, wo zu meiner Überraschung Mr Sandrian bereits wartete. „Guten Abend, Miss Silver." „Guten Abend, Mr Sandrian", hauchte ich und knickste leicht.
„Wollen wir?" Ich nickte zaghaft. „Wohin gehen wir?" „Lassen Sie sich überraschen. Es wird Ihnen gefallen", versprach er und führte mich durch die nächtlichen Gassen von London.
Es dauerte nicht lange, bis wir die Themse erreichten, die im Licht der Laternen silbrig schimmerte.
Die Nacht war klar und warm und ein Blick zum Himmel sagte mir, dass heute Vollmond war. Ich genoss jede Sekunde unseres nächtlichen Spaziergangs und hatte schon beinahe den Grund dafür vergessen, als wir plötzlich vor dem Globe Theatre in Southwark standen.
„Überraschung", lächelte Mr Sandrian und ich strahlte. Er deutete auf ein benachbartes Gebäude. „Wenn Sie das wirklich wollen, werden wir dort hoch steigen." „Helfen Sie mir?" Er lächelte. „Wenn Sie Hilfe brauchen, bin ich da." Ein warmer Schauer lief mir den Rücken hinab. „Dann los."
Er griff nach einer Regenrinne und zog sich an einem kleinen Fenstersims hoch. Ich versuchte, jedem seiner Schritte zu folgen und stellte fest, dass es zwar anstrengend war, aber nicht so kompliziert, wie ich gedacht hatte. Vermutlich lag es aber daran, dass Mr Sandrian mir zeigte, was ich tun musste und mir bei den schwierigen Stellen half.
Stück für Stück kamen wir dem Dach näher, doch es fiel mir immer schwerer, mich festzuhalten, denn meine Kräfte hielten nicht so lange an wie seine. Als er das bemerkte, nahm er meine Hand und zog mich einfach das letzte Stück über die Dachschwelle.
Schwer atmend krümmte ich mich unter seinem prüfenden Blick. Erst als ich mich halbwegs beruhigt hatte, schaffte ich es, Augen für etwas anderes zu haben.
Wir befanden uns hoch über der Straße, doch unterhalb des Daches des Theaters. Von dort drang der Klang von Musik an mein Ohr. „Das ist mein Lieblingsort. Und heute Abend findet ein Konzert statt. Ich dachte, Ihnen könnte die Musik vielleicht gefallen." Er sah mich abwartend an. „Es ist wundervoll. Wirklich, ich könnte mir keinen schöneren Ort vorstellen", gestand ich ihm.
„Das freut mich. Ich meine, mit Mr Jenkins hätten Sie sicher heute Abend innerhalb des Theaters sitzen können." War das etwa Verlegenheit, die bei ihm durchschimmerte? „Ich kann Ihnen versichern, dass ich nicht einmal mit Mr Jenkins ins Konzert gegangen wäre, wenn meine Alternative wäre, mit einem Bettler auszugehen."
Er lachte und es war so befreiend, dass ich mit einstimmte. „Das freut mich zu hören. Ansonsten hätte ich Sie nämlich falsch eingeschätzt, Raven."
Ich stockte und schloss die Augen. In meinen Ohren hallte noch immer der Klang meines Namens von ihm ausgesprochen nach. „Wollen Sie tanzen?"
Ich öffnete die Augen wieder und hielt den Atem an beim Anblick seiner Hand, die er mir mit sanftem Schimmer in den Augen hinhielt.
Zaghaft legte ich meine in seine, die mir warm und stark erschien. Seine andere schob er auf meinen Rücken und zog mich ein Stück näher an ihn, was mein Herz zum Rasen brachte und meinen Atem versagen ließ.
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Silver Love
Historical Fiction„Schließen Sie die Augen und geben Sie sich der Musik hin", flüsterte er in mein Ohr und ich seufzte. Dann folgte ich seinem Ratschlag und schloss die Augen. „Jetzt atmen Sie tief aus und lassen die Anspannung los." Tatsächlich verschwanden plötzlic...