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Mit zwei gefüllten Weingläsern, saßen sich die Nachbarn dann gegenüber und lächelten sich an.
„Auf Ihr wohl.", sprach Thiel den Toast aus, doch Boerne schüttelte den Kopf.
„Auf Gustav. Ohne ihn säßen wir jetzt vermutlich nicht hier."
Damit war Thiel mehr als einverstanden und sie stießen zusammen an.
Prüfend schwenkte Boerne den Wein in seinem Glas, roch daran und nippte etwas vorsichtig an der roten Flüssigkeit.
„Keine Sorge, Boerne, dass ist kein Fusel."
Amüsiert beobachtete Thiel, wie Boerne mit dem Mund den Geschmack analysierte und sein Blick immer begeisterter wurde.
„Ich muss schon zugeben, dass Sie dank meiner bescheidenen Persönlichkeit einen guten Geschmack gelernt haben."
„Da kann ich Ihnen nicht widersprechen, Herr Professor."
Zufrieden nahm Boerne einen weiteren Schluck und stellte sein Glas vor sich ab.
„Warum siezen wir uns eigentlich nach all der Zeit noch?", fragte er schließlich und Thiel spürte die Intensität seines Blicks.
„Ich weiß nicht. Hat sich nie so ergeben, dass wir's ändern oder? Wollen Sie denn, dass wir uns duzen?", fragte Thiel, der schon ein wenig überrascht war.
„Wollen Sie es, Herr Thiel?"
„Joa, wegen mir gerne. Sind ja nu' schon so'n büschen in Übung.", grinste er.
„Da bin ich wirklich erleichtert. Sie...., du ahnst nicht wie schwer mir das gefallen ist, dass ständige Wechseln von Sie zum Du."
„Aber warum haben Sie..., hast du denn nie was gesagt?"
Der hätte ruhig auch den ersten Schritt machen können, fand Thiel.
„Frank, ich bitte dich. Du bist eindeutig der Ältere und es ist nun mal eben Brauch, dass der Ältere das Du anbieten muss."
Jetzt war es Thiel der perplexer nicht hätte aus der Wäsche schauen können.
Er und Boerne siezten sich allen Ernstes nur deshalb, weil Boerne an den Regeln der alten Schule festhielt?
„Und ich dachte, Sie wollen das Sie beibehalten, weil Sie sich für was besseres halten.", gestand Thiel beschämt.
„Das ist doch lächerlich!"
Ja, nüchtern betrachtet, war es das tatsächlich.
Erneut erhob Boerne sein Glas und endlich sah er wieder das geheimnisvolle Funkeln in den Augen des Professors.
„Aber glaub ja nicht, dass ich dich ab sofort Karl-Friedrich nennen werden. Das mach ich nicht. An KF könnte ich mich vielleicht noch gewöhnen, aber dass werden Sie..., das wirst du niemals aus meinem Mund hören.", wieß der Kommissar ihn gleich mal darauf hin.
„Ach, aber Pussibärchen klingt schöner oder wie? Na schön, aber wenn es dich nicht stört, würde ich dich ganz gerne Frank nennen."
Ohne es beeinflussen zu können, zuckten Thiels Mundwinkel nach oben und er stieß ein weiteres Mal mit dem Professor an.
„Dann ham' wa' das jetzt ja geklärt. Im übrigen hoffe ich, dass du Hunger hast."
Natürlich hatte Boerne Hunger, doch auch wenn er unbedingt wissen wollte, was Thiel so in petto hatte, schwieg dieser darüber bis sein Handy zu klingeln begann.
„Möchtest du nicht 'ran gehen? Vielleicht ist es wichtig."
„Oh, dass ist sogar sehr wichtig. Ich bin gleich zurück!"
Damit verschwand Thiel aus dem Zimmer und nahm das Essen entgegen, welches Thiel Senior für ihn von Boernes Lieblingsrestaurant geordert hatte.
„Hat das Geld gelangt?", fragte Thiel und nahm die Tüte an sich.
„Ja. Da hast du dich ja für deinen Professor richtig in Unkosten gestürzt, Frankie."
Dieses Mal wollte er sich nicht wieder über Vadderns Worte aufregen, weswegen er nur kommentarlos mit den Augen rollte und sich wieder auf den Rückweg begab.

****

„Den Geruch kenne ich.", kam es von Boerne, der mit den Augen die Tüte musterte.
„Na dann rate mal, was es sein könnte."
„Wenn ich nicht wüsste, dass du auf Fastfood stehst, würde ich vermuten, dass es sich hierbei um Coq au vin handelt."
„Deine Nase hat dich nicht getäuscht, Boerne."
Grinsend packte Thiel das Essen aus und verteilte es gleichermaßen auf den Tellern.
„Du bist verrückt."
„Daran solltest du dich doch schon gewöhnt haben."
Schmunzelnd schenkte Boerne nochmal Wein nach und so aßen sie gemeinsam zu Abend.
„Du bist ein Gott. Weißt du wie lange ich mir gewünscht habe, etwas anständiges zu Essen zu bekommen? Hier muss man ja aufpassen, dass man keine Magenverstimmung bekommt.", meinte Boerne und legte sein Besteck sorgfältig auf den Teller.
„Du meinst, noch schlimmer als in der Kantine im Präsidium?", hakte der Kommissar lachend nach.
„Ok, dort zu Essen ist noch bedenklicher."
Lachend sahen sich die Männer an und jeder nippte ein wenig an seinem Weinglas.
„Ich muss dir wirklich ein Kompliment machen, Frank. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du zu so etwas fähig bist."
Dabei machte er eine ausschweifende Geste mit seinem Arm.
„Schöne Musik, Kerzen, delikates Essen, Rosen... An dir ist wirklich ein Gentleman verloren gegangen und dann trägst du heute sogar ein Hemd."
Thiels Herz begann zu klopfen, denn er freute sich wie ein kleines Kind, dass er mit alledem ins Schwarze getroffen hatte.
„Nur eins ist sehr Schade."
„Was denn?", fragte Thiel und hatte Angst, dass er irgendwas entscheidendes vermasselt oder vergessen hatte.
„Wären wir zu Hause, könnten wir wie immer auf die Couch umziehen und da noch ein Glas Wein trinken."
Nun begann Thiel wieder zu grinsen, denn auch diesen Teil des Abends hatte er natürlich bedacht.
„Du hast aber ein Bett und ich habe zufällig..." er kramte aus dem Korb eine DVD „den letzten Teil von Schimanski dabei, den wir letztens nicht mehr geschafft haben."
Tja, da hatte Thiel wenigstens mal gut mitgedacht, denn er wusste ja, dass Boerne in seinem Privatzimmer auch einen DVD Spieler hatte.
„Du überrascht mich heute Abend wirklich sehr, mein Lieber."
Lächelnd erhoben sich die Männer von ihren Plätzen und Boerne machte es sich direkt auf seinem Bett bequem.

Nachdem Thiel den Film eingelegt hatte, griff er sich die zwei Weingläser und stellte sie auf Boernes Nachttisch.
„Du willst dich aber nicht im Ernst auf den unbequemen Stuhl setzen oder?"
Thiel hielt inne, da er genau das gerade vor hatte.
„Naja im Bett wär's wohl 'n büschen eng für uns zwei."
„Ach Papperlapapp. Ich rutsch' noch ein Stück und dann haben wir beide Platz!"

Im Rausch der VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt