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„Ja und war die Frau da noch dabei?"
„Nein, ich habe niemanden gesehen. Na und dann ging's da unten ja auch fürchterlich zu. Die ganze Zeit hat es gepoltert und ich habe Herrn Boerne schimpfen hören, wie einen Rohrspatz. So kennt man den ja gar nicht."
Thiel musste sich ein Grinsen unterdrücken. Wenn die wüsste, dachte er, wurde aber sofort wieder ernst.
„Und dann? Wie ging es weiter?"
„Naja dann habe ich noch einen Mann gehört, mit dem muss er gestritten haben. Ich habe dann den Fernseher lauter gestellt und irgendwann war ja zum Glück Ruhe. Am liebsten hätte ich die Polizei gerufen, dass war ja eine Lärmbelästigung vor dem Herren, dass kann ich Ihnen sagen."

Zu Thiels Verwunderung, aber irgendwie auch Erleichterung, passten die Angaben seiner Nachbarin tatsächlich zu die seines Vaters, weshalb er Nadeshda anrief und sie über die neuen Erkenntnisse informierte.
„Ich hab auch was Chef. Diese Paula hat mich gerade angerufen und gemeint, dass sie dringend noch mal mit Ihnen sprechen müsste. Sie hätte da wohl eine interessante Entdeckung gemacht."
Das hatte Thiel ja gerne, wenn sich irgendwelche Leute in irgendwelche Angelegenheiten einmischten. Andererseits war er in diesem Fall um jeden Hinweis dankbar, weshalb er sich wenig später von Nadeshda abholen ließ, um mit ihr noch mal in die Uni zu fahren.

****

„Das habe ich auf dem Schreibtisch vom Prof gefunden!"
„Du hast was???", stieß Thiel geschockt hervor.
„Mädchen, deine Sympathie für Boerne in allen Ehren, aber dass geht nun wirklich zu weit! Liegt das in den Genen von Rechtsmedizinern oder jene, die es mal werden möchten, dass sie immer alle Detektiv spielen wollen?"
Nadeshda hielt sich die Hand vor den Mund, um ihr Lachen zu dämpfen, was der Kommissar mit einem bösen Seitenblick kommentierte.
„Ja sorry, aber ich mach mir halt auch meine Gedanken und über unseren Prof lassen wir halt mal gar nix kommen."
„Ja, ja. Nun gib schon her!"
Paula überreichte ihm Boernes Taschenkalender, welchen er verwundert aufschlug.

Als würde dieser Fetzen auch irgendwelche sachdienliche Hinweise bringen.

„Schauen Sie mal auf das gestrige Datum Thiel."
Paula blätterte einfach um.
„Herr Thiel, wenn's Ihnen nix ausmacht, Frau Arndt. Du bist ja bald schon wie ein Boerne-Abklatsch. Ich fass es ja nicht.", beschwerte sich Thiel und zog den Kalender näher an sich.
„14:30 Uhr, Pathobio/Pathophysio - Elektro. priv. L.S, FA ->wird auch so desaströs..", stotterte Thiel und verstand überhaupt nichts von dem, was Boerne hier notiert hatte.
„Grade noch so, dass man die Klaue erkennen kann, aber für mich ist das chinesich-Dorf."
Paula hingegen wirkte total euphorisch, als hätte Sie gerade schon den Fall gelöst und nahm Thiel den Kalender aus der Hand.
„Na das ist doch wohl offensichtlich, was der Prof da notiert hat. 14:30 Uhr, Pathobiologie und Pathophysiologie der Elektroschäden. Privat, also wohl Nachhilfe, wenn man es so schimpfen möchte, FA bedeutet bestimmt Facharbeit und L.S ist bestimmt die Abkürzung für einen Namen."
„Aha Frau Trovato und wer ist diese L.S und warum wird's desaströs?", fragte Thiel und setzte sich auf Boernes Bürostuhl.
„Jetzt kommt es mir, dass ist ja ganz logisch. L.S sind die Initialen für Luisa Sommer und die muss eine Facharbeit schreiben über diese Elektroschäden. Luisa ist stinkfaul und der Prof maßregelt die am laufenden Band, dass sie das mal ernster nehmen soll. Der hat ihr bestimmt Nachhilfe gegeben und weil Professor Boerne sowieso nicht viel von ihrem Können hält, hat er den vermerk mit desaströs dazu geschrieben."
Nadeshda und Thiel blickten sich einen Augenblick an und irgendwie klangen die Mutmaßungen auch sehr plausibel, wenn man die Hintergründe kannte, welche Paula aufgezählt hatte.
„Und diese Laura."
„Luisa, Chef."
„Diese Luisa, war die heute morgen auch bei der Vorlesung?"
Paula schüttelte den Kopf und setzte sich neben Nadeshda auf den Besucherstuhl.
„Nö, dass sehen Sie ja auch auf der Liste, welche ich Ihnen gegeben hab. Grad die hätte es nötig zu erscheinen. Lässt sich doch sonst keine entgehen."
Den letzten Satz hatte Paula nur sehr leise gemurmelt, so als wären die Worte gar nicht für die Ohren der anderen bestimmt gewesen.
„Wie meinst du das denn?"
„Na die steht halt auf den Prof. Die macht da eigentlich auch keinen Hehl draus! Die Frau ist so peinlich. Die Haut dem teilweise Komplimente vor versammelter Mannschaft um die Ohren und kommt mit Absicht zu spät, nur um ihren Auftritt zu haben. Wahrscheinlich ist die nicht mal so dumm wie die tut. Ist bestimmt Taktik, weil sie denkt, dass sie sich so an den Boerne ranschmeißen kann."
Thiel glaubte wirklich dass er sich verhört haben musste, doch da seine Kollegin mindestens so verdattert aussah, wie Thiel selbst, hatte er Probleme überhaupt wieder die Sprache zu finden.
„Du meinst sie hat sich da was erhofft?"
Zum Glück gab es Nadeshda, die jetzt übernahm.
„Klar, die hat auch immer herum posaunt, wenn der Prof mal wieder seine Mittagspause für sie verplempert hat und er würde ja ganz offensichtlich auch auf sie abfahren, sonst würde der das ja nicht tun und hat angegeben wie eine Bescheuerte, dass er ihr jetzt bestimmt bald mal nachgeben würde. Wie hohl diese Frau ist. Weiß doch jeder Depp, dass der Prof auf Thiel steht."
Schlagartig verstummte Paula und Thiel riss die Augen auf.
„Bitte?"
Mehr konnte er nicht sagen, so von den Socken war er gewesen.
„Nix, also, die steht halt auf Boerne."
Paula räusperte sich und erhob sich vom Stuhl.
„Wie kommt ihr da drauf, dass Herr Boerne auf Herr Thiel steht? Das ist eine Unterstellung, dafür könnte man euch Belangen, ist dir schon klar oder?"
So kannte Thiel seine Nadeshda. Normal war sie eher ein zahmer Chihuahua, doch wenn es um ihre Ehre oder die von Thiel ging, dann konnte sie schnell mal zum Dobermann werden.

„Das ist doch keine Verleumdung, dass sind Tatsachen. Der Prof hat doch selbst... und überhaupt sag ich jetzt gar nix mehr. Ich muss eh heim!"
Ohne eine Reaktion der Kommissare abzuwarten, rauschte Paula ab.
Fassungslos blickten sich Thiel und Nadeshda an und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich aus ihrer Starre gelöst hatten.
„Kein Kommentar, kapiert!"
Nadeshda nickte schnell, denn sie wollte Thiel bestimmt nicht noch mehr verärgern. Jeder wusste ja auch, dass der Hauptkommissar eine tickende Zeitbombe sein konnte.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt