1 - rainy afternoon

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Yoongi

Müde schloss ich meine Augen, lehnte mich im unbequemen Stuhl noch ein wenig mehr nach hinten.

Vor Stunden waren Hoseok, Taehyung und ich in dieses Gebäude geflüchtet. Der monsunartige Regen hatte uns deutlich einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Doch im Gegensatz zu mir nutzen die anderen beiden diese Zeit für Produktiveres; seit Stunden waren sie damit beschäftigt, die Wörter in ihren Büchern aufzusaugen und alles zu studieren, was ihnen in die Finger kam.

Am Anfang tat ich es ihnen noch gleich, gab aber schon nach kurzer Zeit auf; die Müdigkeit hatte mich wie so oft viel zu fest im Griff.

Außerdem tat mir mein Körper vom Nichtstun weh. Aber womöglich lag das an meinem Seelenverwandten, welcher seinen Körper bis ins Ultimatum zu treiben schien.

Ja, Seelenverwandtschaft spielte in dieser Welt eine wichtige Rolle. Angeblich solle jeder einen besitzen. Ausnahmslos jeder. Und da sich niemand aussuchen konnte, wer der jeweilige Partner sein würde, kam es nicht selten vor, dass es gleichgeschlechtliche Paare gab. Was mir in die Hände spielte, denn ich könnte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, dass mein Seelenverwandter eine sie sein würde.

„Hey!", versuchte mich mein bester Freund aus meinen Gedanken und meinem kläglichen Versuch, dem Schlaf zu verfallen, heraus. „Wenn du in dieser unbequemen Position einschlafen solltest", fing er an, „dann beschwert sich nicht nur dein Rücken, sondern auch dein Seelenverwandter darüber."

Das war die Sache. Die Seelenverwandtschaft zeigte sich nicht nur durch dieses Gefühl, zu wissen, dass man jemanden hat, aus, sondern auch dadurch, dass man die Schmerzen, sowohl starke Emotionen des Partners spüren konnte. Nicht sehr. Dennoch genug, um zu wissen, dass es nicht die eigenen waren.

„Der oder die scheint sowieso schlampig mit dem Körper umzugehen, denn mir tut gefühlt alles weh", jammerte ich, nachdem ich die Verspannung in meinem Nacken deutlich spüren konnte.

Hoseok lachte nur schallend auf, woraufhin ihm einige Blicke der anderen Studenten hier zugeworfen wurden. Die Bibliothek der Universität war aber auch ein toller Ort. Und jetzt, da es draußen in Strömen regnete, wurde sie für viele als ein Zufluchtsort missbraucht.

„Dann musst du darauf achten, dass er eben besser auf sich aufpasst", flüsterte er, seine Stimme ein wenig gesenkt. Er wusste, dass ich mir sicher war, dass ich einen Seelenverwandten und keine Seelenverwandte hatte.

„Deshalb achte ich auch darauf, dass es meinem Taehyungie gut geht." Er legte einen Arm um seinen Freund, auch, wenn dies etwas ungeschickt aussah, da es sitzend nicht so gut klappte.

Doch dieser ging nicht darauf ein, hatte seinen Blick weiterhin fest in den dicken Wälzer gerichtet, welcher vor ihm aufgeklappt auf dem Tisch lag. Nachdem er aber seinen Satz zu Ende gelesen hatte, schenkte er dem Braunhaarigen ein Lächeln. „Und ich auf meinen Hoseokie", sagte er, betonte den Spitznamen ähnlich, wie Hoseok den seinen ein paar Augenblicken zuvor.

Ich beobachtete das Szenario vor mir, schwankte, ob ich eine sarkastische Bemerkung abgeben sollte, oder nicht. Ich hatte schon immer das Glück, solche Momente mit meinem Verhalten zu zerstören. Doch diesmal hielt ich mich zurück.

Daher ließ ich einfach meinen Kopf mit der Tischplatte kollidieren. Ich musste mir ein schmerzvolles Aufstöhnen verkneifen, als meine Stirn zu schmerzen begann.

„Ach Yoongi-Hyung mach dir keine Sorgen darüber. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dann begegnet ihr euch schon", versuchte Taehyung mir Mut zuzusprechen. Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln, während ich mir meine Stirn rieb.

Taes freundliche Miene ging allerdings verloren, als das Paar schlechthin die Bibliothek betrat. Die beiden kamen Händchen haltend in der Mitte zum Stehen. Offensichtlich sahen sie sich nach einem leeren Platz um, welchen sie auch sogleich entdeckten und in irgendeiner Ecke verschwanden.

„Gott gehen mir beide auf die Nerven", nuschelte der Blonde nur vor sich hin, ehe er sich etwas zu seinem Freund lehnte, noch immer die Ecke ansehend, in welche das Paar gerade eben verschwunden war.

„Ach komm Jimin ist ganz freundlich. Wir sind im gleichen Studiengang und unterhalten uns täglich", meinte Hobi lachend. „Er kann wirklich nett sein", fügte er allerdings noch hinzu, nachdem keiner von uns ein Wort sagte.

Park Jimin. Park Jimin war für mich die Definition von natürlicher Schönheit, von perfekter Ästhetik. Vor allem seine Lippen wurden von mir schon des Öfteren von der Ferne aus begutachtet. Seine Stimme war mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf gegangen, nachdem ich sie erstmals gehört hatte. Damals hatte ich sofort an einen Engel denken müssen, so weich und zart klang sie.

Aber ich hatte noch nie näher mit ihm zu tun—was ich, um ehrlich zu sein, sehr bedauerte. Aber das lag nicht nur an meinem eingeschränkten Wissen, wie man richtig mit Menschen umging, sondern auch an seinem festen Freund Jeon Jungkook, welcher ihn gerade zu schon besitzergreifend nur für sich selbst behielt. Der Junge sollte mal seinen Beschützerinstinkt überdenken, dachte ich mir.

„Gegen Jimin habe ich auch nicht so viel, sondern gegen seinen elendigen Freund", sagte Taehyung. Die Wut war deutlich aus seiner Stimme herauszuhören. Ich wusste zwar noch immer nicht ganz, warum er ihn so sehr hasste—und ich wagte es auch nicht wirklich, unbedingt nachzufragen. Manchmal sollte ein Geheimnis einfach ein Geheimnis bleiben. Und ich war mir auch sicher, dass Hoseok es auch nicht wusste, sich aber genauso wenig traute, diese Information aus ihm heraus zubekommen.

„Wie auch immer", sprach er dann etwas leiser. „Was macht das Wetter?", fragte Taehyung an mich gewandt. Kurz zögerte ich, ehe ich mein Handy aus meiner Hosentasche fischte und das Wetter checkte.

Während ich auf mein Handy sah, biss ich mir unbewusst auf meine Lippe. „Wenn wir in den nächsten fünf Minuten verschwinden sollten, könnten wir einigermaßen trocken Zuhause ankommen", antwortete ich ihm, als ich mich über das Wetter schlau gemacht hatte.

„Gut", erwiderte der Blonde stürmisch, ehe er das Buch heftig zusammenklappte und es zurück in das Regal hievte. Hoseok ihm mit seinen—inklusive meinem eigenen Buch und seinen unzähligen hinterher. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, zu lernen, da ich wusste, dass meine Konzentration an diesem Tag so gut wie kaum vorhanden war. Dennoch hatte ich es am Anfang versucht, kam aber nicht wirklich voran.

„Kommst du?", fragte mich Hoseok, nachdem er mit Jacke bekleidet neben mir stand und zu mir heruntersah. Taehyung war schon beim Ausgang angekommen, wollte sich gerade bei der äußerst freundlichen Bibliothekarin verabschieden, welche ihn aber kaum zu bemerken schien. Oder ihn einfach nicht bemerken wollte.

„Du bist heute sehr in Gedanken", sagte er, nachdem er vor mir ebenfalls zum Ausgang tritt. Ich antwortete ihm lediglich mit einem Achselzucken, welches er sowieso nicht wahrnahm. Es war eine Feststellung keine Frage.

Also folgte ich den beiden in den dennoch strömenden Regen—verdammt sei die Wettervorhersage!—wofür ich auch sogleich mein Fett weg bekam.

Doch das war egal, denn mein Kopf begann zu dröhnen und das wundervolle, kühle Gefühl des Regens, welcher nun durch meine Kleidung drang, schien angenehm. Es waren nicht meine Kopfschmerzen, das wusste ich.

Oh Seelenverwandter, was machst du nur?

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[20190821]

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