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Eine geschlagene Viertelstunde hatte Thiel Boernes etwas aus einem Schmöker vorgelesen, doch da er die meisten Worte nicht mal ansatzweise richtig aussprechen konnte, geschweige denn überhaupt verstanden hatte, schloss er das Buch genervt.
„Tschuldigung Boerne, aber das ist dann doch eher dein Metier."
Na das hatte ja nicht wirklich den gewünschten Erfolg gehabt, zumindest nicht für den Kommissar, weshalb er sich überlegte, was er stattdessen tun könnte.

Eine Weile dachte er nach und ließ seinen Blick über das Nachtkästchen wandern. Wieder stießen ihm die Mundpflege-Lollys in die Augen und da kam ihm dann wieder die Erinnerung, mit welcher Idee, er ja bereits schon mal geliebäugelt hatte.
Thiel erhob sich aus dem Stuhl und ging zu seiner Tasche, um daraus die Weinflasche zu nehmen, in welcher sich noch ein Rest befand, welchen Boerne im Kühlschrank aufbewahrt hatte.
„Château Latour.", laß Thiel das Etikett laut vor und kippte etwas davon in einen leeren Becher.
Natürlich wusste Thiel, dass dieses Gesöff nicht irgendein beliebiger Wein war, sondern einer der edelsten Tropfen, den sein Nachbar besaß.
'Dieser hier, mein werter Herr Nachbar, ist ein Wein aus dem Jahre 2009, welcher besonders lange im Weinkeller gelagert wurde, um diese Aromen zu entfalten. Sie denken ja bestimmt wieder, dass Wein einfach nur Wein ist, aber lassen Sie sich gesagt sein, dass dieses attraktive Exemplar mehr Aromen hat, als eine einfache, lieblose Traube. Ich spreche hier von Aromen wie Holz, Cassis, Schwarze Beeren, ja sogar einem Hauch nasser Stein' erinnerte sich Thiel noch bestens an Boernes Worte, als dieser die Flasche zu ihrem Wildgulasch geöffnet hatte.
Natürlich hatte sich Thiel da eine spitze Bemerkung nicht verkneifen können, denn das mit dem nassen Stein, klang ja beinahe schon wie nasser Hund, weswegen er da so seine Witze darüber riss.
'Spotten Sie nur Thiel. Diese Flasche hier ist zwei Monatsmieten von Ihnen wert, also sollten Sie sich geschmeichelt fühlen, dass ich mich Ihrer Erbarme und diese Geschmacksexplosion mit Ihnen teile.'
Boernes Worte hallten laut in Thiels Kopf nach und er fand das jetzt im Nachhinein schon echt sehr großzügig von Boerne, dass der einfach so einen seiner besten Weine köpfte, obwohl der ja wusste, dass der Kommissar guten Rotwein eh nicht zu schätzen wusste und häufig sogar verschmähte.
Im Grunde war Thiel sich immer noch nicht sicher, ob er den Professor einfach so Alkohol einflößen konnte, doch da Boerne für guten Wein vermutlich sogar Alberich verkaufen würde, tauchte er den Lolly schließlich ein und ließ diesen dann zwischen Boernes Lippen gleiten. Wie zuvor auch mit Wasser, befeuchtete er damit den Mund des Forensikers und hoffte, dass der das auch irgendwie wahrnehmen würde. Angeblich war es ja bestätigt, dass solche Dinge tatsächlich eine Wirkung auf den komatösen Menschen haben sollten.
Zwei, drei Mal wiederholte er das ganze Prozedere, ehe er den Lolly in den Müll fallen ließ und mit dem Daumen einen Rotweintropfen von Boernes Mundwinkel entfernte, der sich dort gebildet hatte.
„So.... SCHATZ... Ich hoffe der Wein hat dir gemundet. Also wenn der Wein es tatsächlich schafft, Ihre Lebensgeister zu wecken, dann schenk ich Ihnen 'nen Karton voll zu Weihnachten."
Thiel prustete los, denn sollte der Wein wirklich so teuer sein, wie Boerne es behauptete, müsste er wohl mit seinem Vater gemeinsame Sachen machen und ins Cannabis-Geschäft mit einsteigen, um sich das leisten zu können.
„So und jetzt widmen wir uns mal ihrem toten Wiesel im Gesicht."
Das hatte Thiel ja schon seit Tagen gestört, dass sich niemand um den Bart des Professors kümmerte, der inzwischen schon viel zu lange war. Wobei, einmal wollte eine Pflegerin doch tatsächlich den Bart komplett abrasieren, doch da hatte Thiel direkt einen Zwergenaufstand geprobt.
'Unterstehen Se' sich! Boerne... also mein Freund äh, wird Sie verklagen, wenn Sie da dran gehen!', hatte er die Warnung ausgesprochen, denn er wusste genau, wie sehr der Andere an seinem Bart hing.

Mit Wasser und Rasiergel bewaffnet, trat er wenig später wieder neben Boerne und verteilte des Rasierschaum auf dessen Wangen, exakt um seinen geliebten Bart herum und atmete durch.
„Ich werd mich bemühen, es nicht zu versauen."
Zögerlich und ein wenig nervös, rasierte er den Rechtsmediziner und wischte ihm dann mit einem Waschlappen den restlichen Schaum aus dem Gesicht.
Um zu überprüfen, ob er alle Bartstoppel erwischt hatte, zog er sich seine Handschuhe aus und strich ihm sanft übers die Wangen.
Wahnsinn, wie weich Boernes Haut war, dachte Thiel, die sich unter seinen Händen wie ein zarter Babypopo anfühlte.
Ob sich das an den Lippen genauso anfühlen würde? Erschrocken über seine Gedanken schüttelte er den Kopf und griff schließlich nach dem Rasierapparat. Zum Glück war er so schlau gewesen, dass er den von Boerne mitgenommen hatte, denn der war mit Sicherheit auf die richtige Länge eingestellt.
Sorgfältig stutzte er den viel zu lang gewordenen Bart und war wenig später wirklich zufrieden.
„Na das hätten Se' selbst auch nicht besser gekonnt, Boerne.", meinte Thiel grinsend und legte den Rasierer auf dem Nachttisch ab.
„Jetzt sehen Se' wieder dufte aus."
Dufte, dass war das Stichwort, was Thiel an die Cremes und das Aftershave erinnerte.
Schnell verräumte er das ganze Brimborium und verteilte etwas von Boernes Bartcreme um den Mund herum.
Was der alles für Schnickschnack besaß, war Thiel ja irgendwie schon schleierhaft, doch wenn er so darüber nachdachte, passte dass einfach wirklich zu gut zu Boernes seltsamen Marotten, welche der immer so an den Tag legte.
Als er dann noch die Flasche mit dem Aftershave geöffnet hatte und es auf dessen Gesicht aufgetragen hatte, stieg ihm sofort der Geruch in die Nase.
Erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr er genau diesen Duft vermisst hatte, der ihm früher sonst Tag täglich in die Nase gestiegen war. Es war wirklich nicht so, dass Boerne es penetrant auftrug, aber wenn man nah genau beieinander stand oder saß, dann konnte man es doch sehr, sehr gut wahrnehmen.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt