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Er war wohl doch irgendwie ohne Nagisa eingeschlafen, denn es waren ihre blauen Haare, die ihn aufweckten, als sie ihn an der Schulter hin und her schüttelte, leicht, ohne dem geringsten bisschen Gewicht in der Handlung.

"Karma? Karma, wach auf."

Er wollte nicht, war noch viel zu müde. Deshalb zog er die Vampirin einfach zu sich, umarmte sie fest und schloss die Augen wieder. Dieser Teppich war wirklich bequem - aber war er nicht an der Wand eingeschlafen? Wer hatte ihn hier hingelegt? Es spielte keine Rolle. Leider wurde ihm seine bequeme Position nicht lang gegönnt, fing die blau Haarige doch an zu zappeln, sich aus seinem Arm raus zu winden, Stück für Stück. "Lass das."

"Karma, wach bitte auf. Es ist wichtig, es geht um deinen Vater."

Er war im nu wach, setzte sich auf, nahm die Umgebung wahr, die Hand an seinem Messer. Es war noch früh, der Himmel gerade einmal in der Spanne von Zwielicht und Dämmerung, der Raum kaum richtig zu erkennen. Nagisa saß neben ihm, ernst, gar nervös sah sie ihn an, die Hände unruhig an ihrer Uniform hin und her wandernd. Richtig, sie war gestern weg gewesen, hatte Rio gesucht. Die saß neben dem Rotblonden, als hätte sie jedes Recht diesen Platz für sich zu beanspruchen. Isogai und der Prinz standen in der Mitte des Raumes, bereits umgezogen, die Uniformen sauber zusammengefaltet neben zwei weißen Tüten, bereit nun jeden Moment aufzubrechen. "Was ist mit meinem Vater? Was hat so lange gedauert?"

Die blau Haarige sah ihn nicht an, als sie ihm antwortete, ließ ihren Blick zwischen ihm und Gakkushú hin und her schweifen, immer und immer wieder. "Ihr seid doch Brüder, oder? Zwar nur zur Hälfte, aber ihr habt denselben Vater, nicht wahr?"

Warum kam sie jetzt mit so einer Frage? Warum interessierte sie sich auf einmal für seinen Vater? Was sollte das? Oder hatte es was mit seinem Blut zu tun? Der Prinz war ja deswegen losgerannt wie ein verrücktes Huhn, sah immer noch aus als hätte man ihm ein Ei gestohlen. "Nein, keine Halbbrüder. Wir sind Stiefbrüder, nicht verwandt miteinander. Warum, wegen meinem Blut? Warum willst du das wissen, Nagisa?"

Was war den so besonders an seinem blöden Blut?

"Verstehe. In unserer Welt gibt es sowas wie 'Stiefbrüder' nicht, deswegen hab ich einfach angenommen... Karma, verzeih die Frage, aber... kennst du deinen Vater?"

Er umfasste sein Messer fester.

"Arme Missgeburt."

"Bei der Schlampe von Mutter war es kein Wunder, dass der Vater weggelaufen ist."

"Geschieht ihr recht, all die Schulden. Sie hätte es besser wissen müssen."

"Was ist passiert?!"

"Karma ist wieder durchgedreht. Er hat die Erwachsenen angegriffen und sie als Lügner bezeichnet."

"Ob ich meinen Vater kenne?"

Er musste sich beruhigen, durfte nicht nochmal die Beherrschung verlieren. Nicht wegen diesem Mann. Es war es nicht wert. Er schloss die Augen, holte tief Luft.

"Nein, tue ich nicht. Warum?"

Er öffnete sie wieder, sah die blau Haarige an. Sie wirkte immer noch angespannt, vermied seinen Blick.
Was war denn so wichtig an diesem Stück Dreck, das seine eigenen Schulden einer Schwangeren überließ und sich aus dem Staub machte?!

"Es ist so, ich hab Kayano gefragt von wo bitteres Blut kommt - tut mir leid, dass ich das hinter deinem Rücken gemacht habe - und laut seinen Nachforschungen - ist die einzige Blutlinie die bitter ist, die des Dämonenkönigs selbst."

Stille.
Er brauchte ein paar Sekunden um zu begreifen, was sie ihm damit sagen wollte.
Dann lachte der rot Haarige, laut und aus tiefsten Herzen. Es passte nicht in die Situation, wirkte seltsam, gar Taktlos. Itona miaute genervt, legte sich die Pfoten auf die Ohren, aber das kümmerte ihn nicht. Er lachte weiter, bis er keine Luft mehr bekam, Tränen in den Augen hatte.

"Glaub mir Nagisa, es ist wahrscheinlicher, dass der Dämonenkönig eine Kopie von sich selbst erstellt hat um seine Gefolgsleute aus Spaß zum Narren zu halten, als dass ich aus seiner Blutlinie stamme. Mein Vater ist kein König, garantiert nicht."

Sie wirkte nicht überzeugt. Keiner im Raum wirkte überzeugt, alle Augen waren auf ihn gerichtet. Das ließ ihn etwas an seiner Überzeugung zweifeln - die Beherrschungsprobleme, die Neigung zur Gewalt, der Grund warum er einem Halbvampir ebenbürtig im Kampf war - es würde Sinn ergeben. Aber warum zur Hölle sollte der Mann, der über ein ganzes Reich herrschte Schulden haben? Noch dazu hatte seine Mutter ihn nicht mit einem einzigen Wort erwähnt, nur immer beteuert, es nicht zu bereuen, ihn auf die Welt gebracht zu haben. Sein Vater, ein König... er musste wieder lachen, brachte sich unter Kontrolle.

"Gut, nehmen wir mal an, er wäre der Dämonenkönig, dann wäre ich auch ein Hybrid und ein Prinz, nicht wahr?"

Noch mehr Stille, diesmal mit einem berechtigten skeptischen Blick von Isogai, dem Prinzen und Rió - Nagisas Augen aber funkelten plötzlich auf, als hätte sie noch gar nicht an diese Tatsache gedacht.

Richtig, wenn er der Sohn des Königs der Dämonen wäre, könnte er rein theoretisch Nagisa-

"Nagisa, ich glaube ich hab einen Fehler gemacht. Tut mir leid Schwesterherz, sicher ist der Grund für Karmas übereinstimmendes Blut ein ganz anderer."

Kayano legte der blau Haarigen eine Hand auf ihre Schulter, ganz sanft, wie um sie nicht zu verletzen. Der Glanz verschwand genauso schnell wieder aus ihren blauen Augen wie er gekommen war, Flammen deren Sauerstoffzufuhr abgeschnitten wurde. Dann lächelte sie, schüttelte den Kopf.

"Ach was, das liegt sicher nur an der Reise. Wir zwei waren schließlich nie länger von zu Hause weg als 4 Tage.
Verzeih die Anmaßung dir solche Fragen überhaupt zu stellen, Karma. Hast du gut geschlafen? In dem Fall wird es Zeit, wir haben versprochen das Gebäude noch vor dem Unterrichtsbeginn zu verlassen."

'Denk nicht weiter dran. Mach dir keine Hoffnungen. Beherrsch dich. Beschuldige den grün Haarigen nicht.'

Er lächelte, versteckte seine, zur Faust geballte Hand hinter seinem Rücken, nickte, sprang auf. Itona miaute nochmal, sprang im Schoß von Gakkushú unruhig hin und her. Es sah lustig aus, vor allem weil der Rotblonde immer noch schlief.

Er würde noch die Teleportation nach Anderland verpassen, wenn es so weiter ging, friedlich weiter vor sich hin Träumen - seine Hand löste sich, ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als seine Augen im Klassenzimmer umherschweiften.

Da, direkt neben der Tafel. Er nahm den Eimer, verschwand im Gang um Wasser zu holen, kehrte sofort wieder zurück.

Itona, schlau wie sie war, versuchte erst gar nicht ihr Kissen zu verteidigen, sprang der blonden Vampirin in die Arme, die ihn ansah als wäre sie bereit ihm jeden Moment die Kehle durchzuschneiden. Allerdings tat auch Rió nichts als er seinem Stiefbruder einen Liter kaltes Wasser über den Kopf goss, ihn aus dem Schlaf riss.

Sie tat auch nichts als sich der Rotblonde kurz darauf auf ihn stürzte wie ein wildes Tier, bereit seine Kehle durchzubeißen.

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