Ich stand vor dem Schaufenster des Buchladens uns schaute mich interessiert um. Es war halb elf Vormittags und ich war eine halbe Stunde zu früh für mein Treffen mit Leander, aber ich hatte vor mich mit Lesestoff einzudecken.Also stöberte ich in den Regalen, schlug ein Buch nach dem anderen auf, stellte es wieder zurück und sah mir das nächste an. „Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss? Oder Mrs?", fragte eine tiefe Stimme hinter mir.
Langsam drehte ich mich zu dem alten Verkäufer um und ließ das Buch, das ich in der Hand hielt, ein wenig zu fest zuschnappen.
„Nein, danke. Ich schaue mich bloß ein wenig um." Er nickte und trat höflich einen Schritt zurück. Letztlich entschied ich mich für einen wunderschönen in Leder gebunden Gedichtband von Lord Byron und eine Abhandlung über die Medizin im Mittelalter.
Ich bezahlte und wartete dann auf Leander, der einige Minuten später eintraf und grinste, als er meine neuen Schätze erblickte.
„Ich sehe, du hattest bereits das Vergnügen?" Ich lächelte zur Antwort. „Du bist spät", bemerkte ich beiläufig. Entschuldigend verzog er das Gesicht. „Verzeih mir. Es gab einen Notfall in der Praxis, um den ich mich zuerst kümmern musste. Ich hätte deine Hilfe gut gebrauchen können."
Ich seufzte tief. „Ich wünschte, ich wäre da gewesen. Aber es geht nicht. Brauchst du hier noch etwas?", fragte ich, während ich meine eingepackten Bücher entgegen nahm. Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Sollen wir uns in die Konditorei nebenan setzen und einen Tee trinken. Dabei können wir besser reden." „Ja, gerne. Ich brauche jetzt etwas Warmes." Ich unterdrückte ein Frösteln. In den letzten Tagen hatte es deutlich abgekühlt und ein Tee war genau das Richtige. „Lass uns gehen."
Leander bot mir seinen Arm an und ich hakte mich bei ihm unter. Es fühlte sich gut an, ihn an meiner Seite zu wissen.
Draußen ließ ich ihn jedoch sofort wieder los, denn ich hatte eine Bekannte entdeckt, die uns nicht zusammen sehen sollte. Ich bedeutete Leander, einfach weiterzugehen und tat so, als würde ich mir die Auslage des Buchladens anschauen.
„Ah, Mrs Jenkins. Ich habe Ihnen noch gar nicht persönlich zu Ihrer Hochzeit gratuliert", flötete Mrs Edgecumb fröhlich und ich sackte in mich zusammen. Sie hatte mich entdeckt und jetzt konnte ich einem Gespräch nicht mehr ausweichen.
„Wie schön Sie hier anzutreffen, Mrs Edgecumb", gab ich gespielt enthusiastisch zurück. „Wie geht es Ihnen?" Sie machte ein abfälliges Geräusch. „Meine Liebe, ich bin eine alte Frau." „So ein Unsinn. Sie sind doch noch lange keine alte Frau." Sie lachte heiter. „Sie schmeicheln mir, meine liebe Mrs Jenkins. Wo ist denn Ihr Gatte? Ich sehe ihn gar nicht." „Ich fürchte, er hat zu arbeiten. Kommen Sie doch nächste Woche zum Tee vorbei. Ich bin sicher, er würde sich freuen, Sie in unserem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen", schlug ich vor. „Bescheiden würde ich Ihr Haus sicher nicht nennen. Es heißt, es sei eines der prunkvollsten der ganzen Stadt."
Ich lachte. „Eine maßlose Übertreibung, obwohl ich sagen muss, dass mein Mann sicher einen Hang zum Luxus hat." Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Sie haben eine gute Partie gemacht. Mr Jenkins ist ein begehrter Mann, doch Sie haben ihn um den Finger gewickelt, nicht wahr?"
Ich machte ein uneindeutiges Geräusch, das sie selbst interpretieren konnte und lächelte dann. „Es tut mir sehr leid, Mrs Edgecumb, doch ich habe noch einen Termin, der sich leider nicht aufschieben lässt." Sie nickte verständnisvoll. „Natürlich, natürlich, meine Liebe. Wir sehen uns sicher demnächst." Sie winkte und schlenderte davon.
Ich atmete erleichtert aus und eilte in die entgegengesetzte Richtung.
Leander wartete bereits auf mich und schaute mir fragend entgegen, während er mir eine dampfende Tasse Tee zu schob. Dankbar setzte ich mich und trank einen Schluck. „Es ist alles in Ordnung. Sie hat nichts bemerkt." Erleichterung zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Sehr gut. Das hätte fatal enden können." Ich nickte. „Ja, in der Tat. Denkst du, hier wird uns jemand erkennen?" „Nein, eher nicht. Hör zu, es gibt dringendere Dinge zu bereden."Ich hob die Augenbrauen. „Du hast meine Aufmerksamkeit." Er lehnte sich vor und bedachte mich mit einem so intensiven Blick, dass ich mich paralysiert fühlte. „Ich habe eine Idee, aber bevor ich dir erzähle, worum es sich handelt, muss ich wissen, ob du es absolut ernst mit mir meinst." Ich runzelte die Stirn. „Was ist das denn jetzt für eine Frage?" „Liebst du mich, Raven?", fragte er mich drängend. „Hast du einen Grund, daran zu zweifeln?"
Er seufzte ungeduldig und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, weil es mich so sehr an den Anfang unserer Bekanntschaft erinnerte.
„Bitte antworte mir einfach." „Ja, natürlich liebe ich dich." Erleichtert lehnte er sich zurück. „Gut. Ich habe die ganze Nacht gegrübelt und alles bedacht. Wir sind uns einig, dass wir unser Leben gemeinsam verbringen wollen?" Ich nickte und fragte mich, was er vorhatte. „Ich weiß, dass es nicht leicht wird, aber..." „Leander, sag bitte einfach, was du zu sagen hast. Es wird nicht besser dadurch, dass du um den heißen Brei redest."
„Gut. Lass uns nach Amerika fliehen. Du, ich und die Kinder." Ich starrte ihn eine ganze Weile ungläubig an. „Damit habe ich nicht gerechnet", war das einzige, das ich hervorbrachte. Er lachte nervös. „Was hältst du davon?" „Leander, ich weiß nicht. Wir können nicht einfach nach Amerika gehen. Ich meine, was ist mit deiner Praxis und den Leuten, die deine Hilfe brauchen?" Er zuckte mit den Schultern.
„Es wird nicht leicht, aber auch in Amerika gibt es Menschen, die unsere Hilfe brauchen können. Raven, ich liebe dich und will nicht ohne dich leben." Er meinte es tatsächlich ernst. „Mir geht es doch genauso, aber wir haben beide eine Familie. Ist dir klar, dass wir die nie wieder sehen werden, wenn wir ans andere Ende der Welt fliehen?"
Ein bedauernder Schatten trübte seine Augen. „Ja, das ist es. Ist dir klar, dass wir niemals zusammen sein werden, wenn wir hier bleiben? Wir können eine neue Familie gründen, glücklich werden, ganz neu anfangen."
Er griff nach meiner Hand und ich suchte seinen Blick. Ich wollte nicht ohne ihn leben, doch war er es mir wert, mein ganzes Leben aufzugeben? Ich kannte die Antwort.
Ich war bereit gewesen, Kurt zu heiraten, um ihn zu schützen. „Ich würde dir bis ans Ende der Welt folgen, wenn es sein muss", sagte ich fest und wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte. Es würde das Schwerste sein, das ich je hatte tun müssen, schwerer noch als Kurt zu heiraten, doch andererseits war es eine Chance für uns beide. Ich sah, dass auch Leander sich nicht sonderlich wohl fühlte, doch er schien entschlossen zu sein.
„Dann lass es uns bald tun. Es hat keinen Zweck es aufzuschieben." Ich schluckte schwer. „Man wird uns suchen, das ist dir hoffentlich klar?" „Auch das habe ich mit einkalkuliert. Erinnerst du dich an meinen Freund Jim?" Ich strengte mich an, mich zu erinnern. „Hat er dir damals nicht mit Arianna geholfen?" Er nickte. „Ja genau. Ich habe ihn gestern Abend noch getroffen und mich mit ihm beraten. Er könnte uns neue Identitäten verschaffen, samt Geburtsurkunde, neuen Namen und einer Ehebescheinigung."
„Ich hoffe, wir dürfen uns unsere Namen selbst aussuchen", scherzte ich, da ich das Ganze noch nicht ganz begriffen hatte. Die Idee hatte mich völlig überrannt. Er bedachte mich mit einem amüsierten Blick, der mir durch Mark und Bein ging und ich fragte mich, ob mein Herz wohl jemals aufhören würde, zu stolpern, wenn er in der Nähe war.
„Nächste Woche sticht die St. Lewis in Southampton in See. Die könnten wir nehmen." In einer Woche schon. Würde die Zeit ausreichen, um alles sorgfältig zu planen und war ich schon bereit dafür?
„Southampton? Mrs Scotts zweiter Sohn arbeitet an diesem Hafen", sprach ich aus, was mir in diesem Moment durch den Kopf geschossen war. „Er wird uns sicher helfen können." Leander schaute überrascht auf. „Woher weißt du das?" Ich runzelte die Stirn. „Sie hat es mir erzählt. Bist du dir sicher, dass wir schon nächste Woche..." „Raven", er nahm meine Hand, „Worauf sollen wir denn warten? Der Winter steht vor der Tür und es kann ganz schön ungemütlich auf so einem Schiff werden, wenn es kalt ist."
Ich seufzte. „Ja, ich weiß. Aber es kommt alles so überraschend. Ich meine, ich werde Sophie, meine Schwester, Mary, Henry und sogar meine Mutter nie wieder sehen und was ist mit Arianna, deinen Eltern und Timothy?" „Sie werden es verstehen. Wir können ihnen schreiben." Ich schnaubte und fühlte, wie eine Träne mein Wange hinabrann. Sanft wischte er sie fort.
„Ich werde sie nie wiedersehen, nicht wahr?" Zögernd schüttelte er den Kopf. „Wir können hier bleiben, wenn du möchtest." „Nein. Ich möchte mein Leben mit dir verbringen und ich bin bereit dafür Opfer zu bringen. Ich liebe dich, Leander." Sein Blick wurde weich. „Ich dich auch.
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Silver Love
Historical Fiction„Schließen Sie die Augen und geben Sie sich der Musik hin", flüsterte er in mein Ohr und ich seufzte. Dann folgte ich seinem Ratschlag und schloss die Augen. „Jetzt atmen Sie tief aus und lassen die Anspannung los." Tatsächlich verschwanden plötzlic...