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Da im Präsidium seit Tagen tote Hose herrschte, entschied sich Thiel dazu, der Rechtsmedizin einen Besuch abzustatten. Nadeshda hatte nur gelächelt und ihm flüchtig zugezwinkert, was ihm im ersten Moment schon ein wenig peinlich war. Allerdings verflog dieses Gefühl ganz schnell, als er daran dachte, dass er jetzt gleich seinen Freund sehen würde und vor niemandem brauchten sie sich mehr zu verstecken.
Hach ja, das Leben konnte so schön sein, fand Thiel und radelte beschwingt zum Institut.

„Thiel? Was machen Sie hier? Ich hab Ihnen doch die Tage schon alles zu gefaxt!", kam es verwundert von Alberich, die dabei war den Seziertisch zu säubern.
„Oh, so früh am Morgen schon Kundschaft gehabt?", fragte Thiel und deutete auf den Metalltisch, von dessen puren Anblick Thiel schon eine Gänsehaut hatte. Hoffentlich würde er nicht auch mal auf so einem Teil liegen.
„Ja, ein klassischer Autounfall, wie aus dem Bilderbuch. Tja, hätte der gute Herr sich mal lieber die fünf Sekunden Zeit genommen, um sich vor der Fahrt anzuschnallen."
Alberich seufzte.
„Ist ja... eklig.", meinte Thiel, der sofort gruselige Bilder dazu im Kopf hatte.
„Ja, selbst den Chef hat's mal ganz kurz gewürgt."
Haller grinste, denn das kam ja wirklich sehr selten vor, dass Boerne eine Reaktion zeigte, ganz egal wie die Leiche auch aussah.
„Na dann war's vielleicht ganz gut, dass er heute Morgen noch nichts gefrühstückt hat. Wo steckt denn der Kerl überhaupt?", fragte er schließlich und blickte sich suchend um.
„Na der hat doch heute seine Vorlesung, Herr Thiel. Sie wissen schon, die eine zu der es nicht mehr gekommen war."
Haller hielt inne und guckte betroffen zu Boden. Auch ihr steckte der Schreck noch immer in den Knochen.
Kacke, das hatte Thiel natürlich vollkommen vergessen gehabt. So was blödes, dann war er jetzt umsonst gekommen.
„Ach richtig. Hab ich verschwitzt. Naja, man wird nicht jünger, was?"
Als Thiel das so lapidar dahin gesagt hatte und etwas gespielt lachte, begann auch Haller in sein lachen mit einzusteigen.
„Ich glaub der Chef ist Ihnen schon zu Kopf gestiegen. Für einen kurzen Augenblick dachte ich, dass hätte auch genau so aus seinem Mund kommen können!"
„Jetzt werden Se' aber mal nicht frech, sie Garten.... Kacke! Sie ham' recht! Tschuldigung. Der Mann tut mir nicht gut."
Das war Thiel jetzt natürlich mehr als nur peinlich. Außerdem war er doch gar nicht der Typ dafür, Leute auf ihr Äußeres zu reduzieren, gerade in seiner Situation.
„Ach, lassen Sie es gut sein, Herr Thiel. Ich finde, dass Ihnen der Chef außerordentlich gut bekommt und Sie ihm im übrigen auch!"
Hallers Lächeln war ehrlich und warmherzig.
„Sie sind so eine gute Seele, Frau Haller."

****

Tolles Kino, er hätte Boerne ja schon ganz gern kurz gesehen, dachte Thiel enttäuscht.
Plötzlich kam ihm dann da aber so eine Idee.

****

„.... forensische Anthropologie und Humangenetik, wobei wir uns heute erstmal zu Beginn mit der Anthropologie beschäftigen möchten, nicht? Jemand schon davon gehört oder muss ich bei Adam und Eva beginnen?", hörte er Boerne sagen, nach dem er unbemerkt von ihm, den Lesungssaal betreten hatte und an der Tür stehen blieb.
Glück gehabt! Der hat wohl erst gerade angefangen, dachte Thiel.
„Joa da gibt's den naturwissenschaftlichen Ansatz, den geisteswissenschaftlichen Ansatz und ein paar diverse Mischformen!", meldete sich einer der Studenten zu Wort.
Wahnsinn, wie ruhig es in dem Saal war.
Boerne straffte sich, zog eine Schnute, die Thiel verriet, dass er gerade schon etwas stolz war, dass sein Student da eine gewisse Grundahnung zu besitzen schien.
„Löblich, Herr Wenzel. Der Rest der Truppe sieht mich allerdings an, als hätte ich, wie Loriot seinerzeit, eine Nudel im Gesicht kleben, weshalb ich nun sehr gerne fort fahren würde."
Thiel musste leise lachen, was die Aufmerksamkeit einiger Studenten auf sich zog.
„Ey, schaut mal wer da ist. Thiel ist da!"
Oh nein, das war jetzt aber nicht wirklich wahr oder? Man, warum musste Boerne auch so einen dummen Spruch reißen?
„Ach seht an, wer uns da zur frühen Stund beehrt, der Herr Kriminalhauptkommissar. Na schau doch nicht, als hätte dir jemand die letzte Currywurst vor der Nase weggeschnappt. Komm her.", sagte Boerne, dessen Gesichtsausdruck Thiel leider so überhaupt nicht deuten konnte. War der jetzt sauer oder freute er sich?
Tosender Applaus erklang im Lesungssaal, was Thiel äußerst in Verlegenheit brachte.
Mit rotem Kopf ging er schließlich zu Boerne und blieb unschlüssig wenige Meter vor ihm stehen.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren. Hier können Sie Frank Thiel nun live und in Farbe sehen, falls sie das nicht eh schon getan haben."
Boerne räusperte sich und stellte sich dicht neben Thiel, legte ihm eine Hand zwischen die Schulterblätter und noch immer hörte das Geklatsche nicht auf.
„Ähm, das war eigentlich nicht mein Plan.", sprach Thiel leise und blickte seinen Freund entschuldigend an.
„Lass sie doch. Die freuen sich halt.", meinte Boerne nur und streichelte ihm kurz über die Wirbelsäule, bevor er seine Hand von ihm löste.
„Yeah, endlich mal beide zusammen."
„Wie sieht's aus? Jetzt könnt ihr uns doch mal zusammen eine nette Story erzählen!"
„Ja genau! Wir wissen immer noch nicht, wer der Mörder, der Tänzerin war!"
„Ja oder wie wär's mit einer ganz anderen Geschichte?"
„Kommen Sie Prof. Ausnahmsweise! Wir haben uns alle so Sorgen gemacht!"
„Ja, wir hatten echt Angst, dass Sie... Naja... Bitteeee!"
Wild riefen die Studenten durcheinander, was Boerne mit einer hochgezogenen Augenbrauen kommentierte und Thiel zum Lachen brachte.
„Geht's hier öfter so zu?", fragte er deshalb,
„Leider!", stieß Boerne seufzend hervor, musste dann aber selbst lachen.
„Das wars dann wohl mit meinem guten Ruf, nicht?"
„Das würde ich so nicht sagen.", entgegnete Thiel grinsend und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich glaub ich muss dir da noch was sagen.", kam es leise von Boerne.
„Das musst du nicht. Deine Studenten waren schon geständig."
Tja, jetzt war es raus. Thiel wusste ja, dass Boerne ihm gerade durch die Blume sagen wollte, dass er hier vielleicht das ein oder andere Mal aus dem Nähkästchen geplaudert hatte.

„Na schön, dann war's das fürs Erste mit der forensische Anthropologie und Humangenetik, aber nur wenn ihr versprecht, dass ihr das zu Hause lest und jeder nächste Woche darüber Bescheid weiß!", gab sich Boerne schließlich geschlagen und hob mal wieder oberlehrerhaft den Zeigefinger nach oben.
„Logo Dr. KF B.", hörte Thiel zwischen dem Gejubel und musste wirklich Grinsen.
Das hier war ja noch besser, als in den Erzählungen der jungen Leute.
„Entschuldige Frank, normal hab ich die mehr im Griff."
„Ich seh schon, Boerne.", gackerte Thiel und setzte sich ohne zu fragen auf den Schreibtisch des Professors. Kapitulierend setzte sich der Pathologe schließlich daneben und wartete geduldig, bis wieder Ruhe im Saal einkehrte.
„Können wir dann?", fragte Boerne ungeduldig.
„Gut, also, wir haben jetzt folgende Auswahlmöglichkeiten. Entweder sprechen wir über den Fall, getreu dem Motto, ein Fuß kommt selten alleine oder wir kauen etwas anders durch. Wonach beliebt es den Herrschaften?"
Das fand Thiel ja schon ziemlich nett, dass Boerne den Studenten sogar die Freiheit gab, zu entscheiden was sie gerne hören wollten. Trotzdem, darüber musste er mir Boerne noch reden, dass der hier nicht alles, so ohne weiteres, erzählen durfte. Der hatte doch auch eine Schweigepflicht, an die er sich halten musste.
„Was war denn ein Moment, über den Sie im Nachhinein herzlich lachen können, Herr Thiel?", fragte Paula und winkte ihm freudig zu.
Toll, jetzt musste er oder was?
Na schön, irgendwas musste es da doch geben. Bestimmt gab es da sogar ganz viel, aber plötzlich kam ihm da eine kleine Anekdote in den Sinn und er musste bereits jetzt schon lachen.

„Folgende Geschichte. Boerne war bezichtigt worden, dass er einen Menschen totgefahren hätte und hat sich, naja, ich nenne es mal illegalen Zutritt zu einer Garage beschafft. Dummerweise hatte er sich darin eingeschlossen und da musste ich halt vorbei kommen und ihn irgendwie rausholen."
Thiel blickte zu Boerne, der offensichtlich genau wusste, wovon sein Freund da sprach.
„War das mit dem Auto nicht bei dem Fall mit dem Lott und der tschetschenischen Putzfrau, auf die Sie Thiel so heiß war? Sie wissen schon, da wo's am Ende Wildschwein gab, das der Prof selbst... erlegt hatte?!", fragte Jana, ganz zum Missfallen von Thiel.
„Ja, Ähm.."
Boerne strich sich verlegen durchs Haar.
Was? Selbst von dem Fall hatte Boerne erzählt und die Studenten erinnerten sich auch noch daran? Na super!

Mit rollenden Augen begann Thiel zu seufzen und fuhr schließlich fort:
„Dann wird euch mein geschätzter Kollege den besten, naja zumindest lustigsten Teil wohl mit Sicherheit verschwiegen haben,....."

*Flashback Thiel*
(Der doppelte Lott -
Szene nacherzählt, ans Original gehalten)

„Boerne?"
„Thiel? Wo bleiben Sie denn?" kam es beleidigt von der anderen Seite des Garagentors.
„Das ist der Wagen. 100 prozentig, ich schwör's!"
„Ja jetzt spar'n Se' sich mal ihr Gequatsche! Hab ja grad nichts besseres vor, als Sie mal wieder aus der Patsche zu befreien!"
Mühsam versuchte Thiel dabei das Garagentor irgendwie hochzuheben, doch da tat und tat sich leider nichts.
„Die Spuren am Wagen, passen wie die Faust aufs Auge. Ja was ist denn? Jetzt machen Sie schon!"
„Gibt's da kein Schalter oder Knöpfchen?", fragte Thiel und betrachtete das Tor von neuem.
„Ham' Sie kein Stemmeisen oder so?"
„Ich bin Polizist und kein Einbrecher!"
Wollte Thiel nur sicherheitshalber mal erwähnt haben. Schließlich kniete er sich auf den Boden und suchte die Unterseite des Tores ab.
„Wann haben Sie das eigentlich mit ihrer neuen Putzfrau eingefädelt?"
„Larissa??? Haaahaaa, daher weht der Wind!", kam es neckisch und wissend von Boerne.

„Darf ich mal fragen, was Sie hier machen?", fragte eine jüngere Frau, die Thiel offensichtlich entdeckt hatte.
„Das nenn' ich mal eine richtige Perle!", plapperte Boerne weiter, der gar nicht mitbekommen hatte, das Thiel nicht mehr alleine war.
„Ähm, ja... äh, ich bin hier... mit einem.."
„Reden Sie das gerade in einem größeren Konflikt mit ihrem sozialen Gewissen oder mit Ihrem romantischen Herzen?", schnatterte Boerne unbeirrt weiter.
„Da ist er ja.", murmelte Thiel, als er es endlich geschafft hatte, seinen Dienstausweis herauszuholen. Was musste der beknackte Reißverschluss auch immer klemmen?
„Kriminalpolizei! Können Sie mal bitte das Tor hier aufmachen?", fragte er die junge Frau, welche ein paar Meter entfernt stand.
„Wollen Sie mich verarschen? Was glauben Sie was ich seit einer Stunde hier versuche!", schimpfte Boerne voller Unverständnis von der gegenüberliegenden Seite.

*Flashback Ende*

Nicht nur Boerne und Thiel mussten lachen, sondern auch die Studenten. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich alle Parteien wieder beruhigt hatten und Boerne blickte Thiel stolz an.
„Ich glaub du musst jetzt öfter kommen!"
„Damit du ein Druckmittel hast? Aufpassen dafür gibt's ein Leckerlie?", fragte Thiel lachend.
„So hätte ich das jetzt nicht formuliert, aber ja."

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt