74.

107 6 0
                                    

Während Boerne noch friedlich im Bett lag und schlief, hatte sich Thiel daran gemacht ein Frühstück vorzubereiten. Dieses Mal konnte er wenigstens mehr vorweisen, denn sein Kühlschrank war immerhin gefüllt und da war mir Sicherheit auch was für den verzogenen Gaumen Boernes dabei.

Während die Brötchen vor sich hin backten und der Kaffee durch die Maschine floss, huschte Thiel in Boernes Wohnung, um diesen frische Kleidung zu holen.

Gerade als er sich an die Küchenzeile lehnte und an der heißen Flüssigkeit nippte, kam Boerne aus dem Schlafzimmer.
„Guten Morgen.", brummte der noch recht verschlafen und strich sich mit den Händen übers Gesicht.
Thiel musste ob der Ansicht von seinem Nachbarn schmunzeln, denn wieder standen seine Haare wirr vom Kopf ab und trotz Schlafanzug-Hose, konnte er die eindeutige Wölbung erblicken.
Soso, dann hatte also selbst der renommierteste Rechtsmediziner Münsters mit morgendlichen Begleiterscheinung eines Mannes zu kämpfen, dachte Thiel und konnte seinen Blick nur schwer davon lösen. Als er eine Hitze in sich aufsteigen fühlte, schüttelte er schnell den Kopf und versuchte seinem Nachbarn in die Augen zu sehen.
„Ich geh mal in meine Wohnung, um mich ein wenig frisch zu machen.", teilte Boerne ihm schließlich mit, nachdem Thiel noch immer nichts gesagt hatte.
„Äh, Moinsen. Ich hab dir was geholt, also ich hoffe das war in Ordnung."
Thiel wurde etwas rot, denn erst jetzt fiel ihm auf, dass er ungefragt in Boernes Wohnung gegangen war.
„Du hast mir Kleidung geholt? Um Gottes Willen Thiel. Karneval war schon, ich hoffe das hast du berücksichtigt."
Der gute, alte Boerne, dachte Thiel zufrieden und nickte ihm zu.
„Du bist doch nur neidisch, dass auf deinen schicken Sackos kein Totenkopf abgebildet ist.", entgegnete Thiel keck.
„Mir reichen die Totenköpfe, die sich manchmal auf meinen Seziertisch verirren nun wirklich."
Boerne ging drei Schritte auf Thiel zu, klaute ihm die Tasse aus der Hand und nippte an dem heißen Kaffee.
„Der weckt ja Tote!"
Thiel wollte zwar kurz protestieren, weil Boerne ungefragt seinen Rüssel an die Tasse heftete, doch irgendwie wollte kein Gemecker über seine Lippen kommen.
„Ich dachte das kannst du jetzt ganz gut gebrauchen!", sagte er stattdessen und Boerne lächelte ihn nickend an.
„Sehr umsichtig von dir."

****

„Frank? Kannst du mal bitte kommen?"

Als Thiel das Badezimmer betrat, stand Boerne in schwarzer Anzugshose und geöffnetem Gürtel vor der Dusche und kämpfte sich mühevoll in sein weißes Hemd.
Oh, da hätte er eigentlich selbst drauf kommen können, dass Boerne dass nicht auf die Reihe bekommen würde und so zog er ihm den Stoff wieder von Körper und öffnete den Klettverschluss seiner Armschlinge.
„Erst mit den Arm!", wies er Boerne an und ehe sie sich versahen, hatte Thiel die Knöpfe geschlossen und griff wieder nach der leidigen Schiene.
„Nicht! Bitte. Ich will das Ungetüm nicht mehr haben."
Für all zu klug hielt er das zwar nicht, aber er kannte ja Boerne und der machte sowieso immer das Gegenteil von dem was er sollte.

Nachdem Thiel dann seine Zahnbürste vorbereitet hatte und etwas fahrig den Gürtel geschlossen hatte, ging er wieder zurück aus dem Badezimmer und setzte sich an den gedeckten Tisch.

Bald, bald würde Boerne wieder alles alleine machen können und dann, ja dann wäre vielleicht endlich wieder alles beim Alten. Gut, mit dem Unterschied, dass sie sich jetzt vielleicht sogar auf der Arbeit duzen würden, aber dass war ja alles noch Zukunftsmusik.

Als Boerne dann aus dem Badezimmer trat und in die Küche marschierte, wurde Thiels Herz mit einem Gefühl von Wärme erfüllt.
Boerne endlich wieder in eleganter Garderobe zu sehen, wenn auch ohne Jackett und Krawatte, war für ihn ein unerwartet schöner Moment.
Wie lange hatte er sich danach gesehnt, den so wieder zu sehen? Irgendwie hatte das auch so ein Hauch von Normalität und genau die würde beiden jetzt wirklich gut tun.

****

„Und was hast du heute geplant?", fragte Boerne, nach dem er einen Bissen heruntergeschluckt hatte.
„Nicht viel. Arbeit is' nicht. Die Klemm hat's mir verboten. Ich werd hier ein bisschen klar Schiff machen."
„Das kann nun wirklich nicht schaden, wenn ich mir diesen Verhau so anschaue. Ach und das Bett könntest du auch mal wieder beziehen!", antwortete Boerne und Thiel musste fast lachen, weil Boerne jetzt nicht mehr nur wie der Professor aussah, sondern auch so großkotzig palaverte wie dieser.
Aber Boerne hatte ja irgendwie recht.
Thiel hatte wirklich keine Ahnung, wann er zum letzten mal aufgeräumt, geschweige denn sein Bett frisch bezogen hatte und irgendwie war ihm das jetzt auch ein wenig unangenehm.
„Und was steht bei dir auf dem Programm?", fragte Thiel, um auf ein anderes Thema zu lenken.
„Ich werde heute meine zwergenhafte Assistentin im Institut besuchen. Ich möchte gerne vorher wissen, welchen Unfug sie in meiner Abwesenheit angestellt hat. Vielleicht kann ich den guten Ruf noch irgendwie retten."
Hatte der den Verstand verloren? Boerne war noch keine 24 Stunden aus dem Krankenhaus entlassen worden und wollte jetzt allen Ernstes in den Leichenbunker fahren, um Haller über die Schulter zu gucken?
Das hielt Thiel ja mal für überhaupt keine gute Idee.
„Also das ist ja schon 'n büschen früh oder?", fragte Thiel und schob sich ein großes Stück seines Brötchens in den Mund.
„Ich bitte dich, dass ist längst überfällig. Wer weiß was dort los ist. Wenn sie Mist gebaut hat, dann kann sie aber was erleben. Ach und Frank bitte kau ordentlich, ja? Ich möchte nicht mit diesem stumpfen Messer deine Kehle ein zweites Mal öffnen müssen und für einen Heimlichgriff bin ich auch noch nicht in der Verfassung.", plapperte der Pathologe oberlehrerhaft, weil Thiel sich während Boernes kleiner Ansprache tatsächlich etwas verschluckt hatte.
„Is' ja niedlich, dass du dir Sorgen um mich machst.", meinte Thiel darauf grinsend und trank seine Tasse aus.
„Um dich? Ich mach mir Gedanken um mich, weil ich schließlich mit deinem Anblick und dem Wissen, dass ich nicht helfen konnte weiter leben muss.", korrigierte ihn Boerne und obwohl Thiel kurz davor war, sich aufzuregen, erkannte er die versteckte Botschaft dahinter doch noch.
Boerne würde ihn vermissen und sich Vorwürfe machen, dass er ihm nicht helfen konnte. Ob dieser Erkenntnis begann das Herz des Kommissars einige Takte schneller zu schlagen und auch Boerne lächelte jetzt aufrichtig in seine Richtung.
Ja, er hatte sich nicht getäuscht, nein, er hatte es richtig verstanden und Boerne wusste, dass Thiel es auch richtig aufgefasst hatte.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt