Als ich am nächsten Morgen erwachte, spürte ich als aller erstes ein nervöses Flattern in der Magengegend. Es war so weit. Ich musste Mr Sandrian unter die Augen treten und meine Nerven verkrafteten das gar nicht gut.
Ich stand auf und zog mich mit zitternden Händen an. „Beruhige dich, Raven. Es bringt dir gar nichts, so nervös zu sein“, redete ich mir selbst gut zu, nur leider brachte das nicht den gewünschten Effekt. Also ließ ich es bleiben und schlich mich nach unten.Dort musste ich feststellen, dass ich keinen Bissen des Frühstücks hinunterbrachte und vermutete, dass der Knoten in meinem Magen sich erst lösen würde, wenn ich es hinter mich gebracht hatte.
Also begnügte ich mich mit einem Schluck Tee und stand dann auf, um aufzubrechen. Ich wusste, dass es viel zu früh war, doch was spielte das schon für eine Rolle.Während der Fahrt war ich ganz hibbelig und mein Herz schlug unangenehm in meiner Brust und meine Atmung hatte sich deutlich beschleunigt. Ich hasste dieses Gefühl und ich konnte einfach nicht still sitzen. Fahrig fuhr ich mit den Fingern über den Stoff des Rocks, den ich trug und wippte mit dem Fuß.
Erst als ich aus der Kutsche stieg und Mr Podmore bat, einen Moment zu warten, überkam mich plötzlich eine unerwartete Ruhe. Meine Füße trugen mich wie in Trance zur Tür.Zögernd hob ich die Hand und widerstand dem Drang, zu laufen, so weit, wie mich meine Beine tragen würden. Dann pochte ich drei Mal und wartete.
Eine halbe Minute des Bangens erwartete mich und sie kam mir vor wie Stunden. Ich wusste nicht, ob ich wollte, dass die Tür sich öffnete, doch dann tat sie es und ich fand mich einem grimmig drein blickenden Mr Sandrian gegenüber. „Guten Morgen“, brachte ich mit heiserer Stimme heraus.Er hob die Augenbrauen. „Darf ich Sie fragen, was Sie hier tun, Miss Silver? Hatte ich meinen Standpunkt letzten Samstag nicht klar genug ausgedrückt?“, fragte er. „Doch, das haben Sie, aber ich bin hier, um mich bei Ihnen zu entschuldigen. Sie haben mir klargemacht, wie grauenhaft ich mich benommen habe und es tut mir wirklich leid. Ich habe verstanden, was Sie mir sagen wollten und ich möchte Sie um eine zweite Chance bitten.“ Sein Gesicht verfinsterte sich deutlich. „Nein“, sagte er vehement.
Ich schloss für einen Moment die Augen. „Gibt…Gibt es da wirklich nichts zu machen, Sir?“, fragte ich aufgelöst. Ich spürte meine Hoffnung schon schwinden, doch irgendetwas schienen meine Worte bei ihm auszulösen, denn er wurde ganz plötzlich kalkweiß im Gesicht. Er blinzelte, als müsste er sich wieder fangen und irgendwie schien ich ihn entwaffnet zu haben, auch wenn ich keinen Schimmer hatte, wie. Mr Sandrian schluckte.
„Sie haben eine Chance, Miss Silver. Eine, mit genau so viel Spielraum.“ Er hielt die Finger ein Stück auseinander, um mir zu verdeutlichen, dass ich auf ziemlich dünnem Eis balancierte. „Ein Fehltritt und Sie sind endgültig raus, haben Sie das verstanden?“ Ich atmete erleichtert aus. „Vielen, vielen Dank, Mr Sandrian“, seufzte ich zufrieden.
Ich gab Mr Podmore ein Zeichen, dass er fahren konnte und betrat dann die Arztpraxis. Mein Herz fühlte sich so leicht an, wie schon lange nicht mehr.
Kann ich Ihnen bei irgendetwas helfen?“, fragte ich Mr Sandrian, der mich noch immer anstarrte. Ich sah, dass er irgendwie völlig aus der Spur geraten war. „Hm. Legen Sie die Akte von Mrs Elisabeth Scott heraus. Sie wird gleich kommen.“ „Ja, Sir.“ Ich zwang mich zu lächeln und bekam einen skeptischen Blick aus zusammengekniffenen Augen zurück.
Ich hob die Augenbrauen und machte mich daran, die gewünschte Akte herauszusuchen.
Ich fand sie unter dem Buchstaben S. Doch darüber lag noch eine andere mit zwei Namen, die mich stutzen ließen. Sandrian Annabelle und Jonathan. Wer waren diese beiden, die den Nachnamen des Arztes trugen? Annabelle und Jonathan?Es juckte mich in den Fingern, einfach die Akte zu nehmen und sie aufzuschlagen, doch ich hatte Angst, mich damit in Dinge einzumischen, die mich nichts angingen und das wollte ich gerade nicht riskieren, wo Mr Sandrian ohnehin nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen war.
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Silver Love
Historische Romane„Schließen Sie die Augen und geben Sie sich der Musik hin", flüsterte er in mein Ohr und ich seufzte. Dann folgte ich seinem Ratschlag und schloss die Augen. „Jetzt atmen Sie tief aus und lassen die Anspannung los." Tatsächlich verschwanden plötzlic...