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Schweigend saßen sie Wange an Wange gelehnt da. Wie lange, dass wusste vermutlich keiner der Beiden so genau, aber niemand hatte lange Zeit das Bedürfnis danach, etwas daran zu ändern.
Stille behagte Boerne nicht, Thiel dagegen schon und trotzdem schien sie im Augenblick für beide angenehm zu sein. Außerdem spielte noch immer leise Wagner im Hintergrund und somit war es ja dann auch nicht vollkommen ruhig.

Als Boernes Wange immer schwerer gegen Thiels Gesicht drückte und seine Atemzüge immer gleichmäßiger wurden, löste Thiel eine Hand und fuhr dem Pathologen durchs Haar.
„Es wird höchste Zeit für Bett."
Boerne nickte langsam und setzte sich wieder aufrecht hin.
„Ich räum schnell die Gläser weg und dann helf' ich dir noch kurz."
Thiel bemerkte zwar den überraschten Blick seines Kollegen, doch da dieser keinen Einwand brachte, setzte Thiel seinen Plan in die Tat um, spülte die Gläser und verstaute Boernes Rotweinflasche zuverlässig im Kühlschrank.
Etwas nervös war er jetzt schon, weil die Situation hier etwas anders war, als im Krankenhaus, wenn er Boerne half.
Trotzdem war er sich sicher, dass er eigentlich überhaupt nichts würde falsch machen können und wenn doch, dann würde ihn der Klugscheißer garantiert darauf aufmerksam machen, dachte Thiel grinsend und ging zurück zu Boerne, der schon wieder in sich gesunken auf der Couch hing.
„Na komm.", sagte Thiel sanft und griff nach Boernes Hand um ihn nach oben zu ziehen und Boerne, der ließ sich ziehen - vertraute auf Thiel.

Da Boerne nicht den Eindruck erweckte, dass er noch zum Zähneputzen in der Lage war, führte ihn Thiel geradewegs ins Schlafzimmer.
Dort angekommen schlüpfte der Pathologe aus seinen Schuhen und Thiel half ihm dabei, seine Kleidung auszuziehen. Übung hatte er ja schließlich genug mit der doofen Schlinge, welche Boerne noch immer tragen musste.

„Brauchst du noch was?", fragte der Kommissar, als er Boerne ordentlich zugedeckt hatte.
„Nein. Ich habe vermutlich alles was ich benötige."
Damit legte Boerne seine Brille ab und kuschelte sich in die Decke.
„Na dann... Schlaf gut und wenn was ist, dann mach Meldung."
Boerne nickte und Thiel knipste an der Tür angekommen das Licht aus.
„Frank?"
„Ja?"
„Danke!"
Mit einem Lächeln, lehnte Thiel die Zimmertür an, atmete einmal erleichtert auf und ging schließlich zurück in seine Wohnung.

****

Nicht weniger müde als Boerne, lag Thiel nun in Boxershorts und ausgeleierterem St. Pauli Shirt im Bett und dachte einen Augenblick über das aufeinandertreffen mit dem Professor nach.
Gott sei dank, hatte er doch den Mut gefasst, rüber zu gehen und so war er sich sicher, dass er beruhigt schlafen konnte, weil er Boerne im sicheren Bett wusste.

Kaum hatte er das Licht ausgelöscht und die Augen geschlossen, hämmerte es gegen seine Wohnungstür.
Erschrocken setzte er sich auf, stolperte beim Verlassen des Bettes über die Bettdecke, welche sich auf den Fußboden verabschiedet hatte und humpelte fluchend zur Tür.
Was war denn jetzt bitte los?
Als er die Tür öffnete, stand Boerne wie ein Häufchen Elend vor ihm und drohte jede Sekunde zusammenzubrechen.
„Boerne.", entfuhr es Thiel und er zog den Größeren in seine Arme.
„Was ist passiert?", fragte er so sanft wie möglich und streichelte beruhigend über Boernes Rücken.
„Ich kann da nicht schlafen. Nicht jetzt."
Und da verstand Thiel alles, ohne dass Boerne konkreter werden musste.
Es war aber auch dämlich anzunehmen, dass sein Nachbar da seelenruhig schlafen konnte, wenn dies der Ort war, an dem sein Martyrium begonnen hatte.
Warum war er denn nicht einfach bei ihm geblieben oder hatte ihm direkt angeboten, dass er bei ihm schlafen konnte?
„Ich schlaf auch auf der Couch.", schluchzte Boerne, dem das alles so extrem Nahe ging.
„Du hast ja 'nen Vogel. Auf der Couch... Soweit kommt's noch! Tzz."
Langsam beförderte er Boerne in seine Wohnung und nahm ihn direkt mit in sein Schlafzimmer. Da der sich nicht mal über die Bettwäsche beklagte, wusste Thiel genau, dass es nicht gut um ihn stand.
„Leg dich hin. Ich komm gleich wieder."

****

Eine heiße Milch mit Honig und ein paar tröstenden Worte später, hatte Boerne sich wieder beruhigt und Thiel brachte die leeren Tassen in die Küche.
Wenigstens schien das nicht nur ihm sondern auch Boerne zu helfen, dass war aber auch ein gutes Hausmittel, dachte Thiel und tapste zurück ins Schlafzimmer.
Boerne, der auf auf der rechten Betthälfte lag, hatte seine Augen geschlossen, doch da seine Lider zuckten und er sich gerade an der Brust kratzte, wusste Thiel, dass er noch nicht schlief.
„Soll ich das Licht ausmachen oder möchtest du, dass wir es lieber an lassen?", fragte Thiel und Boerne öffnete seine Augen.
„Du bist ja da und eine Waffe hast du auch, also könnten wir den Versuch starten."
Zaghaft lächelte er dabei und Thiel knipste ebenfalls lächelnd das Licht aus.
Nachdem sich auch Thiel endlich unter die Decke gelegt hatte, schloss er seine Augen und hoffte, dass Boerne, aber auch er, endlich den ersehnten Schlaf finden konnten.
„Frank?"
„Hmm, ja?"
„Ist schon gut."
„Was'n los Beorne?"
„Könntest du vielleicht..."
„Sicher."
Boerne hatte zwar auch das nicht ausgesprochen, aber es gab eben Dinge, die musste man halt nicht immer beim Namen nennen.
Während Boerne etwas mehr in die Mitte rutschte, kam Thiel ihm ebenfalls ein Stück entgegen und er kuschelte sich seitliche an ihn heran.
„Danke."
Lächelnd legte Thiel seine Hand auf Boernes Magenhöhe ab und drückte seine Nase an den Hals des Professors.
„Gute Nacht, Pussibärchen."
„Gute Nacht, SCHATZ!"
Plötzlich begannen beide zu lachen und da wusste Thiel, dass zwischen ihm und Boerne jetzt wirklich wieder alles im Lot war.

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt