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Der Chefarzt war alles andere als zufrieden, als sie den Verband von Thiel wechselten und die Naht begutachtet hatten.
Der Kommissar solle sich doch mehr auf seine Genesung, als auf die Verbrecherjagd konzentrieren, hatte der gemeint. Das Thiel nicht laut los gelacht und ihm den Vogel gezeigt hatte, war wirklich alles gewesen.
Für die Anderen war das doch alles nur ein Spaß, viel mehr waren Thiel und Boerne vermutlich nur die Nephrektomie auf der 5 und der Fast-Exitus auf der 9, dachte Thiel und schnaubte finster, als der Arzt das Zimmer verlassen hatte.
„Arschloch.", brummte er vor sich hin und kniff die Augen zusammen.
„Tja Chef, dass war's dann wohl mit Normalstation und weiteren Verhören.", meinte Nadeshda, die neben Thiel auf dem Stuhl saß.
„Suchen Se' Stress?", fragte Thiel und warf nun auch noch seiner Kollegin einen mürrischen Blick zu.
„Blödsinn Herr Thiel. Ich mein doch nur. Sie sollten sich echt ein bisschen zurücknehmen. Ich brauche Sie doch noch."
Das fand Thiel aber dann schon echt reizend von seiner Kollegin, weshalb sich sein böser Gesichtsausdruck wieder verzog.
„Ich hab mich gefragt, warum wir nicht nachgehakt haben, weshalb Luisa unsere Frage nicht beantwortet hat. Mir ist beim Schreiben des Protokolls aufgefallen, dass wir sie belehrt haben und irgendwie wurde das Thema gewechselt."
Thiel freute sich, dass Nadeshda sofort auf den Fall zurück kam und ihn nicht wirklich außen vor ließ.
„Meinen Sie das war Absicht?", fragte Thiel und stellte das Kopfteil des Bettes nach oben, um seine Kollegin besser ansehen zu können.
„Weiß ich nicht. Ist mir einfach nur aufgefallen."
Thiel begann zu nicken. Jetzt wo die Kommissaranwärterin das so sagte, fiel auch ihm diese Lücke auf.
„Und wissen Se' was mich noch brennend interessieren würde?"
Nadeshda zuckte ahnungslos mit den Schultern.
„Weiß Boerne von dem Foto mit Luisa? Wenn ja, wie hat er davon erfahren? Wie hat er da drauf reagiert und warum hat der mir nie was davon erzählt?"
Klar wusste Thiel, dass sie jetzt auch nicht so dicke waren, dass sie sich solche Dinge einfach so anvertraut hätten, aber Boerne war ja eigentlich schon einer, der ganz gerne Mal, nach ein paar Gläsern Wein, aus dem Nähkästchen plauderte.

Seltsam fand Thiel das, sehr sehr seltsam.

„Jetzt warten wir vielleicht einfach mal das Gespräch mit Herrn Sommer ab. Wir können sie ja danach immer nochmal befragen oder?"
„Kann man den denn jetzt schon Vernehmen?", fragte Thiel interessiert nach.
„Nein, der steht noch immer unter Schock!"
„Ach - wir aber nicht!?!", brummte er mit ironischem Unterton und rollte mit den Augen.

****

Nadeshda hatte Thiel dann noch berichtet, dass die Klemm doch tatsächlich ein Einsehen mit den Kommissaren hatte und den Fall Dobler an ihre Kollegen weitergegeben hatte. Eigentlich wollte Thiel sowas immer vermeiden, doch dieses Mal war er wirklich erleichtert darüber.

Nachdem Nadeshda gegangen war, aß Thiel seine Suppe, welche man ihm auf den Tisch gestellt hatte. Irgendwie schmeckte es ihm nicht, aber der Hunger trieb es dann doch in seinen Körper.
Kaum hatte er den Löffel auf das Tablett gelegt, klopfte es an seiner Zimmertür und Frau Haller betrat den Raum.
„Stör ich?"
Thiel begann zu Lächeln und winkte die zwergenhafte Assistentin von Boerne zu sich.
„Sie sehen beschissen aus."
Das waren ja wirklich nette Komplimente, weshalb Thiel zu lachen begann.
„Danke, dass kann ich aber nicht zurück geben.", entgegnete er keck.
„Sie alter Charmeure. Lassen Sie das bloß nicht meinen Chef hören, sonst wär hier aber was los.", gluckste sie und setzte sich auf den leeren Stuhl neben Thiels Bett.

Der Kommissar war froh, dass er Alberich nicht auch noch die ganze Geschichte erzählen musste, denn dass hatte Nadeshda offensichtlich schon für ihn erledigt und so war Haller bereits auf dem neuesten Stand der Dinge.
„Frau Krusenstern hat aber wirklich ganze Arbeit geleistet. Aus dem Winkel, aus welchem sie geschossen haben muss, war es eigentlich kaum möglich, jemanden zu töten."
Thiel versuchte sich die Situation ins Gedächtnis zu rufen, doch alles was er da sah, war Boerne der am Boden lag und die Pistole, welche an seine Schläfe gepresst war.
„Der Schuss ging direkt in die Lunge. Der Mann hatte gar keine Chance."
Irgendwie empfand es Thiel als Genugtuung, dass Jakob die ganze Sache nicht überlebt hatte. Trotzdem schwang da noch etwas anderes in seinen Gefühlen mit. Es war irgendwie eine Kombination aus Entsetzen und sowas wie Mitleid. Natürlich hatte er es nicht anders verdient, aber wäre man der ganzen Angelegenheit früher auf die Schliche gekommen, wäre das alles vielleicht nie so tragisch zum Abschluss gekommen.
„Seine Eltern waren gestern Abend bei mir in der Rechtsmedizin. Das war nicht sonderlich schön zu erleben, aber mein Mitgefühl hielt sich dennoch in Grenzen."
Warum klang das nur so, als würde sich Haller dafür sowas wie entschuldigen?
„Nachvollziehbar. Dieser Junge hätte ihren Chef fast das Gehirn aus dem Kopf gepustet. Im Grunde wär das eh nur noch das i-Tüpfelchen gewesen, denn auch ohne den Kopfschuss, hat der Typ ganze Arbeit geleistet.
Darf ich Sie mal was fragen Frau Haller?"
Silke nickte und verschränkte ihre Hände miteinander.
„Sie wissen ja, dass ich ein Volldepp bin und von so Medizinkram keinen Furz verstehe, aber wie konnte das mit Boernes Nieren passieren?"
Diese Frage brannte ihm ja wirklich schon lange unter den Fingernägeln und irgendwie hatte er gestern vor der Spende den Moment verpasst, sich dass von dem Onkel Doktor erklären zu lassen.
Gerade als Alberich so richtig schön losgelegt hatte, bemerkte sie Thiels ahnungslosen Gesichtsausdruck.
„Entschuldigen Sie... Ich war grad so schön in Schwung", meinte sie und schwang mit den Armen umher, was Thiel zum Lachen brachte.
„Wer könnt's Ihnen verdenken, bei so einem Chef als Vorbild?!"
„Also, wenn wir davon ausgehen, dass der Professor, nehmen wir an, circa 40 Stunden dort in diesem Keller verbracht hat, dann können wir also auch davon ausgehen, dass er weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich genommen hat. Die Nieren, aber auch alle anderen Organe brauchen aber Wasser, um richtig funktionieren zu können. Vermutlich war es so, dass seine Nieren auf Grund mangelnder Flüssigkeit nicht mehr richtig arbeiteten. Ein Körper kann aber schon ordentlich was wegstecken, so ist es ja nicht, aber wenn man dann bedenkt, welche äußeren Einflüsse noch auf diesen Körper eingeprasselt sind und die massiven Gewalteinwirkungen, da braucht man sich dann nicht zu wundern. Ich habe gehört, dass der Chef ein massives Bauchtrauma erlitten hat, sowas entsteht oft mal bei Verkehrsunfällen oder aber auch bei stumpfer Gewalteinwirkung. Gehen wir also davon aus, dass Herr Boerne nichts zu trinken bekommen hat und zudem noch aufs übelste malträtiert wurde, dann liegt die Lösung eigentlich schon auf der Hand. Nun wissen wir ja nicht, ob es einfach nur ein Nierenversagen war oder ob die Organe einfach so stark verletzt waren, dass sie ihre Funktion nicht mehr nachgehen konnten, sicher ist aber, dass diese Transplantation sein Leben gerettet hat. Ohne Nieren kein Leben und ohne Boerne kein Thiel."

Wieso klang Haller eigentlich nur so poetisch?

„Und man darf auch nicht außer Acht lassen, dass er Unmengen an Blut verloren hat, wie man anhand des Tatorts sehen konnte. Ich denke aber, dass das wohl mit der Schusswunde an seinem Arm zu tun hatte. Wahrscheinlich hat Jakob die Arterien erwischt, als er ihn angeschossen hat. Länger hätte es Boerne da drin ohnehin nicht mehr ausgehalten. Wenn er ihn nicht erschossen hätte, wäre er entweder an multiplem Organversagen verstorben oder ganz einfach verblutet."

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt