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„Thielchen, Thielchen, Thielchen. Ich bin begeistert."
Frau Klemm betrat mit glimmender Kippe das Büro und setzte sich euphorisch neben Nadeshda.
„Wie oft hab ich Ihnen schon gesagt, dass in meinem Büro nicht geraucht wird?", fragte Thiel genervt.

War doch immer das Selbe. Die meinte doch wirklich, für sie galten andere Gesetze.

„Öffentliches Gebäude, blablabla. Seien Sie doch nicht so muffig. Ich bin nur gekommen um Ihnen meinen Respekt zu zollen. Ich muss ja zugeben, dass ich nicht begeistert war, dass Sie der Vernehmung beipflichten wollten und wie ich befürchtet hatte, haben Sie sich da einige Schnitzer erlaubt...", begann sie auch direkt schon mit ihrer Moralpredigt, weshalb Thiel jetzt mit den Augen rollte.
„Dennoch hätten wir ohne Ihre Hilfe wahrscheinlich nicht annähernd so viel Informationen aus Boerne rausgebracht. Der war ja wirklich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Das hätte mir noch gefehlt."
„Genau. Die Frau Klemm hat recht, Chef. Ohne Sie und ihren Einfluss auf Boerne hätte ich ziemlich alt ausgesehen. Das war richtig süß, wie sie sich um ihn gekümmert haben.", begann Nadeshda gegen Ende zu schwärmen.
„Was war denn bitte süß? Psychologische Maßnahmen waren das. Mehr nicht.", verteidigte sich Thiel, dem jetzt erst so richtig bewusst wurde, wie offensichtlich Sie doch ihre Vertrautheit gezeigt hatten und wie egal es ihm in dem Augenblick eigentlich tatsächlich war.
„Gustav von Elst mussten sie anlügen, Thielchen, uns können Sie aber nicht anlügen."
Zufrieden zog die Klemm an ihrer Zigarette.
„Kann ich jetzt nicht ganz folgen."
„Ich möchte mich nicht in Ihre Privatangelegenheiten mischen, aber mir wäre es aus Pietätsgründen ganz recht, wenn Sie und Boerne sich zukünftig nach wie vor professionell verhalten und ihren Pflichten nachkommen. Was Sie und er im Leichenbunker, in Ihrem hoffentlich geschlossenen Büro, selbstverständlich in der Pause oder bei sich zu Hause veranstalten, dass ist nun wirklich ihre Sache, aber ich möchte meine beiden Ermittler nicht knutschend auf dem Flur des Präsidiums sehen müssen, ist das klar?"
Fassungslos, ja geradezu geschockt öffnete Thiel den Mund und starrte zur Staatsanwältin.
„Äh... Ich glaub... Sie ham' da was missverstanden, Frau Staatsanwalt. Boerne und ich sind doch kein... Ham' Sie 'ne Macke? Ich bin doch nicht... schw... also... ich bin kein.... Ich bin nicht SO EINER!", begann Thiel zu motzen und fuchtelte wild gestikulierend mit den Händen in der Luft.
Hatten die alle den Verstand verloren? Er und Boerne ein Paar? Knutschend im Präsidium? Der ging's wohl zu gut, dachte Thiel wütend.
Streng genommen war er nicht mal wütend, dass die Klemm ihm das unterstellte, denn eigentlich war er eher wütend darauf, dass Boerne und er ja kein Paar waren und somit gar nicht erst irgendwo 'rummachen würden.
„Da muss ich der Frau Klemm aber recht geben, Chef. Der Professor hat sich richtig fallen lassen bei Ihnen und so vertraut wie Sie miteinander umgegangen sind, könnte man schon denken, dass... sie halt.... so einer sind und Boerne auch."
Kopfschüttelnd lies Thiel sich zurück an die Lehne plumpsen.
„Sind wir hier bei Verstehen Sie Spaß? Wenn ja, dann ist das alles andere als komisch. Ich glaube bei Ihnen beiden hakt's!"
Die hatten echt 'nen Vogel, fand Thiel und zeigte ihnen dementsprechend auch einen mit dem Finger.
„Boerne und ich.", prustete der Kommissar los und hielt sich lachend den Bauch.
Nadeshda und die Klemm hingegen, sahen sich nur etwas komisch an und zogen synchron eine Augenbraue nach oben.
„Also entweder lügen Sie uns jetzt an oder sich selbst, Thiel."
„Nix da gelogen! Sie verarschen mich doch hier. Was wird denn das für eine Kacke?"

Wie im schlechten Film kam er sich vor, dabei wollte er doch nur hier diesen beknackte Bericht schreiben. Man, wäre er doch nur direkt mit Boerne und Vaddern abgehauen.

„Das Boerne auf Männer steht, dass ist ja sowieso nichts Neues, aber wenn ich an Sie denke, sehe ich da eher eine Frau, aber mit Sicherheit keinen schnöseligen, selbstverliebten Pathologen, der für guten Rotwein sogar seine Oma verkaufen würde.", lachte die Klemm aus vollem Halse.
„Du kannst deine Augen schließen, wenn du etwas nicht sehen willst, aber du kannst nicht dein Herz verschließen, wenn du etwas nicht fühlen willst. Das, Frau Klemm, ist übrigens von Johnny Depp."
Plötzlich begannen beide zu lachend und Thiel verstand sowieso nur noch Bahnhof.
„Im übrigen schulden Sie mir da noch was!"
„Keine Sorge, Wettschulden sind Ehrenschulden."
„Kann mir mal bitte jemand sagen, was hier los ist, damit ich nicht dumm sterben muss?", zischte der Kommissar, dem das Frauenzimmer tierisch auf die Eier ging.
„Chef, ich glaube Sie haben uns schon sehr gut verstanden. Ich würd's Ihnen von ganzem Herzen gönnen. Gut, ich müsste mich erstmal dran gewöhnen, an Boerne auch, aber sie haben's verdient glücklich zu sein!"
Kopfschüttelnd erhob sich Thiel aus seinem Bürostuhl und stemmte die Hände an den Schreibtisch.
„Und was, meine Beziehungsberaterinnen, würden Sie mir vorschlagen, wenn Sie schon mehr über mich zu wissen scheinen, als ich selbst?"
Hatte er das jetzt echt gefragt? War das nicht wie kapitulieren und zugeben?
„Frau Krusenstern fährt sie jetzt nach Hause, dann ziehen Sie sich mal was ordentliches an..." Thiel blickte dabei an sich herunter „und dann kommen Sie endlich in die Pötte! Ist ja nicht mehr mit anzusehen, wie der Professor seit Monaten oder weiß Gott wie langer Zeit um sie 'rum scharwenzelt und Ihnen vergeblich den Hof macht. Wenn Sie dem nicht bald ein Zeichen geben, dann wird der irgendwann vollkommen überschnappen.", führte die Klemm ihre Ansage zu Ende.

****

„Nun schauen Sie doch nicht so beleidigt, Chef. Das ist doch nur zu Ihrem Besten.", versuchte Nadeshda den Kommissar zu beruhigen, welche ihn gerade nach Hause fuhr.
„Ach und hier scheinen alle besser zu wissen, was gut für mich ist oder was?", fragte er bockig.
„Ich weiß nicht, Herr Thiel. Eigentlich hab ich mir da nie Gedanken drum gemacht, aber die Klemm hat mich angesteckt und ich finde, sie hat recht."
Kopfschüttelnd blickte er aus dem Fenster. Wie oft hatte Nadeshda heute eigentlich schon gesagt, dass die Klemm recht hatte? Ging's eigentlich noch? Die Klemm war doch normal der Feind! Na gut, nicht richtig, aber irgendwie ja doch.
„Was meint die überhaupt damit, dass Boerne seit Monaten um mich 'rum tanzt?"
War doch eh schon alles wumpe, jetzt konnte er ja mit ihr drüber reden. Die hatten sich doch eh schon alle ihre Meinung gebildet und eigentlich war es auch nicht so doof, wenn er es sich recht überlegte. Klar, ein Polizist der Männern nicht abgeneigt war, war immer ein Problem, gerade in einem eingestaubten Nest wie Münster, aber so ließ vielleicht auch Nadeshda in Zukunft ihre beknackten Verkupplungsversuche bleiben.
Dabei dachte er beispielsweise an Larissa, die er im Kalinka ganz nett gefunden hatte. Letztendlich hatte Nadeshda sie mit ihm bekannt gemacht, aber natürlich war das wieder Mal alles in einem gigantischen Fiasko geendet. Thiel fand sie wirklich nett, sehr nett, aber am Schluss wollte sie aus Familienehre den Politiker Frieder Lott töten, weil der vor Jahren ihre Schwester vergewaltigt hatte. Zudem, war sie auch noch vorübergehe Boernes Putzfrau gewesen, erinnerte sich Thiel und schüttelte den Kopf.
Joa, Pech mit Frauen hatte Thiel wahrlich genug gehabt und vielleicht hatte er auch ohne Boerne jetzt mal die Gelegenheit, sich am anderen Ufer genauer umzusehen?

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt