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Wie es weitergehen könnte?
Das wusste Thiel....
Wären Sie nicht Boerne und Thiel, beide nicht hetero, Kollegen und Nachbarn, würde Thiel vermutlich spätestens jetzt die Initiative ergreifen, seine Hand an die Wange des anderen legen und ihm seine Lippen auf den Mund drücken. Ja, er würde so viel Liebe in diesen Kuss legen, dass dem anderen schwindlig werden würde.
Leider ging das ja nicht, weil Boerne und er waren halt eben nun mal Boerne und Thiel, hetero, Kollegen und Nachbarn.

Was sollte er denn da bitte drauf antworten? Er wusste es nicht. Er wusste es ganz und gar nicht.
„Oder würdest du darauf warten, dass ich den nächsten Schritt mache?", fragte Boerne und er spürte den Atem des Professors an seiner Wange, da dieser seinen Kopf zu ihm gedreht hatte.
„Ich.." Thiel musste schlucken.
„Ich halt ja eh nichts von klassischer... klassischer Rollenverteilung, also, halt, also dass einer.... man."
Verzweifelt suchte Thiel nach den richtigen Worten. Hätte er doch nur erst überlegt, bevor er anfing zu sprechen.
„Du meinst klischeehaft, dass der Mann zur Jagd geht und die Frau zu Hause sitzt und sich um den Lütten kümmert?", fragte Boerne und stupste ihm in die Seite.
„Joa, so oder so ähnlich.", gackerte Thiel, da es kitzelte.
„Also, da wir uns ja sozusagen in einem gleichgeschlechtlichen Arrangement befinden, fällt das mit dem Kind ja schon mal weg. Wobei, du hast ja einen Sohn, also steht ja schon mal außer Frage, dass das noch zur Debatte steht. Lukas ist ja wohl alt genug, dass er alleine klar kommt, nicht? So und wenn wir jetzt ein wenig weiter spinnen, kommen wir der Sache näher, auf welche du angespielt hast.", brachte es Boerne auf den Punkt.
„Ach ja?"
„Wenn ich mich nicht irre und du weißt, so etwas geschieht nur selten bis nie, dann wolltest du damit ausdrücken, dass es nicht darauf ankommt, wer die Zügel bei dem Rendezvous in die Hand nimmt, was zugegebenermaßen besser klingt als Date, sondern dass es darauf an kommt, was beide für richtig halten und dementsprechend auch danach handeln."
Wahnsinn, wie konnte Boerne so etwas simples nur so kompliziert und geschwollen ausdrücken? Fast hätte Thiel jetzt lachen müssen, aber naja, der Professor hatte ja recht und es komplett auf den Punkt gebracht.
„Ich würde vorschlagen, dass wir jetzt erst Mal einen Schluck Wein trinken und dann sehen wir weiter."
Offensichtlich hatte Boerne einfach nur selbst keine Idee, dass schloss Thiel jetzt einfach mal daraus.
Nickend angelte er nach den Gläsern und hielt eines davon Boerne hin. Lächelnd griff der Forensiker danach und als sich ihre Finger berührten, kam es Thiel so vor, als hätte ein Blitz in seinem Körper eingeschlagen. Diese Berührung war kurz, eigentlich gar nicht der Rede wert und trotzdem löste sie so viele Gefühle in ihm aus.
Boerne, der selbst etwas komisch geguckt hatte, was sich Thiel aber bestimmt nur einbildete, stieß sein Weinglas an Thiels und nahm schließlich einen ungewöhnlich großen Schluck.
Als er ihm das Glas wieder abgenommen hatte, hatte Thiel tunlichst darauf geachtet, eine weitere Berührung zu vermeiden, denn ansonsten wären ihm vielleicht wirklich noch die Sicherungen durchgebrannt.

Wieder trat schier unerträgliches Schweigen ein, doch Thiel hatte keine Ahnung, was er jetzt hätte schlaues sagen können.
Als der Professor zu Summen begann, war er dann aber mehr als überrascht, den er kannte den Song sofort.
Das konnte doch aber überhaupt nicht sein oder?
Als Boerne erneut mit der Melodie begann, war sich der Kommissar aber sicher. Es war das Lied.

****

Warum Boerne gerade pfiff und summte, das wusste er selbst nicht so genau. Eigentlich wusste er nicht mal wie die Melodie in seine Gedanken dringen konnte, denn einen Text dazu kannte er gar nicht. -Und trotzdem, seitdem er aus dem Koma erwacht war, hatte er sie ständig im Kopf.
Frank schaute ihn ja jetzt schon ein wenig skeptisch an, aber vermutlich dachte der nur, dass der Nachbar einfach einen Vogel haben musste und willkürlich irgendwas von sich gab.
Während er weiter summte, sah er Thiels Hand, welche nur Millimeter von seiner entfernt war und auf der Bettdecke ruhte, welche er vor wenigen Minuten nach oben gezogen hatte.
Sollte er es einfach wagen oder würde er Thiel damit vergraulen? Boerne entschied sich dazu, es zu versuchen, denn immerhin wusste Thiel ja, dass Boerne dazu neigte, Leute auch in unpassenden Situationen zu berühren und wie Thiel es nannte, gerne mal die Privatsphäre derer zu missachten.
Zögerlich streifte er mit seinem kleinen Finger über den Daumen des Hauptkommissars und wartete eine erste Reaktion ab. Da der aber nicht den Anschein machte, dass er seine Hand jede Sekunde wegziehen würde, ließ er weitere Finger über den Handrücken seines Kollegen gleiten. Fast erschrocken war Boerne dann, als Thiel plötzlich ins Spiel einstieg und ihre Finger begannen, ein eigenes, kleines Spiel zu spielen, bis sie sich schließlich ganz miteinander verschränkt hatten.
Auf Grund dieses unglaublichen Gefühls, stockte Boerne der Atem, doch eigentlich hatte er nicht vorgehabt, dem Anderen zu zeigen, welche Reaktion es in ihm auslöste und so begann er erneut die Melodie zu Summen und ging noch einen Schritt weiter, in dem er seinen Kopf auf dessen Schulter legte.
„Die Reise ist noch nicht zu Ende, auch wenn das Leben, uns in Stücke reißt. In aller Stille, sehen wir uns wieder, weil du ewig bei mir bleibst.", begann Thiel leise zu singen und da war Boerne plötzlich klar, warum er diese Melodie im Kopf hatte.
Das Lied kannte er nicht einfach nur so, es war Thiels Lied, nein ihr gemeinsames.
„Laith Al-Deen.", flüsterte Thiel und Boerne hob seinen Kopf an, um in seine Augen sehen zu können.
„Das erste Mal, dass ich für dich Gitarre gespielt habe und du hast geschlafen. Naja, dafür hat's Gustav gehört.", fuhr Thiel leise fort und ein verlegenes Lächeln, legte sich auf seine Lippen.
„Vielleicht..... kannst du es mir irgendwann mal Vorspielen, Frank.", entgegnete Boerne heiser und verfluchte sich dafür, dass seine Stimme drohte, ausgerechnet jetzt den Geist aufzugeben.
„Vielleicht, ja."

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt