Kapitel 18

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Sicht: Raven Silver

London, 18. 05. 1895

Es war halb sieben am Abend und ich schaute mich prüfend im Spiegel an. Ich trug das hellblaue Kleid, das Rose und ich neulich gekauft hatten. Sie hatte mir die Haare kunstvoll hochgesteckt und mich geschminkt.

Ich war zufrieden mit meiner Erscheinung und machte mich auf den Weg nach unten.

Gestern hatte ich mich mit Ian getroffen. Zusammen hatten wir uns in eine Konditorei gesetzt und uns ein großes Stück Kuchen gegönnt. Wir hatten jeder eine große, dampfende Tasse Tee getrunken. Er erzählte mir, dass Mary noch immer ein wenig sauer war und dass ich mich unbedingt bei ihr entschuldigen müsse. Ich versprach es ihm und fragte dann nach dem Konzert, das er mit Mary am vergangenen Mittwoch besucht hatte.

„Es war einfach zauberhaft“, strahlte er und ich hatte die leise Ahnung, dass er dasselbe gesagt hätte, wäre das Konzert grauenhaft gewesen. Und diese Einschätzung lag nicht nur daran, dass mein Bruder absolut keine Ahnung von Musik hatte.

„Wie ergeht es dir bei der Arbeit?“, fragte er nach einer Weile. „Ganz gut.“ Er grinste. „Und mehr bekomme ich nicht zu hören? Raven, ich brauche Details.“ Ich seufzte und fing an, ihm alles von der Operation zu berichten und von den Menschen, die ich jeden Tag kennenlernte. Ich merkte, dass er ein Lachen unterdrücken musste, als ich von Mr Trelawny erzählte. Er prustete. „Er hat wirklich gesagt, dass dieser Arzt einen riesigen Fehler macht, wenn er dich helfen lässt, weil du eine Frau bist?“ Ich nickte. „Hat er, aber Mr Sandrian hat ihm gesagt, dass ich dabei sein werde, oder dass er gar nicht operiert.“

Ian schaute mich prüfend an. „Du magst ihn, nicht wahr?“ „Wen? Mr Trelawny?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, den Arzt.“ Ich war einen Moment irritiert von der Frage und nickte dann. „Ich denke schon.“ Ich sah seine Mundwinkel zucken. „Ich meine, ob du in ihn verliebt bist.“ Ich war so verblüfft, dass ich erst nach einigen Sekunden dazu in der Lage war, den Kopf zu schütteln.

„Natürlich nicht. Wie kommst du darauf?“ Er zuckte mit den Schultern. „Es war nur ein Gefühl, nichts weiter.“ Auch wenn ich mir sicher war, dass ich auf keinen Fall in Mr Sandrian verliebt war, hielt mich der Gedanke in dieser Nacht noch lange wach.

Am nächsten Morgen war es mir ungewohnt schwer gefallen, Mr Sandrian unter die Augen zu treten. Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke getroffen hatten, war ich errötet und hatte an Ians Worte denken müssen.

Der Arzt hatte mir heute eine halbe Stunde früher frei gegeben, als ich ihn darum gebeten hatte. Ich hatte ihm angesehen, dass er nicht begeistert war, doch er hatte wohl im Hinterkopf, dass dieses Abendessen nicht zu meinem Vergnügen stattfand.

„Ich wünsche Ihnen einen unterhaltsamen Abend, Miss Silver“, hatte er gesagt und sich ein Lächeln abgerungen, dass sich sofort vertieft hatte, als ich geschnaubt hatte.

Offensichtlich fand er Mr Jenkins auch nicht übermäßig sympathisch. 
Ich seufzte leise, weil ich mich schon wieder in meinen Gedanken verlor. Nachdenklich lief ich die Treppe hinunter und schreckte zusammen, als jemand mich ansprach. Ich zuckte und fuhr herum. Mein Herz raste vor Schreck und ich stöhnte, als ich Henry entdeckte.

„Verdammt, jag mir nie wieder einen solchen Schreck ein“, fuhr ich ihn an, wobei meine Stimme noch immer wackelte. Er grinste frech. „Na, na, bitte drück dich anständig aus“, korrigierte er mich mit einem ironischen Unterton.

Ich verdrehte die Augen. „Wo warst du mit deinen Gedanken, dass du dich so erschreckt hast?“, fragte er. Ich zögerte. „Bei der Arbeit.“ „Gehst du gerne hin?“ Ich nickte. „Ja, ich denke schon. Es ist interessant und ich lerne so viel wie noch nie.“ „Und was ist mit Mr Sandrian? Kommst du mit ihm zurecht?“ Ich zögerte kurz vor der Antwort. Schon wieder fragte mich jemand nach Mr Sandrian und ich konnte nicht leugnen, dass ich ihn aus irgend einem Grund mochte.

Silver LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt