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Als Thiel erwachte, war er mehr als irritiert.
Er hatte im ersten Augenblick keine Ahnung wo er war und weshalb er sich fühlte, als wäre er in einer Schraubzwinge gefangen. Langsam öffnete er seine Augen und sah, dass er an Boerne gekuschelt lag und spürte noch immer den Arm auf seinem Rücken.
Scheiße, jetzt war er doch wirklich eingeschlafen. Thiel wusste, dass es höchste Eisenbahn wurde und er dringend nach Hause fahren sollte. Das Risiko Boerne zu wecken musste er jetzt einfach eingehen, es blieb ihm nichts anderes übrig.
Vorsichtig und umständlich hob er dessen Arm an und drehte sich unter ihm weg.
„Was'nlos", murmelte Boerne recht unverständlich, was Thiel absolut niedlich fand. Soso, es gab also durchaus Augenblicke, in denen Boerne mal nicht vor guter Etikette strotzte und vornehm palaverte.
„Schlaf weiter. Ich muss heim.", sprach Thiel leise und setzte sich an den Bettrand, um sich mit den Händen über seine müden Augen zu streichen.
„Wie meinen?", säuselte Boerne, drehte sich umständlich auf die Seite und brummte noch irgendwas vor sich hin, was Thiel nicht verstand, aber zum Lachen brachte.
Gerade als Thiel sich erheben wollte, griff Boerne nach seinem Hemd und bremste ihn.
„Schwiegeravaddern schläft bestimmt schon.", hörte er Boerne wieder murmeln und Thiel lachte nun wirklich laut.
Es war aber auch zu putzig, dass Boerne Herbert so betitelte. Alleine Schwiegervater fand er schon abartig und lustig, dass der aber noch das Vaddern verwendete, war überhaupt nicht Boernes Jargon . Thiel war sich sicher, dass Boerne etwas weniger von dem Wein hätte trinken sollen, gerade in seinem Gesundheitszustand, aber vor allem schien der mehr zu schlafen, als tatsächlich zu verstehen, was hier gerade los war.
„Schlaf jetzt.", ertönte wieder Boernes Stimme, doch ob er das wirklich tun sollte, dass wusste der Kommissar beileibe wirklich nicht.
Wäre das nicht viel zu übertrieben in ihrer Situation?
Gähnend ließ er seinen Kopf hängen und spürte die Müdigkeit, die sich immer penetranter zurück schlich.
„Ich geh kurz auf's Klo."
Joa, dass war doch eine Idee oder?
Boerne tätschelte mit geschlossenen Augen nach dem Nachtlicht und schaltete es schließlich an. Vermutlich ahnte der, dass Thiel sonst überall dagegen rumpeln würde und so tapste der Blonde problemlos ins Badezimmer.

****

Eine geleerte Blase später stand Thiel unschlüssig vor dem Waschbecken und haderte mit sich. Da Boerne aber recht hatte, dass Herbert vermutlich längst schlafen würden und er nicht mal mehr ausreichend Geld für ein andres Taxi hatte, seufzte er schließlich und begann sein Hemd aufzuknöpfen.
Nachdem er sich auch noch der Hose und den Socken entledigt hatte, schlurfte er barfuß, in Boxershorts und Unterhemd zurück ins Zimmer und stellte sich etwas unschlüssig neben das Bett.
Kurz öffnete sich der Mund, als wolle Boerne etwas sagen, doch dann öffnete er nur ein Auge und schlug die Bettdecke zurück. Dies war Einladung genug und Thiel legte sich wieder neben Boerne.

Da es wirklich sehr eng war, drehte sich Boerne auf die Seite und stöhnte auf, weil sein Arm schmerzte.
„Das geht so nicht."
Dieses Mal klang er richtig wach und setzte sich an den Bettrand.
„Das geht so einfach nicht."
Damit erhob er sich und lief einmal um das Bett herum, weshalb Thiel mehr als verwundert dreinblickte.
„Rutsch!", dabei machte er eine auffordernde Geste und Thiel tat wie ihm befohlen.
Ehe er sich versah, legte sich Boerne wieder hin und kehrte ihm den Rücken zu.
„Wenn wir beide auf der Seite liegen, dann wird's wohl gehen."
Thiel überlegte einen Moment, ob er sich mit dem Rücken gewandt zu Boerne legen sollte, entschied sich aber dagegen, denn eigentlich schlief er am Liebsten auf der linken Seite.
Unsicher drehte er sich also und es schien, als hätte der Professor nur darauf gewartet, denn schon rutschte er etwas nach hinten, so dass sich ihre Körper berührten. Thiel war ja auch nicht ganz doof und verstand den Sinn dahinter. Zögerlich legte er den Arm um Boerne, bedacht darauf, dass er nicht seinen verletzten Arm berührte und legte seine Hand schließlich auf den Bauch des Nachbarn.
„Du bist nicht nur beruflich ein Mysterium sondern auch im Bett.", kam es von Boerne und wenn Thiel sich nicht täuschte, rollte der bestimmt gerade theatralisch mit den Augen.
Als ob der wirklich genervt war! Wer's glaubt, dachte Thiel und zog einen Mundwinkel nach oben.
„Nacht Boerne."
„Wenn Sie nur untertags auch so gesprächig und aktiv wären wie nachts."
Leise lachte der Kommissar, denn wie immer musste Boerne ja das letzte Wort haben und alleine die Tatsache, dass er ihn wieder zu siezen begann, deutete stark daraufhin, dass der extrem müde sein musste.

****

Boerne war der Erste, der am nächsten Morgen aufgewacht war. Natürlich war er ja kein Kleingeist und wusste, dass kein Geringerer als sein geschätzter Nachbar hinter ihm lag und leise vor sich hin schnarchte.
Wenn der immer so in der Lautstärke schnarchte, könnte Boerne gut damit leben, dachte er sich und öffnete dann abrupt seine Augen.
Was war das denn für ein abwegiger Gedanke, den er da hatte? Natürlich würde Thiel nie wieder so nah an ihn geschmiegt da liegen, dass wäre ja wirklich auch absurd.
Sicherlich war es dem Professor alles andere als unangenehm, fühlte sich auch ausgesprochen wohl in dessen Armen, aber leider beruhten diese Gefühle halt nicht auf Gegenseitigkeit, weshalb er sich dazu entschloss die Zeit zu genießen, so lange Thiel noch selig schlummerte. Vermutlich würde der das auch direkt bereuen, sobald er wieder wach war, da war sich der Forensiker todsicher.
Schade, dabei hätte er sich durchaus daran gewöhnen können, denn auch ein renommierter Professor Dr. Karl-Friedrich Boerne war nur ein Mensch und fühlte sich seit Jahren unglaublich einsam. Nicht dass er sich hätte beklagen wollen, er hätte durchaus Gelegenheiten gehabt, aber nie war eine Frau dabei gewesen, mit der er hätte sein Leben teilen wollen. Vermutlich lag es aber auch nur daran, dass Thiel halt derjenige war, der Boernes Lebensmittelpunkt eingenommen hatte und für ihn somit schon seit vielen Jahre nicht mehr wegzudenken war.
Ja, er liebte diesen schlecht gekleideten, wortkargen, motzigen Choleriker, wobei cholerisch vielleicht doch nicht das richtige Wort für Frank war. Natürlich wurde der gerne mal sehr laut, ordinär und unverschämt, aber Boerne wusste genau, dass das nur der Schutzpanzer des Kommissars konnte.
Ein Mensch mit solchen Augen konnte gar nicht ernsthaft böse sein, das konnte er vom ersten Tag in ihnen lesen.
Lieben und nicht zurück geliebt werden war zwar nicht das Beste, was einem im Leben passieren konnte, doch trotzdem wollte er sich nicht darüber beschweren, denn immerhin war Frank der einzige Mensch, der ihn trotz Gemotze all die Jahre begleitete und sich, wenn oft auch widerwillig, mit ihm auf ein Glas Wein oder zum Kochen traf.
Einsam war er, ja das konnte er nicht schönreden, aber Thiel war auch einsam und zusammen einsam sein, war geteiltes Leid und somit hatten sie doch eine weitere Gemeinsamkeit.
Ob Frank das genauso sah?
Vermutlich nicht, aber damit hatte sich Boerne arrangiert und genoss diese Momente eben still und heimlich. Momente, in denen Thiel gut gelaunt war, wenn er mal so richtig ehrlich lachte, ja regelrecht umgänglich war und nicht nur mit den Augen rollte oder so tat, als habe er den Witz des Rechtsmediziners tatsächlich lustig gefunden.
Frank war seine Kraftquelle und die hegte und pflegte er jeden Tag, auch wenn der Blonde ständig genervt war, dass Boerne so um ihn herum scharwenzelte.

So, nun ist aber mal wieder gut KF! Denk nicht so viel, sondern genieß den Augenblick, sprach er sich selbst gut zu, schloss seine Augen und lauschte Thiels gleichmäßigen Atemzüge.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt