12.

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„Was?", schluchzte sie.
„Ja, WAS! Was hast du dazu zu sagen? Raus mit der Sprache!"
Nadeshda drückte Thiel auf den Stuhl zurück, da dieser schon wieder kurz davor war aufzustehen, um Rumpelstilzchen zu spielen.

„Ich war das nicht. Ich mach sowas nicht. Oh mein Gott, der arme Karl-Friedrich."
Entgeistert aber verblüfft trafen sich die Blicke von Thiel und Nadeshda.
„Vielleicht weiß die davon ja wirklich nichts, Chef. Vielleicht hat es jemand mitbekommen und sich an Boerne gerächt?", flüsterte Nadeshda und Thiel zuckte mit den Schultern.

„Hinsetzen Fräulein!"
Er reichte ihr ein Taschentuch, tat er ungern, aber er hatte ja schließlich Anstand und blickte sie eindringlich an.
„Wenn du es nicht warst, wer war es dann?"
„Ich weiß es nicht. Ich weiß es doch wirklich nicht! Ich würde Boerne sowas nie antun! Ich lieb ihn doch!"
Es klang so ekelhaft falsch in Thiels Ohren, dass diese junge Frau Worte wie Liebe und Boerne in einem Atemzug verwendete, doch wieder musste er sich selbst schimpfen und eingestehen, dass seine privaten Gefühle hier einfach nicht hingehörten.

„Wem hast du dieses Bild gezeigt? Wer weiß davon?", fragte Nadeshda und verschränkte die Arme vor ihrem Körper.
„Niemandem. Das heißt, ich hab es als Bildschirmschoner. Trotzdem, ich wüsste niemanden, der ungefragt an mein Handy geht."
„Wohnst du noch zu Hause oder hast du irgendwelche Mitbewohner?", fragte Thiel möglichst ruhig.
„Ich wohne bei meinen Eltern."
„Und was hast du gemacht, nachdem Boerne dich nach Hause gebracht hat?"
„Da war ich duschen oder so."
„Oder so... Aha und dein Handy?"
Thiel war langsam wirklich genervt. Boerne behauptete immer, dass man ihm alles aus der Nase ziehen musste, aber diese Luisa, die war noch fünf Tacken schlimmer als er.
„Das hatte ich mit..."
Nadeshda und Thiel merkten sofort, dass Sie log, denn plötzlich blickte sie nur noch auf ihre Hände und ihre Gesichtsfarbe hatte sich auch verändert.
„Lüg uns nicht an!", mahnte Thiel.
„Das ist die Wahrheit."
„Mir langt's jetzt gleich mit dir. Raus mit der Sprache oder willst du, dass Boerne vielleicht stirbt?"
Schon wieder hatte er kräftig auf den Tisch geschlagen, dass sogar die Klemm zusammen zuckte, die noch immer von außen dem Verhör folge leistete.
„Was hat's mit dieser Vergewaltigung auf sich? Jetzt red!"

Plötzlich knickte Luisa ein. Anscheinend hatten Thiels Worte und heftige Reaktionen etwas in ihr wachgerüttelt und sie begann wieder zu weinen.
„Ich hab das doch alles nicht gewollt. Ich hab nicht nachgedacht. Scheiße ey!"
„Luisa, jetzt bitte mach gefälligst den Mund auf. Du siehst doch dass Boerne verletzt ist. Wer weiß, was dem noch alles passiert? Schau mal wie der blutet. Stell dir vor, derjenige malträtiert den weiter. Der verblutet doch. Du als angehende Rechtsmedizinerin solltest das doch noch besser wissen als wir."
Nadeshda klang sehr ruhig, fast mütterlich, worum Thiel so unfassbar froh war. Es war wichtig, dass er sie als Ruhepol hatte, denn sonst hätte er vielleicht schon den ein oder anderen Mord im Verhörsaal begangen.

„Und wenn ich mich selbst einer Straftat bezichtigen müsste?"
„Dann musst du nichts sagen Luisa, aber wenn dir wirklich was am Professor liegt, dann solltest du jetzt endlich die Wahrheit erzählen. Wie alt bist du? 22?"
„Ja gerade geworden.", schniefte die junge Frau.
„Schau mal. Es gibt Zeugen, die dich sowieso mit Boerne gesehen haben. Du streitest das zwar nicht ab, aber wenn du jetzt nicht redest, dann bist du automatisch dran, wegen unterlassener Hilfeleistung und wenn es noch blöder läuft, kommt auch noch Mittäterschaft dazu. Du hast dein Leben noch vor dir. Wenn du jetzt selbst ein Geständnis ablegst, kann sich das positiv auf das Strafmaß auswirken. Bitte. Schau doch wie mein Kollege leidet. Es geht hier um seinen besten Freund, seinen Augapfel und auch um den Mann den du liebst. Sprich mit uns."
Thiel war fassungslos. Er hatte Nadeshda ja einiges zugetraut, aber so ein psychologisches Gespräch zu führen, dass war nicht auf seinem Schirm.
Vielleicht hätte er bei den ganzen Fortbildungen und Schulungen mal lieber mehr aufgepasst, statt ständig mit sich selbst Käsekästchen zu spielen.

„Jetzt sag's endlich oder soll ich dir erzählen, wie es gewesen ist?", schnauzte Thiel wieder los, um die Sache voran zu treiben.

Nadeshda griff über den Tisch nach der Hand von Luisa und drückte diese sanft.
„In manchen Fächern bin ich besonders schlecht und wenn Boerne meine Arbeiten korrigiert hat, war das jedes Mal die totale Pleite. Ich bin auf all seine Vorlesungen gerannt, aber gut, nur zuhören oder anwesend sein hilft halt auch nicht wirklich. Boerne hat ein paar mal mit mir geschimpft und mir knallhart gesagt, dass ich verkacke wenn ich so weiter mache. Naja und dann hab ich mich immer noch ein bisschen dümmer gestellt als ich tatsächlich bin, weil ich gemerkt hab, dass den das wurmt. Boerne duldet keine Versager und will, dass wir alle gute Rechtsmediziner werden. Ich hab ihn gebeten, dass er mir Nachhilfe gibt. Naja, eigentlich wollte ich ihn dadurch näher kommen, hätte ja auch klappen können."
„Und weiter?"
Thiel war ungeduldig und hätte ihr am liebsten jedes Wort heraus geprügelt nur um endlich Fakten zu haben. So kannte er sich wirklich nicht.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt