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„Ich kann immer noch nicht fassen, dass Jakob nicht mehr lebt."
Luisa, Nadeshda und Thiel saßen am Tisch und der Kommissar legte ein Tonband vor die junge Frau.
„Fürs Protokoll.", murmelte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wieso hast du uns nicht erzählt, dass Jakob und du, also, dass ihr euch näher standet?", fragte Thiel.
„Taten wir ja gar nicht, also nicht so. Jakob und ich kennen uns schon seit dem Kindergarten. Wir haben die selben Schulen besucht und uns für's selbe Studium entschieden. Wir sind... wir waren gleich alt und er war wie ein Bruder für mich. Zumindest eine ganze Weile."
Nadeshda blickte kurz zu Thiel und wendete sich dann wieder Luisa zu.
„Was heißt eine ganze Weile? Warum hat sich das geändert?"
„Jakob und ich sind nach einer Semesterfeier zusammen in der Kiste gelandet, dass ist aber gewiss schon zwei Jahre her. Für mich stand nie zur Debatte, dass daraus mehr werden könnte, aber er hatte das wohl irgendwie nicht ganz so gesehen. Er hat mir irgendwann gesagt, dass er sich in mich verliebt hst, aber für mich stand fest, dass ich ihn als besten Freund nicht missen wollte, er aber niemals für eine Beziehung in Frage kommen würde. Eigentlich hatte Jakob ja gesagt, dass er's versteht und er hat sich mir jetzt auch nicht wirklich weiter aufgedrängt, aber ich hab schon gemerkt, dass die eine Nacht unsere Bindung gecrasht ha. Es war halt einfach nicht mehr so unbeschwert wie früher. Dumm gelaufen, aber konnten die Zeit ja nicht zurückdrehen."
Das machte natürlich auch Sinn, denn wenn Jakob bis zu letzt in Luisa verliebt gewesen wäre, hätte das natürlich das perfekte Motiv sein können - Eifersucht, dachte Thiel und sah zu Nadeshda, die offensichtlich die selben Gedankengänge wie er haben musste.
„Glaubst du, dass er eifersüchtig auf Professor Boerne war?"
„Ja, dass war er mit Sicherheit. Er hat mich meistens mit dem Auto mitgenommen und immer wenn wir eine Vorlesung bei Boerne hatten, dann war der den ganzen Tag so pissig und hat kein gutes Haar an dem gelassen."
„Als ich mit ihm gesprochen habe, hatte ich aber nicht den Eindruck, dass er Boerne nicht mochte. Der hatte eigentlich mit Begeisterung von ihm erzählt.", meinte Thiel und hielt dann aber inne.
Klar, weil er so tun musste als ob. Immerhin wusste der da ja schon längst, was mit Boerne war.
„Der Witz war ja, dass Jakob enorm viel vom Prof hält,...hielt. Der war zwar wirklich schlecht und vermutlich nicht so geeignet für den Beruf, also Jakob, aber Boerne hat bei seinem Facharbeiten gerne mal zwei Augen und Hühneraugen zugedrückt. Jakob hatte nämlich eine Rechtschreibschwäche und wenn ich ehrlich bin, hatte der auch nicht wirklich so viel... Talent. Naja und das Lesen war auch nicht so Seins. Ich weiß nicht, wie oft wir uns die Nächte um die Ohren geschlagen haben, damit ich ihm ein paar Fremdwörter eintrichtern konnte."
„Inkompetenz und Inkontinenz.", stieß Nadeshda hervor und auch Thiel musste ein wenig grinsen.
Eigentlich war es überhaupt nicht witzig. Im Gegenteil. Für Boerne musste das total erniedrigend gewesen sein, aber letztendlich war der Spruch von Jakob und Boernes Konter da drauf schon filmreif gewesen.
„Das erklärt auch das schlecht geschriebene Plakat mit dem substensiert.", sprach Nadeshda weiter und Thiel begann zu nicken.
„Aber mal ehrlich jetzt. Hattest du wirklich keine Ahnung? Du kennst doch Jakobs Handschrift, die von Boerne und die deines Vaters."
„Aber wenn du dich selbst einer Straftat bezichtigen müsstest, musst du natürlich nichts sagen.", ergänzte Nadeshda pflichtbewusst.
„Ich möchte aber aussagen. Ich möchte alles erzählen, was ich weiß. Das ist das mindeste, was ich für Boerne tun kann. Wie geht's ihm eigentlich?"
Die Sorge und Angst spiegelten sich in ihren Augen, dass war wenigstens ein kleiner Trost, meinte Thiel zu sich selbst.
„Eigentlich dürfen wir darüber keine Angaben machen, aber er lebt, dass muss dir fürs Erste genügen.", klärte Thiels Kollegin auf und Luisa wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.
„Wie geht's deinem Vater?", lenkte Thiel ein wenig ab.
„Ich war noch nicht bei ihm. Ich weiß nicht, wie ich mit ihm umgehen soll. Ich hab keine Ahnung, was er getan hat und warum er da mit involviert war.", erklärte Luisa und atmete frustriert durch.
„Das werden wir hoffentlich bald herausfinden. Zurück zu Jakob. Wusste der, dass du Nachhilfe bekommst oder... anders gefragt.... Hast du öfter Nachhilfe bekommen und wenn ja, wie fand er das?"
Thiel wollte es jetzt einfach wissen. Es konnte ja schließlich nicht sein, dass Jakob von heute auf morgen zur tickenden Zeitbombe mutiert war.
„Da müsste ich jetzt zu weit ausholen."
„Also ich hab Zeit!", antwortete Thiel mit einem halben Grinsen und machte mit den Armen eine eindeutige Geste, in dem er auf sein Krankenbett deutete.
„Jeder wusste dass ich nach den Vorlesungen oft noch bei Boerne war. Er hat mir ins Gewissen geredet, von wegen ich sollte mich mehr anstrengen und nicht alles so lieblos auf's Papier kritzeln. Ich hab da ehrlich gesagt auch nicht drüber nachgedacht und weil ich halt auf Boerne abfahre, naja..." Luisa machte eine kurze Denkpause. „Ich weiß ja, dass Boerne bei meinen Kommilitonen auch total angesagt ist und ein paar mal hatten mich welche angesprochen, ob ich mit dem Prof ein besonderes Verhältnis hätte, weil der sich danach oft mal Zeit für mich genommen hatte... Mein Gott, ich wollte angeben und da die wie gesagt wussten, dass ich auf ihn stehe, hab ich halt immer extra dick aufgetragen und denen natürlich auch gesteckt, dass Boerne mir privat Nachhilfe geben würde."
„Und hat er das? Hat Boerne dir jemals das Gefühl gegeben, dass er auch an dir interessiert sein könnte?"
Eigentlich wollte Thiel das lieber nicht wissen, doch was hätte er auch für eine andere Wahl gehabt?

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt