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Feierabend hatte er machen sollen. Die waren doch alle nicht mehr ganz bei Trost. Boerne war offensichtlich irgendwas zugestoßen und der Klemm fiel nichts besseres ein, als ihn nach Hause zu schicken.
Als könnte Thiel jetzt nach Hause fahren, sich was zum Essen kochen und gemütlich ein Bier aufmachen, während Boerne vielleicht in Gefahr war und seine Hilfe benötigte.

Thiel fuhr zwar nach Hause, doch in seine eigene Wohnung war er nur gegangen, um sich kurz zu duschen und eine Dose Ravioli aufzuwärmen, welche er mit in Boernes Wohnung nahm.
Irgendwie fühlte er sich nicht wohl, weil er noch nie wirklich alleine und ohne Erlaubnis in der Wohnung seines Nachbars war, doch zu Hause sitzen wollte er nicht.

Laut Spurensicherung hatten die tatsächlich ein paar brauchbare Spuren entdeckt, weshalb ihn dass wenigstens etwas optimistischer stimmte.

Mit einem Glas Rotwein und seinen Ravioli saß Thiel nun auf Boernes Sofa und wählte Alberichs Nummer.
„In einem der Gläser befand sich unter anderem Haloperidol, aber ich möchte ihnen diese Fachsprache ersparen. Da drin waren eindeutig K.o-Tropfen nachweisbar und die DNA vom Chef war auch an dem Glas. An dem anderen Glas haben wir auch was gefunden, aber die Person ist nicht in der Datenbank."
Thiel schluckte, denn dass nahm ihm den letzten Hoffnungsschimmer, dass Boerne doch noch jede Sekunde in seine Wohnung spazieren könnte.
„Ach du scheiße! Und sonst noch was?"
Es fiel ihm so schwer, nicht in Panik auszubrechen und vor Wut irgendwas zu zerdeppern, weshalb er versuchte ruhig zu atmen und sich irgendwie zu beruhigen.
„In seinem Bett waren auch fremde DNA Spuren, also primär am Bettlaken. Diese DNA deckt sich aber wiederum nicht mit der DNA am Glas."
Das war doch alles so verwirrend. Warum befanden sich zwei verschiedene Spuren, an zwei verschiedenen Orten? Und warum war Boerne überhaupt so früh nach Hause gegangen? Lag das wirklich nur an dem vermeintlichen Termin, welchen er notiert hatte?
„Spermaspuren haben wir keine gefunden und auch nichts, was auf ein sexuelles Geschehen hindeuten könnte, aber ein braunes langes Haar hatte die Spusi dann doch entdeckt, aber auch da haben wir niemanden in der Datenbank. Oh Gott Herr Thiel, meinen Sie, dass den Chef jemand... Meinen Sie er lebt noch?"
So aufgebracht und emotional kannte er Haller gar nicht. Obwohl er selbst schon solche Gedanken hatte, versuchte er ihr die Angst zu nehmen und sie zu trösten.
„Klar lebt der. Ich spür das genau. Der lässt sich doch nicht mundtot machen und schon gar nicht, wenn er jetzt dann endlich die Ehrennadel für sein Dingens bekommt. Wäre ja noch schöner!"
Thiel schickte ein halbherziges Lachen hinterher und hoffte somit, Alberich wenigstens ein bisschen zu trösten.
„Ich hab solche Angst Herr Thiel."
„Ich auch, wenn Se's genau wissen wollen, aber wir müssen jetzt professionell bleiben, verstanden?"

Haller hatte ihm dann noch erzählt, dass sie diese Luisa Sommer auch schon kennengelernt hatte. Sie bestätigte sogar den Vorwurf, dass Luisa ein Auge auf Boerne geworfen hatte, so wie es auch Paula bereits erwähnte.
Thiel konnte und wollte das aber einfach nicht glauben.
Warum sollte eine junge Frau ausgerechnet Interesse an einem geltungssüchtigen, arroganten, nervtötenden, Wissenschaftler haben, der locker ihr Vater sein könnte? Klar, Boerne war intelligent, hatte ein hübsches Lächeln und auch der Rest seiner Erscheinung war äußerst attraktiv, aber dass eine Studentin so in ihn verschossen sein sollte, dass konnte er beim Besten Willen nicht glauben.

Was hätte da nur passiert sein können und wer wollte dem Professor so schaden, dass er ihn mit K.o-Tropfen außer Gefecht setzte und auf nimmer Wiedersehen verschwinden ließ?

Gedanklich versuchte Thiel das alles zu ordnen, was er heute erfahren hatte.
Boerne musste also gegen 14 Uhr das Institut verlassen haben, um nach Hause zu fahren weil er dort mit Frau Sommer diese komische Facharbeit durchgehen wollte. Frage 1, warum machte der Professor das zu Hause und nicht in der Uni oder in seinem Büro? Frage 2, warum gab der ihr überhaupt Nachhilfe, wenn die eh zu dämlich dafür war? Boerne war doch sonst auch kein Mensch, der sich seine Zeit mit Nichtsnutzen vertrieb.

Kopfschüttelnd stochertet er in seinen Ravioli herum, welche inzwischen längst wieder kalt waren.

Also musste Boerne die reingelassen haben, was wiederum die Beobachtung von der ollen Zimtziege über ihm untermauerte. Später mussten sie ja dann auch das Haus verlassen haben, zumindest passte dass dann wiederum zu der Aussage von seinem Vater, der Boerne mit einer Frau im Auto am Dom gesehen hatte. Nur warum fuhr Boerne mit der durch die Gegend? Hatte der vielleicht auch Interesse an ihr?

Thiel schüttelte den Kopf. Niemals würde Boerne seinen guten Ruf für ein Techtelmechtel schädigen, dass stand ja wohl außer Frage.

Nur was war dann passiert? Boerne kam laut der Nachbarin alleine zurück und kurze Zeit später ging es hier dann drunter und drüber. Diese Luisa konnte es ja dann wohl nicht gewesen sein, denn es war ja eindeutig eine fremde Männerstimme vernommen worden. Vielleicht hatte diese Luisa ja einen eifersüchtigen Freund? War aber auch wieder Quatsch, denn warum sollte sie so offensichtlich Boerne anschmachten, wenn sie vergeben wäre?

Das war doch alles riesige Scheiße.
Thiel trank das Glas Rotwein aus und atmete mehrere Male durch.

Oder ein wütender Vater? Käme das vielleicht in Betracht? Vielleicht wohnte diese Luisa ja noch bei ihren Eltern und der war nicht so ganz angetan von ihrem Schwarm?!

All diese offenen Fragen machten Thiel schier wahnsinnig. Das konnte doch wirklich nicht wahr sein, dass es bisher so überhaupt keinen Anhaltspunkt gab. Jedenfalls war er sich sicher, dass er sich diese Luisa unter allen Umständen erstmal kaufen würde, so viel stand fest.

Thiel stellte die leere Ravioli Dose auf den Wohnzimmertisch und sah dort wieder die kahle Stelle auf dem Boden.
„Der schöne Flokati."
Kurz war er entsetzt, dass er sowas sagte, denn vor Boerne behauptete er ja sonst immer, dass ihm dieser Lappen überhaupt nicht gefiel. War natürlich gelogen, er wollte den Professor ja nur etwas foppen.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt