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Betretenes Schweigen hatte sich im Zimmer breit gemacht. Warum Boerne nichts sagte, dass konnte Thiel nur vermuten. Womöglich war der Andere doch beleidigt oder so, aber eigentlich hatte er nicht den Anschein danach gemacht. Vielleicht war ihm allgemein alles zu viel, dass konnte ja auch gut sein. Boerne war eben noch schlapp und nur wenige Stunden wieder ansprechbar. Thiel wollte nicht riskieren, dass sich sein Nachbar weiter aufregen musste, weshalb er sich in seinem Bett verkrochen hatte und die Augen schloss.

Frank, wie das klang aus Boernes Mund. Zwar hatte der das ja schon ein paar mal gesagt, als Gustav zu Besuch war und sie zum ersten Mal Ehepaar spielten, doch das jetzt wieder zu hören, dass fühlte sich merkwürdig an. Leider nicht merkwürdig im Sinne von 'Oh Gott, klingt das beschissen', nein eher im Sinne von 'Bitte sag das doch ab jetzt öfter'. Aus Boernes Mund klang sein Name wie eine kurze Melodie, ein Hauch von Urlaub und es hatte etwas sehr intimes und vertrautes.
Boerne war Thiels Vertrauensperson, da hatte er es wieder und wenn sich Thiel nicht irrsinnig täuschte, dann war auch er die von Boerne. Ja, dass konnte nicht anders sein.

Karl-Friedrich, dass war so überhaupt kein Name, dem Thiel gefallen wollte und irgendwie schaffte er es auch nicht so recht, sich an diesen Namen zu gewöhnen. Klar gehörte der zum Professor, wie seine Anzüge oder die schicken Flitzer, aber Boerne war nun mal eben Boerne und nicht Karl-Friedrich.
- Nicht für Thiel.
Wie der Name auch schon klang. Karl alleine wäre auch nicht der Renner, genauso wenig wie Friedrich, doch was sollte man aus diesen Namen noch rausholen? Fritz? Charlie?
Thiel schüttelte den Kopf. Nein, dass war alles nicht richtig. Komisch fand er aber, dass ihm Kosenamen wie Schatz, Pussibärchen und Schnuffelchen so einfach über die Lippen gingen, dabei war dass noch nie seine Art gewesen. Susanne hatte er meist beim Vornamen genannt. Hin und wieder kam ihm auch ein 'Süße' über die Lippen, aber so richtige kitschige Namen, die man sich halt so gab, wenn man komplett verschossen war? Nein, sowas gab es bei Thiel noch nie und eigentlich dachte er sowieso, dass er aus dem Alter längst raus sei.
„Thiel?"
Der Kommissar drehte den Kopf und blickte in Boernes Gesicht, welches ihm zugewandt war.
„Hm?"
„Sie haben mir das Leben gerettet."
„Nein, Nadeshda. Sie hat geschossen.", gab Thiel zu und blickte ihn an.
„Bis ich reagiert hätte, wären sie tot gewesen."
Ja, so war das gewesen. Enttäuscht von sich selbst schloss Thiel die Augen. Erst jetzt war ihm bewusst geworden, dass er so in Schockstarre war, dass er es vermutlich ungewollt zugelassen hätte, dass Jakob den Professor erschossen hätte.
Sofort war die Szene in seinem Kopf präsenter denn je. Er sah die Angst in Boernes Augen, den Schmerz, aber auch die Erleichterung, dass Thiel endlich da war. Er sah die Worte in seinen Augen, 'Ich schaffs nicht mehr lange... rette mich.' und Thiel war einfach da gestanden und Nadeshda hatte reagiert.

„Weinen Sie... Thiel?"
Der Forensiker klang wirklich bestürzt.
„Im Leben nicht!", blaffte Thiel und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Sie weinen, ich seh's doch."
„Wie wollen Sie das denn sehen ohne Brille?", pampte Thiel schnippisch.
„Nun kommen Sie schon rüber, Thiel."
Boerne streckte den Arm aus und machte eine einladende Geste.
Eigentlich wollte Thiel gar nicht, doch sein Körper hörte in den letzten Tagen generell nicht auf ihn, weshalb er neben Boerne zum Sitzen kam.
„Ich weiß, Sie wollen... es nicht hören, aber... ich danke Ihnen trotzdem.... Für alles. Sie waren da und... sind jetzt da.... Sie sind mein.... einziger Freund, Thiel. - Mein einzig echter."
Boerne griff nach Thiels Hand, die auf seinem Oberschenkel ruhte und drückte diese ganz zart.
„Und ich weiß auch... wie Sie es hassen, ... wenn ich Sie... anfasse."
Da hatte der Pathologe nicht unrecht, aber in den letzten Tagen, hatte sich Thiel nichts sehnlicher gewünscht, als das Boerne ihn endlich wieder ungeniert, distanzlos berührte ob es ihm gerade passte oder nicht.
„Vielleicht möchte ich ja, dass es gerade so ist, wie es ist. Ich meine, ähm."
Thiel erschrak über seine eigenen Worte.
Okay, jetzt bloß nicht die Haltung verlieren.
„Die letzten Tage waren halt schon 'n büschen heftig so... Das lässt mich Eisklotz auch nicht kalt."
„Sie sind kein... Eisklotz. Vielleicht etwas... reserviert und ... unnahbar, aber in Ihrem... Herzen Thiel..." Boerne legte seine Hand an Thiels Brust „... sind Sie genauso verle.....verletzlich wie alle anderen. Sie.... haben ein gutes... Herz, Thiel."
Mit diesen überraschenden Worten, brachte Boerne Thiel zum Lächeln. Kein halbes, nein, ein ganzes Lächeln legte sich auf das Gesicht des Kommissars und wenn er Boerne früher bestimmt widersprochen hätte, konnte er jetzt gar nicht anders, als dies als Kompliment aufzufassen.
„Sie sollten schlafen Boerne."
Nickend schloss der Professor die Augen und Thiel überlegte ob er wieder zurück in sein Bett kriechen sollte. Dies kam ihm aber auch irgendwie doof vor, weshalb er einfach sitzen blieb und sich wieder vorsichtig Boernes Hand näherte.
Natürlich konnte es passieren, dass der sie sofort wegzog, doch ein Versuch war es wert und in den letzten Tagen, hatte es Boerne schließlich auch irgendwie geholfen.
Sanft legte sich seine Handinnenfläche auf Boernes Handrücken und er wartete schon förmlich darauf, dass ein Protest seitens des Pathologen ertönen würde. Dieser blieb aber unerwarteter Weise aus. Stattdessen drehte Boerne seine Hand unter Thiels um und verschränkte so ihre Hände miteinander.
„Schlaf gut, Boerne.", flüsterte Thiel und blickte auf ihre Hände und somit auf die beiden Eheringe, die nebeneinander in sein Blickfeld traten.
Komisch, darüber hatte sich der Nachbar auch noch nicht ausgelassen, aber Thiel war sich sicher, dass das bestimmt nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt