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Nachdem die Musik aus war und der Film begonnen hatte, lag Thiel stocksteif neben Boerne und traute sich kaum zu atmen. Mit bedacht hatte er sich neben den Professor gelegt und achtete tunlichst darauf, den anderen nicht unnötig zu berühren.
Gott sei Dank hatte Boerne das Kopfteil etwas nach oben gestellt, denn so kam er sich nicht endgültig deplatziert vor.
„Noch ein Zentimeter weiter weg von mir und du fällst aus dem Bett.", merkte Boerne amüsiert an, dem das wohl ebenfalls nicht entgangen war.
„Is' ja dein Bett."
„Jetzt werden wir aber wieder einsilbig. Ich hab nichts ansteckendes oder etwaiges. Du kannst ruhig näher rutschen."
Unsicher blickte er zu Boerne, der ihn so anlächelte, als wolle er ihm Mut zu sprechen und nur sehr zögerlich kam der Kommissar der Einladung nach.
„Außerdem haben wir immerhin ein Date, also geht das doch vollkommen in Ordnung."
Stimmt, wenn man es so betrachtete, dann klang es wirklich nicht mehr ganz so befremdlich.

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Das ausgerechnet nach der Hälfte des Films Thiels Handy klingelte und er vor die Tür ging, um mit Nadeshda zu telefonieren, kam Boerne sehr entgegen, da er sowieso auf die Toilette musste.
Als er aus dem Badezimmer kam, blickte er ein weiteres Mal auf den liebevoll gedeckten Tisch und musste schmunzeln.
Wenn er ehrlich war, hatte er Thiel beileibe nicht so viel Geschmack zugetraut, aber vor allem hatte er nicht damit gerechnet, dass Thiel das überhaupt durchgezogen hatte.
Für Boerne war es, wie so meist, nur ein kleines Wortgefecht unter Freunden gewesen, welchem er keine tiefere Bedeutung zugemessen hatte. Um so überraschter war er eben dann gewesen, als Thiel hier solche Geschütze auffuhr.
Eigentlich musste der Professor über sich selbst den Kopf schütteln, denn spätestens als der alte Thiel mit ihm spazieren gehen wollte, hätte er den Braten nun wirklich riechen müssen.
Sicher, anfangs war er ja auch misstrauisch gewesen, doch als dieser irgendwas von Schwiegersohn in Spee faselte, dachte er, dass er ihm den Gefallen tun wollte.
Ob Herbert Thiel auch glaubte, dass sie ein Paar waren?

Lächelnd betrachtete er die Rosen auf dem Tisch, nahm eine in die Hand und roch schließlich daran.
Boerne war sich sicher, dass diese schönen Exemplare nicht lieblos bei dem nächsten Discounter gekauft wurden, sondern mit Sicherheit aus einem Blumenladen stammen mussten.

Das Thiel noch immer nicht zurück war, nutzte Boerne dazu, um sich an den Bettrand zu setzen und hatte jetzt endlich Zeit, die Pflanze dort zu betrachten.
Ob es einen besonderen Grund gab, weshalb Thiel ausgerechnet eine Anthurie ausgewählt hatte? Oder hatte ihn dieses Gewächs einfach nur gefallen?
Boerne musste grinsen. Thiel hatte bisher noch nie den Anschein gemacht, dass er von derartigen Pflanzen eine Ahnung besaß und dass dieser einen grünen Daumen hatte, konnte man nun wirklich nicht behaupten. Wenn er genauer darüber nachdachte, gab es keine Pflanze, welche im Hause Thiel bisher länger als eine Woche überlebet hatte.
Schade, denn wenn der wüsste, dass diese Schnittblume wie gemacht für den Professor war...., immerhin sagte man ihr nach, dass sie ein perfektes Geschenk für einen stilbewussten und einzigartigen Menschen sei, welcher Boerne ja zweifelsohne war.

Zufrieden legte er sich wieder ins Bett und blickte an sich herunter.
Ein Date in Jogginghose, viel zu eng anliegendem T-Shirt und geschienten Arm hatte er sich ja dann nicht mal in seinen kühnsten Träumen ausmalen wollen und doch steckte er gerade mittendrin.

Hätte ihn der Andere nicht vorher darüber in Kenntnis setzen können? Vielleicht hätte er sich dann wenigstens ein Hemd oder etwaiges beschaffen lassen.
Plötzlich schüttelte Boerne über sich selbst den Kopf. Das war ja doch irgendwie Blödsinn, denn wenn er so darüber nachdachte, hätte er ja fest damit gerechnet, dass Thiel selbst auf einem Date in St. Pauli T-Shirt aufschlagen würde und musste nun breit grinsen.
Ja, Thiel hatte sich für seine Verhältnisse ganz schön in Schale geworfen, dass war ihm wirklich nicht entgangen.
Zugegeben fand der Professor, dass Thiel sogar richtig klasse aussah und wenn er bedachte, dass der das nur für ihn getan hatte, tauchte das Herzklopfen wieder auf, welches für ihn ohnehin schon so lange nicht mehr wegzudenken war.

Anfangs hatte er sich dagegen gesträubt, sich eingeredet, dass es natürlich nur daran lag, dass Thiel so präsent in seinem Leben war, doch lange hatte er nicht gebraucht, um dahinter zu kommen, dass sein flimmerndes Gefühl im Magen die Schmetterlinge waren, die er immer versucht hatte zu ignorieren.
-sich damit selbst belog!
Kapituliert hatte er, vor sich selbst.
Eigentlich war es ihm nicht mal so schwer gefallen, denn Boerne war sich sicher, dass Thiel nie davon erfahren würde und überhaupt konnte er ihm doch sowieso nicht das Herz brechen, dafür hatte sich der Professor zu gut im Griff und bot somit auch keine Angriffsfläche.
Wie es dazu gekommen war, dass er sich eingestehen musste, dass er sich ausgerechnet in seinen untersetzten, launischen Nachbarn verliebt hatte, dass wusste Boerne noch genau.
Damals, war er wie jetzt in seinem Bett gelegen, nach der Nacht, in welcher er und Thiel Bruderschaft getrunken hatten. Offensichtlich hatte der Kommissar einen Blackout gehabt, denn eigentlich hatten sie da schon beschlossen, dass leidige Sie über Board zu werfen und sich endlich zu duzen. Boerne hingegen hatte es nicht vergessen, doch da er sich dank seines Alkoholkonsums reichlich daneben benommen hatte, wollte er das Thema einfach nicht mehr anschneiden.
Stattdessen war er, einen Tag später, wie erwähnt in seinem Bett gelegen und hatte gedanklich reflektiert, wie es überhaupt soweit kommen konnte, dass sie sich an diesem Abend so unglaublich Nahe gekommen waren und als er seine Augen geschlossen hatte, wusste er warum.
Unzählige Dialoge und Bilder tauchten damals in seinen Gedanken, ja wirklich in seinem inneren Auge auf und er hörte gewisse Sätze, als wären sie erst gerade ausgesprochen worden.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt