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„Das hat jetzt aber schon ganz schön lang gedauert, euer Verhör da.", begann Herbert, nach dem Boerne sich angeschnallt hatte.
Eigentlich war dem Professor überhaupt nicht nach Reden zumute, aber unhöflich wollte er keineswegs erscheinen. Okay, wenn er ehrlich zu sich war, lag es gerade auch nur daran, dass er eben in Herberts Taxi saß und nicht in irgendeinem X-beliebigen.
„Zu lange.", antwortete Boerne also.
„Hat mein Sohn und die nette Kleine sie ordentlich in die Mangel genommen?", fragte Herbert ungeniert nach.
„Ach, so würde ich das nicht nennen, aber Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass ich hier nicht Täter sondern Opfer bin.", merkte Boerne sicherheitshalber an. Bei Herbert wusste man ja nie, was der gerade intus hatte und sich zusammen spann.
„Schöne Scheiße was Sie da erlebt haben. Also, Frankie hat nicht viel erzählt, aber so mitgenommen wie Sie aussahen....", meinte Herbert und zündete sich allen Ernstes einen Joint an. Boernes erste Reaktion war ein Hustenanfall, da er die volle Ladung abbekam und schon wedelte er mit den Händen vor seinem Gesicht.
„Machen Sie wenigstens das Fenster auf, Herr Thiel.", mahnte ihn Boerne und schüttelte ungläubig den Kopf.
Kiffen im Straßenverkehr. Unfassbar! Kaum zu glauben, dass Frank aus dessen Erbgut stammte, dachte Boerne und zog eine Schnute.
„Würde Ihnen auch nicht schaden, so verklemmt wie Sie manchmal sind. Nehmen Sie doch mal den Stecken aus Ihrem Allerwertesten."
Schnaubend blickte Boerne zu dem alten Senior. Was erlaubte er sich eigentlich? Als hätte er einen Stock im Ar.... Na gut, vielleicht gab er sich manchmal so, aber man konnte mit ihm durchaus auch Spaß haben. Nun, zumindest wenn man nicht Thiel hieß und auf Dinge wie Golfen, Reiten, Operetten und Fechten stand. Okay, so ein wenig Spießer war er ja schon, dachte Boerne und verdrückte sich ein Grinsen.
„Hab ich Recht oder was?", fragte Herbert und boxte ihm in die Seite.
„Leider kann ich Ihnen da nicht vollkommen widersprechen, was aber nicht heißen soll, dass Sie mich hier munter beleidigen können!"
„War ja auch nicht böse gemeint, Junge."
Junge? Herbert wusste aber schon, dass er nicht mit Thiel.... Oh, bedeutete das vielleicht, dass Thiel Senior ihn... mochte? Würde man das sonst so lapidar sagen?
„Wissen Sie was, Herr Thiel? Fragen Sie mich nicht warum, aber ich mag Sie.", rutschte es Boerne mehr heraus, als dass es beabsichtigt gewesen wäre.
„Aber auch nur weil Sie meinen Sohn gern haben.", brachte es Herbert trocken auf den Punkt.
„Ich mag Alberich auch, Wotan, also ihr Ponny, hingegen weniger.", erklärte Boerne anhand eines Beispiels.
Kaum zu glauben, dass Alberich dieses Vieh von Dogge tatsächlich adoptiert hatte. Wenigstens besaß sie so viel Anstand, ihn zu Hause zu lassen. Ginge ja auch nicht an, dass dieses Ungetüm munter in der Rechtsmedizin seine Dinosaurierhaufen hinterließ.
„Nur weil mein lieber Sohnemann zu dämlich ist, um zu verstehen, dass Sie, Herr Professor, an ihm interessiert sind, heißt das noch lange nicht, dass ich genauso hohl bin."
Mit weit geöffnetem Mund blickte er zu Herbert, schloss ihn, nur um ihn wieder zu öffnen, doch Worte wollten nicht so recht über seine Lippen kommen.
Was erlauben Sie sich, wäre doch eine gute Möglichkeit oder?
„Woher wissen Sie das?", kam stattdessen dabei heraus und Boerne schluckte trocken.
„Gesunder Menschenverstand und als Vater merkt man doch sowas.", erklärte Herbert ganz nüchtern und parkte den Wagen vor dem Haus.
„Sie sind aber nicht mein Vater."
Zum Glück, dachte der Professor erleichtert.
„Was spielt das für eine Rolle? Vater, Schwiegervater, das macht das Kraut doch nicht mehr Fett, Herr Professor."
Lieb gemeint war das ja schon vom alten Thiel, dachte Boerne. Sein eigener Vater hatte sich nie mit Ruhm bekleckert, noch dazu würde der sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass sein Sohn in einen anderen Mann verliebt war.
„Ahnt Thiel was?", fragte Boerne und schnallte sich ab.
„Frank? Bei dem reicht es manchmal nicht, ihn mit der Nase auf etwas zu stupsen, da müssen Sie schon härtere Geschütze auffahren. Glauben Sie mir, Boerne, der rechnet im Leben nicht damit, dass Sie seine Gefühle erwidern."
Was? Erwidern? Wie erwidern? Hieß das nicht, dass Thiel auch an ihm.... Thiel? Niemals.
Gerade als Boerne da genauer nachhaken wollte, war Herbert ausgestiegen und hielt dem Professor die Tür auf.
„Los, Junge. Ich hab's eilig. Irene wartet nicht auf mich."
„Inge!"
„Wie Inge?", fragte er verdattert.
„Irene war die von Letztens und Inge ist die aktuelle, Herr Thiel!", erinnerte Boerne ihn schmunzelnd.
„Lassen Sie mal das Gehashe sein, dass schadet nur ihrem Verstand.", meinte Boerne und hob wie immer oberlehrerhaft den Finger.
„Hast recht. Also, man sieht sich. Tschüss.", kam es grinsend vom Senior, der sogar noch dankbar über Boernes Worte war und dann wieder einstieg.
Süffisant grinsend, guckte Boerne ihm dabei zu und als ihm einfiel, dass er doch noch etwas fragen wollte, fuhr der Greis leider schon los.
„Herr Thiel!", doch das hatte der natürlich nicht mehr gehört.
„So etwas blödes!", maulte Boerne, stemmte den Arm in die Hüfte und atmete genervt durch.
- Und dann hatte der ihn auch noch geduzt. Also sowas!

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„Wo ist denn der Professor?", fragte Nadeshda und setzte sich auf einen der Besucherstühle, vor Thiels Schreibtisch.
„Nach Hause.", antwortete er knapp und griff nach der Akte, um irgendwie den Anschein zu machen, als würde er hier etwas arbeiten wollen.
„Alleine? Warum sind Sie noch hier?", fragte sie verwundert.
„Dem war das alles 'n büschen zu viel. Der will allein' sein."
„Und warum sind Sie noch hier? Ich glaube, dass der Tag nicht nur für Boerne anstrengend war.", stieß Nadeshda stirnrunzelnd hervor.
„Mja, aber das Protokoll tippt sich nu' auch nicht von allein. Machen Se' sich doch 'nen schönen Nachmittag.", schlug Thiel vor und griff nach dem Tonband.
Sie sollten eher nach Hause fahren und sich einen schönen Nachmittag machen, Chef. Den Bericht tippe ich schon und außerdem sind Sie noch nicht wieder gesund geschrieben."
Pühh, man war doch nur so krank wie man sich fühlte! Also wirklich. War ja nett von Nadeshda, aber eine Übermutter brauchte er dann doch nicht.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt