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Thiel hatte keine Ahnung, wie er hier reingeraten konnte. Eigentlich wollte er doch einfach nur seinen Kaffee zu Ende trinken und warten, bis Uli mit Boernes Waschzeremonie fertig war, doch da hatte der Kommissar die Rechnung ohne die dickliche Schwester gemacht.
'Kannst du mir mal ein Handtuch aus dem Schrank holen, hatte sie ganz unverfänglich gefragt, weshalb Thiel mit einem Brummen aus dem Bett gestiegen war und ihr das Besagte Teil brachte.
'Kannst du mal eben vorsichtig den Arm anheben?', hatte sie ihn dann allen Ernstes auch noch gebeten und spätestens da, hätte ihm klar sein müssen, dass er sich in Mitten eines Akts befand, welcher ihm so gar nicht gefallen wollte.
Während Thiel gerade noch überlegte, wie er sich möglichst unauffällig aus der Affäre ziehen konnte, ließ Uli den Waschlappen weiter über Boernes Oberkörper wandern.
„Zu zweit geht's eh schneller! Außerdem... was gibt's denn besseres, als wenn der eigene Lebensgefährte sich beteiligt und dem anderen so Nähe zukommen lässt?"
Fast hätte sich der Kommissar an seiner eigenen Spucke verschluckt, denn Ulis Worte trafen ihn genauso unvorbereitet, wie die ganze Angelegenheit an sich.

Ob es wirklich so klug war, hier alle zu belügen? Boerne würde ihm vermutlich den Hals umdrehen und auf seinem Seziertisch in alle Einzelteile zerlegen, wenn der wüsste, dass er gerade dabei war, mit dem Handtuch über seinen Oberkörper zu streichen.

Obwohl er sich am liebsten mit Händen und Füßen gewehrt hätte, wollte er sich die Blöße dann doch nicht geben und förderlich wäre es vermutlich auch nicht gewesen, wenn Uli misstrauisch geworden wäre.

„Was is'n das alles?", fragte er stattdessen, um irgendwie die unangenehme Stille zu brechen.
„Das was ich zu Beginn weg gemacht habe, sind die Elektronen für das EKG."
Thiel nickte, das hatte er aber gar nicht gemeint, denn ein EKG hatte er ohnehin selbst schon mal bekommen.
„Nö, ich mein' die Schläuche da."
Er zeigte mit dem Finger darauf und Uli begann zu Lächeln.
„Ach das meinst du. Na das nennt sich Drainage. Da läuft überschüssiges Sekret und Wundflüssigkeit ab. Das ist normal nach einer Operation."
„Und warum hatte ich das nicht?", fuhr Thiel weiter fort.
„Hattest du, aber bei dir kam nicht viel, weshalb die Ärzte die Drainage noch am selben Tag wieder entfernt haben."
Thiel konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, aber vermutlich musste er da fest geschlafen haben.
„Und wie lange bleibt das da dran?"
„Das können wir nachher gleich ziehen. Siehst du, da läuft nichts mehr nach."

Eigentlich war es ja doch ganz interessant, weshalb Thiel es dann auch gar nicht mehr so schlimm fand. Zumindest lenkten Ulis Erklärungen davon ab, dass er hier eigentlich verbotene Zone betreten hatte.

„Jetzt dreh' ich ihn mal zu mir, dann könntest du seinen Rücken waschen und abtrocknen."
Wenig begeistert davon, ließ er sich von Uli den Waschlappen in die Hand drücken atmete schwer auf.
„So Herr Professor, jetzt geht's einmal zu mir.", kündigte Uli an und drehte ihn gekonnt zu sich, so dass Thiel beste Sicht auf seinen Rücken genoss.
Als er aber sah, dass der Rücken genauso von Hämatomen überseht war, wie auch der Oberkörper, musste er schlucken.
Vorsichtig begann er Boernes Rücken zu waschen und ließ den Lappen so sanft wie eine Feder über dessen Kehrseite wandern, als hätte Thiel Angst gehabt, er könnte Boerne damit weh tun.
„Was hat der denn da am Rücken?", fragte Thiel und deutete auf einige Pflaster.
„Das ist ein Periduralkatheter."
„Peri was fürn Ding?"
Boerne würde jetzt bestimmt fassungslos schauen und ihn mit ausgestrecktem Zeigefinger belehren, dass sowas ja zur Allgemeinbildung gehören würde, dachte sich Thiel und musste innerlich grinsen.
„Das ist ein Schmerzkatheter wenn man so will. Sprich, eine Pumpe, die regelmäßig starkes Schmerzmittel injiziert und einen gewissen Teil des Körpers, naja nennen wie es lähmt. Sowas macht man meistens dann, wenn die Schmerzen für einen Menschen zu unerträglich werden würden. Selbst wenn der Professor also jetzt wach werden würde, würde man den PDK nicht einfach entfernen. Deshalb auch der Blasenkatheter, weil er ohnehin nichts spürt.", erklärte Uli pflichtbewusst und freundlich.
„Also quasi kastriert auf unbestimmte Zeit?", rutschte es Thiel heraus.
„Ja sehr charmant ausgedrückt, aber wenn man so will, ja."
Beide begannen zu lachen, wurden aber schnell wieder Ernst. Es war halt wirklich keine lustige Angelegenheit.
„Und die Nadel steckt da im Rückenmark oder wie?"
„Ganz richtig."

****

Thiel war froh, als sie durch ein Klopfen unterbrochen wurden, denn so konnte er Uli alles andere überlassen. Der Kommissar war ohnehin nicht scharf drauf gewesen, auch noch den Rest von Boernes Körper zu entdecken, zumindest nicht unter solchen Vorraussetzungen.
Als ihm bewusst wurde, was er da gerade für einen Gedanken hatte, spürte er eine gewisse Röte in seinem Gesicht aufsteigen und schüttelte über sich selbst den Kopf.

Thiel trat aus dem Zimmer heraus und war überrascht, als Herbert vor ihm stand.
„Morgen Frankie.", begrüßte er ihn, mit einem warmen Lächeln.
„Moin Vaddern.", entgegnete Thiel, zog seinen Kittel und die Handschuhe aus und widmete sich der Händehygiene.
„Was treibst du dich denn so früh hier herum?", hakte Thiel nach und trocknete sich die Hände.
„Na was denkst du denn? Ich wollte natürlich wissen, wie es meinem Sohn und Schwiegersohn geht."
Während Thiel Senior über beide Backen grinste, stöhnte Thiel genervt auf und rollte mit den Augen.
„Lass mich raten, du hast Gustav getroffen."
„Ganz genau. Ich hab ihn gestern mit dem Taxi gefahren. Mensch Frank, wieso hast du das deinem alten Herren denn nicht eher erzählt?", fragte Herbert und täuschte sich Thiel oder schwang in der Stimme seines Vaters tatsächlich ein vorwurfsvoller Ton mit?
Sofort hakte Sich Thiel bei seinem Vater ein und zog ihn auf direktem Wege aus der Intensivstation.

****

Im Hotelpark angekommen, setzte sich das Vater-Sohn Duo auf die nächstbeste Bank und noch immer, schien Herbert auf eine Erklärung seines Sohnes zu warten.
„Man Vaddern, eh. Boerne und ich sind weder verliebt noch verlobt und erst recht nicht verheiratet.", schoss Frank Thiel los und sah seinen alten Herren dabei eindringlich an.
„Ach komm schon, ich hab das doch gleich gemerkt, dass zwischen euch was anders ist. Ich bin nur enttäuscht, dass es alle vor mir erfahren haben."
„Du hast ja wohl 'ne Macke! Nochmal, Boerne und ich sind einfach nur Nachbarn."
Thiel hielt inne, denn das klang selbst in seinen Ohren irgendwie lächerlich.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt