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Tatsächlich hatten die Ärzte Boernes Allgemeinzustand für okay befunden, weshalb sie begannen, allmählich die Medikamente herunterzuschrauben.

Inzwischen waren seitdem 24 Stunden vergangen und Thiel saß am Bett des Professors.
„Sie wissen aber schon, dass Sie die Augen auch irgendwann mal aufmachen müssen oder? Ich will hier nicht noch Wochen am Bett sitzen müssen. Mit wem soll ich mich denn sonst zanken?"
Tja, das wusste Thiel wirklich nicht und auch wenn er es früher nicht für möglich gehalten hätte, ging ihm das  jetzt doch ganz schön ab.
Dass das auch alles so lange dauern musste, dachte Thiel genervt und rollte mit den Augen.
„Was würde ich dafür geben, jetzt eine Runde mit Ihnen Schnick Schnack Schnuck zu spielen, obwohl es mir sonst gehörig auf den Wecker fällt?"
Thiel seufzte und ließ sich an die Lehne des Stuhles zurückfallen.
Hoffentlich hatte Alberich recht und Boerne würde schnell aus dem Koma erwachen. Leider gab es da halt diese saudämlichen Möglichkeiten, von nicht mehr aufwachen, bis hin zum Wachkoma, doch daran wollte Thiel überhaupt nicht denken. Boerne war immerhin stark und mit Sicherheit, würde der sich hier zurück kämpfen, denn die Pappe halten, konnte der ja sowieso nicht.
Thiel musste jetzt grinsen, denn sofort schossen ihm unzählige Situationen in den Kopf, in denen Boerne mal wieder nicht still sein könnte und wie üblich auch das letzte Wort hatte.

„Na Frank. Wie ist die Lage?", fragte Uli, die ins Zimmer spaziert kam.
„Phänomenal.", brummte der Kommissar mit ironischem Unterton.
„Das wird schon. Gib ihm Zeit. Sein Körper ist sehr schwach. Er wird die nächste Zeit mit Sicherheit eine starke Schulter als Stütze brauchen - Alleine um das alles zu verarbeiten, was er erlebt hat."
Thiel traf die ganze Sache ja schon extrem und es zerrte an seinen Nieren, wie mochte es dann wohl Boerne ergehen, wenn der wieder ansprechbar war? Himmel, darüber wollte er jetzt wirklich nicht nachdenken.
Fest entschlossen war er aber, dass er seinem Kollegen, Nachbarn, „Ehemann", was auch immer bei Seite stehen würde, auch wenn er jetzt schon wusste, dass das in einem Fiasko enden würde. Boerne war eben Boerne und Thiel war Thiel, da gab es halt nichts dran zu rütteln.
„Wie wärs, wenn du ihm mal was vorliest oder so? Oder mag er bestimmte Musik? Du müsstest ihn doch am Besten kennen. Das hilft bei dem Genesungsprozess ganz bestimmt."
Irgendwie war Thiel manchmal genervt, dass alle so schlaue Ratschläge hatten, doch im Grunde wusste er halt auch, dass sie es alle nur gut meinten. Vielleicht sollte er die Ratschläge ja doch mal annehmen?

****

„Moin Vaddern."
„Frankie, was gibt's?"
„Kannste mir mal 'nen Gefallen machen?"

****

Atemlos und mit Schmerzen, stützte sich Thiel an der Küchenzeile ab.
Das war doch echt wieder mal eine scheiß Idee, dachte Thiel und hielt sich den Bauch.
„Junge, ich hab doch gesagt, ich mach das.", meinte Herbert kopfschüttelnd und nahm seinem Sohn die Weinflaschen ab.
„Die packen wir jetzt zum restlichen Krempel und dann geht's aber nichts wie zurück ins Krankenhaus."

Gerade als sie aus Boernes Wohnung liefen, fiel Thiel dann noch ein, dass er doch noch einen Blick ins Badezimmer werfen wollte.
„Geh du schon mal vor. Ich hol noch was."
Damit stapfte der Kommissar ins Bad und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen.
Auf dem Waschbecken und dem Regal darüber, hatte Boerne all die Dinge stehen, die er regelmäßig benutzte, beispielsweise sein Aftershave, welches Thiel so gerne roch, sein Parfüm, seinen Rasierapparat und diverse andere Dinge.
Als er genauer guckte, war er ein wenig verwundert, dass Boerne sogar eine Gesichtscreme und eine spezielle Creme für seinen Bart besaß.
„Spießer."
Schulterzuckend und mit einem Grinsen auf den Lippen, stopfte er alles in einen Kulturbeutel und blickte nochmal durch den Raum.
Irgendwie überkam ihm dann aber schon wieder das schlechte Gewissen, weil er ungefragt in Boernes Reich eingetreten war, doch Thiel wusste insgeheim ja, dass die Sache einem guten Zweck diente.

Irgendwo musste der Andere doch seine Ersatzbrille aufbewahren, zumindest meinte Thiel sich erinnern zu können, dass Boerne eine weitere besaß. Da er keine Ahnung hatte, wo man sowas aufbewahrte, öffnete er nach und nach alle Schubladen und Schranktüren, konnte aber nichts dergleichen finden.

„Wo bleibst du denn so lang?", hörte er seinen Vater aus dem Flur rufen.
„Sofort Vaddern.", entgegnete Thiel und ging ins Boernes Schlafzimmer. Vielleicht hatte sein Schein-Ehemann die Brille ja im Nachtkästchen? Eigentlich gar nicht so abwegig oder?
Als Thiel die Schublade dann öffnete, schob er sie schnell wieder zu. Jetzt hatte er doch tatsächlich Dinge gesehen, die er nicht hätte sehen wollen und die mit Sicherheit auch nicht für seine Augen bestimmt waren.
Obwohl er wusste, dass ihn die Gedanken noch mehr verwirren würden und Boerne ihm dafür vermutlich sieben Wochen beleidigt wäre, öffnete er die Schublade trotzdem wieder.
Etwas verlegen war er schon, als er die Kondome und das Gleitgel in den Händen hielt und kurz betrachtete. Noch mehr aber erstaunte es ihn, als Boerne auch noch Handschellen und eine Augenbinde darin aufbewahrte.
Auf sowas stand der Professor also? Thiel war wirklich verblüfft und wusste im ersten Augenblick gar nicht, wie er dass gerade finden sollte.
„Kommst du jetzt oder was?", drang wieder Thiel Seniors Stimme in sein Bewusstsein.
Das Wort kommen, gefiel ihm in Verbindung mit seinem Fund gerade nicht wirklich, weshalb er alles wieder im Nachtschränkchen verschwinden ließ und hoffte, dass es Boerne niemals auffallen würde, dass er darin herum geschnüffelt hatte.
Ohne Brille, dafür etwas verdattert, schnappte sich Thiel den Kulturbeutel und ging schließlich nach draußen zu seinem Vater.

****

„Was hast du denn da alles eingepackt? Sind da Ziegelsteine drin?", fragte der alte Thiel, als er die schwere Tasche bis vor Boernes und Thiels Zimmer geschleppt hatte. Klar hätte der Kommissar die Tasche lieber selbst getragen, doch die nächsten Wochen durfte er laut Arzt weder schwer heben, noch sich anderweitig körperlich anstrengen. Da fiel ihm nebenbei ein, dass er das der Klemm ja auch noch irgendwie beibringen musste, doch daran wollte er jetzt noch nicht denken.
„Alles was man so braucht. Dient ja schließlich 'ner guten Sache.", antwortete Thiel und lächelte seinen Vater an.
„Na dann hoffentlich bringt es deinem Professor auch was und ihr habt euch bald wieder."
Warum nervte es Thiel nur so, wenn sein Vater so etwas sagte? Klar war er sich sicher, dass der das einfach nur so dahin sagte, doch trotzdem klang dass alles so falsch in seinen Ohren.
Er wusste es halt besser - es gab kein sein Professor und vermutlich würde sich das auch niemals ändern.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt