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Da hatte Thiel den Mund wohl wirklich viel zu voll genommen. Nicht, dass er nicht daran glaubte, ein gutes Date hinzubekommen, aber die Tatsache, dass er eines mit Boerne haben sollte, fand er schon mehr als kurios.
Da er sich aber nicht die Blöße geben wollte, fuhr er gegen Mittag nach Hause und überlegte fieberhaft, wie er aus der Nummer herauskommen könnte, ohne das Boerne Verdacht schöpfen würde, dass er tatsächlich kneifen wollte.
Vielleicht sollte er sagen, dass er sich plötzlich nicht mehr so gut fühlte?
Nein, dass war ja wohl richtiger Quatsch.

Was hätte Thiel dafür gegeben, wenn er einen Menschen hätte, dem er sich anvertrauen könnte?
Leider war die Auswahl eher mäßig bis schlecht, denn so sehr er auch grübelte, gab es da leider niemanden, mit dem er ernsthaft über ein solches Thema hätte sprechen können.
Sein Vater war keine wirkliche Option und Nadeshda noch viel weniger.
Toll, eigentlich war Boerne der Einzige, mit dem er wohl über sowas reden würde, aber um den ging's ja jetzt schließlich.
Sowas war wirklich doof, wenn man keinen Kumpel oder Geschwisterteil hatte, mit dem man normalerweise über solche Dinge sprach.

Seufzend setzte sich Thiel auf sein Sofa und legte den Kopf in den Nacken.
Tja, da musste er jetzt wohl oder übel durch.

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„Herr Thiel?", fragte Boerne erstaunt, als der Senior vor ihm stand.
„Hallo Herr Professor. Wie stehen die Aktien?", fragte Herbert und lachte den Pathologen an.
„Ich hoffe doch gut, aber was führt sie zu mir? Frank, also Thiel ist ja nicht hier."
Verdutzt musterte er den langhaarigen Taxifahrer und verstand den Sinn des Besuches so überhaupt nicht.
„Das weiß ich doch. Ich wollte nur wissen, wie es meinem Schwiegersohn in Spee geht und mit Ihnen einen Spaziergang machen."
Bitte? Der alte Thiel beliebte doch mit Sicherheit zu scherzen oder? Warum wollte der denn ausgerechnet mit ihm spazieren gehen wollen? Hatte der kein Cannabis zu ernten oder Menschen zu kutschieren?
„Ich bin ehrlich verwundert, dass Sie hier sind, aber wo sie schon mal da sind, kann ich Ihr Angebot nicht abschlagen."
Ehrlich war Boerne wenigstens, aber dass war ihm auch ja immer schon wichtig gewesen.
„Na dann kommen Se', Professor."
Boerne zog sich seinen Morgenmantel so gut er es konnte über und folgte dem älteren Herren schließlich aus dem Zimmer.
Was hier gerade los war, dass konnte sich Boerne zwar wirklich nicht erklären, aber unhöflich wollte er natürlich auch nicht sein, zumal es sich ja schließlich um Thiels Fleisch und Blut handelte.

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Leider hatte es sich dann doch nicht vermeiden lassen, dass Thiel seinen Vater zumindest ein wenig eingeweiht hatte, denn immerhin hatte er ja das ein oder andere zu transportieren gehabt.
Natürlich hatte Thiel Herbert nicht erzählt, dass es sich hier um ein Date handeln würde, sondern erzählte ihm einfach, dass er Boerne überraschen wollte, um den ein wenig aus seinem Tief zu holen. Gut, so ganz gelogen war das ja auch nicht, also musste er da schon mal kein schlechtes Gewissen haben und überhaupt gab es auch Dinge, die Eltern überhaupt nichts angingen. Sowas änderte sich auch nicht, nur weil man zufälliger Weise über 50 war.

Da Thiel Senior im Auftrag von Thiel weit genug von Zimmer entfernt war, hatte der Kommissar genügend Zeit gehabt, um ein paar Sachen vorzubereiten.
Damit sie nicht ganz auf dem Präsentierteller sitzen würden, hatte Thiel die Lamellen geschlossen und auch dem Pflegepersonal Bescheid gegeben, dass diese nur dann hereinschneien sollten, wenn Boerne die Notrufglocke betätigte.
Die eine Schwester hatte Thiel schon ein wenig seltsam angelächelt, aber vermutlich dachte die sich ihren Teil und wie genau dieser aussah, konnte Thiel nur erahnen.

Sorgfältig deckte der Hauptkommissar den Tisch und war froh, dass er die blöde weiße Tischdecke von zu Hause doch noch in den Korb gepackt hatte.
Zufrieden betrachtete er sein Werk und ordnete die kleinen Teelichter neu an. Klar wären Ihm Echtwachskerzen lieber gewesen, aber da dies im Krankenhaus etwas schwierig war, musste er leider etwas in die Trickkiste greifen.
Uli, welche eigentlich schon Feierabend hatte, aber von Thiels Plänen wusste, kam zu ihm ins Zimmer und lächelte ihn an.
„Wow, also da hast du dich aber ins Zeug gelegt. Wenn ihm das nicht gefallen wird, dann ist er entweder blind oder dumm."
Thiel musste Lächeln, na hoffentlich hatte sie auch recht. Erst war es ihm nicht so arg wichtig gewesen und er wollte es nur hinter sich bringen, doch jetzt freute er sich sogar irgendwie darauf, auch wenn Boerne das ganze vermutlich nur als 'Wettschulden begleichen' sehen würde.
Die Rosen, welche Uli besorgt hatte, stellte der Kommissar auf den Tisch und an Boernes Nachtkästchen stellte er eine wunderschöne Anthurie.
„Ich hab wie befohlen die Schönste ausgesucht."

****

Nachdem Thiel dann noch leise Musik aufgelegt hatte, rief er schließlich bei seinem Vater an.
„Joa, du kannst dann."
Damit beendete er das Gespräch auch schon wieder, da sie zuvor vereinbart hatten, dass der Boerne dann einfach wieder zurück schicken sollte.

Allmählich wuchs die Nervosität in ihm ins unermessliche, auch wenn es ja eigentlich nicht wirklich Gründe dafür gab.
Kurz ging er ins Badezimmer, klatschte sich etwas Wasser ins Gesicht und trocknete es wieder ab.
Das Hemd stand ihm wirklich sehr gut und es kam auch echt nicht oft vor, dass er das hier aus dem Schrank kramte. Eigentlich trug er es nur zu besondere Anlässe, aber wenn dass keiner war, dann würde vermutlich auch in den nächsten fünf Jahre keiner mehr kommen.

Gerade als Thiel wieder im Zimmer stand und die Kerzen erneut drapierte, öffnete sich die Zimmertür.
Für einen Moment schloss Thiel die Augen und sprach sich selbst ein wenig Mut zu. Aufgeregt war er jetzt noch mehr, denn was wäre, wenn dem Professor das hier alles zu kitschig war? Der würde ihn die nächsten zwei Jahre noch damit aufziehen, so viel stand fest.
„Herr Thiel?"
Okay, jetzt musste er sich umdrehen oder?
Zögerlich überwand er sich und blickte Boerne in die Augen, der hinter sich die Tür ins Schloss fallen ließ.
„Was... ist das?", fragte der Professor und wirkte sichtlich erstaunt.
„Unser erstes Date."
Joa, kurz und knackig war doch eine gute Lösung.
„Ich dachte Sie hatten sich einen Spaß erlaubt."
Noch immer blickte Boerne kritisch zu Thiel, als erwartete er, dass gleich jemand herein spazieren würde und 'April, April' rief.
„Glauben Sie mir, Boerne, dass war kein Spaß und ein wenig stolz hab ich auch. Ich hab Ihnen gesagt, dass ich romantisch sein kann und dass hier ist das Ergebnis."
Langsam trat Boerne weiter ins Zimmer und blickte sich um.
„Ich hätte nie gedacht, dass Sie mal besser gekleidet herumlaufen als ich."
Boerne blickte an sich herunter und Thiel musste nun wirklich Grinsen.
Den Pathologen in Jogginghose und Poloshirt sah man ja wirklich nicht alle Tage.
„Sie sehen auch so umwerfend aus, Boerne."
Ja, dass fand er und er wollte es auch sagen, weil er wusste, wie underdressed sich Boerne fühlte, wenn er nicht wie gewohnt in Anzug, Hemd und Schlips herumlief.
„Warum haben Sie mir denn nicht gesagt, dass Sie das für heute geplant haben? Ich hätte mich wenigstens noch rasiert."
Thiel begann zu lachen, denn das fand er jetzt schon ziemlich niedlich, dass sich Boerne ausgerechnet um so etwas Sorgen machte.

Da Sie etwas verloren in der Gegend herum standen, zog Thiel schließlich den Stuhl zurück und bot Boerne den Platz an.
„Sehr aufmerksam von Ihnen."
Lächelnd setzte sich der Professor, doch wenn Thiel sich nicht vollkommen irrte, war Boerne noch immer etwas misstrauisch.
„Möchten Sie Rotwein?"

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt